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Katharina Dröge
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Britta N. •

Frage an Katharina Dröge von Britta N. bezüglich Soziale Sicherung

Mit den aktuellen Plänen einer „Rechtsvereinfachung“ sollen die Hartz-IV-Leistungen zum 60. Mal verändert und verschärft werden. Die vom Verfassungsgericht angemahnten Nachbesserungen (Energiekosten, Elektrogeräte, Regelbedarfe, Brillen) blieben außen vor, auch die angekündigte Entschärfung der Sanktionen scheiterte. Stattdessen erfolgen richtungslose Schlechter- und Besserstellungen mit wenig durchdachten Änderungen wie z.B.
• Statt der Entschärfung bedrohender Sanktionen soll nun auch bestraft werden, wenn Hilfebedürftigkeit nicht verringert wird - eine weitere Sonderstrafe, die es in anderen Sozialleistungen nicht gibt. Fiktive „Was-wäre-wenn-Verläufe" führen in neue Rechtsunsicherheit.
• Wohnkosten sind schon jetzt der strittigste Bereich. Nun sind weitere Hürden mit einer tückischen Obergrenze für die Heizkosten vorgesehen, die zu einer „Rechtsverkomplizierung“ führen.
• Der Ausschluss von Azubis, Schülern und Studenten wurde großteils zurückgenommen - prima. Doch Studierende an Hochschulen in eigener Wohnung bleiben auf dem Weg „ganz nach oben“ ausgeschlossen. Zusätzlich wird für sie die Hilfe bei Mietschulden beseitigt.
• Hilfe in den vielen Notlagen wird für die Nothelfer unnötig erschwert. Überbrückungsdarlehen können nicht mehr abgetreten werden, weil mit der Pfändbarkeit auch die Abtretbarkeit von Alg-II-Leistungen beseitigt wurde.

Eine weitergehende kritische Gesamtkommentierung gibt es in der Bundestagsausschussdrucksache 18(11)484.
Hartz-IV-Bezieher wurden in der Vergangenheit vielfach abgestraft. Dieses Vorhaben verschärft den Rechtsruck von Menschen, die befürchten, mit der Flüchtlingswelle weiter an den Rand gedrückt zu werden. Gefragt ist eine hohe soziale Sensibilität der Politik.
In wie weit teilen Sie diese Bedenken? Was können Sie ggf. tun, um neue Schlechterstellungen oder Verschärfungen für die Betroffenen zu verhindern?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Neufeldt,

vielen Dank für Ihre Frage.
Auch wir Grünen kritisieren das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz. Anstatt eine echte Vereinfachung und Entbürokratisierung vorzunehmen, führt das Gesetz zu einer weiteren Verkomplizierung und hilft weder Betroffenen noch den Mitarbeiter*innen in den Jobcentern. Eine echte Reform des Gesetzes wäre nötig. Dazu gehört für mich eine ersatzlose Streichung der Sanktionen. Soziale Teilhabe ist ein Grundrecht, das der Staat nicht aushöhlen darf.

Für die Betroffenen sind Sanktionen demütigend, sie sind vielfach unnötig und kontraproduktiv. Niemand findet schneller einen Job, weil ihm das Amt Geld kürzt. Ich sehen den Staat in der Pflicht, jedem Menschen das zum Leben nötigste zur Verfügung zu stellen. Dass es durch Sanktionen zu einer Unterschreitung des Existenzminimums kommt, ist deshalb für mich inakzeptabel und aus meiner Sicht auch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Diese Sichtweise wird auch von zahlreichen Sachverständigen vertreten.

Auch als ungerechtfertigt empfinde ich die Sondersanktionen für unter 25-jährige und die Kürzungen der Wohnungskosten. Dass erwachsene Menschen, die unter 25 sind de facto gezwungen werden weiter bei ihren Eltern zu leben sehe ich als einen vollkommen inakzeptablen Eingriff des Staates in die persönlichen Rechte dieser Menschen. Deshalb muss die Schlechterstellung von unter 25 Jährigen meiner Ansicht nach unverzüglich beendet werden.

Neben diesen Punkten gibt es noch zahlreiche andere Probleme mit der Hartz IV Gesetzgebung. Einige haben Sie angesprochen, ich möchte ein weiteres erwähnen, die Berechnung der Regelsätze. Das einer Familie mit einem Kind 2015 nur 47,12 Euro für die Nutzung von Verkehrsmitteln im Monat zur Verfügung stand, ist absurd und wird der Lebensrealität nicht gerecht. Auch die Regelsätze für Strom sind zu niedrig angesetzt. Menschen mit geringem Einkommen haben einen verhältnismäßig höheren Stromverbrauch, da sie sich stromsparende Geräte schlichtweg oft nicht leisten können. Der Regelsatz trägt dem nicht Rechnung, was mit einer der Gründe für die über 350.000 Stromsperren war, die es 2015 in Deutschland gab. Diese Aufzählung ließe sich leider sehr lange fortführen.
Wegen dieser und weiterer Probleme mit den bestehenden Hartz IV Regelungen bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir eine umfassende Änderung beim Arbeitslosengeld II brauchen. Ziel ist eine Grundsicherung, die auf Motivation, Hilfe und Anerkennung statt auf Bestrafung setzt und die soziale Teilhabe ermöglicht und nicht erschwert.

Die Grundsicherung muss deshalb in der Höhe angepasst werden. Dazu halte ich es für sinnvoll, die Neuberechnung gemeinsam mit den Sozialverbänden durchzuführen, einen automatischen Inflationsausgleich einzubauen und die Berechnungsgrundlage zu ändern. Das aktuelle Prinzip der Bedarfsgemeinschaft halte ich für sehr problematisch, da es die finanzielle Abhängigkeit vieler Frauen zementiert. Anstelle der Bedarfsgemeinschaft brauchen wir eine Gesetzesänderung hin zur individuellen Existenzsicherung. Die Sanktionen gegen unter 25 jährige müssen abgeschafft werden, genauso wie die Anrechnung des Elterngeldes auf den Hartz IV Zahlungen.

Zu ihrer Frage, was ich, was wir Grünen gegen weitere Verschärfungen tun können: Meine Fachkollegen im zuständigen Ausschuss des Bundestages haben sich lange gegen die unsinnigen Reformversuche der großen Koalition und auch von Schwarz-Gelb eingesetzt. In unserem Antrag „Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt“ (Drucksache 18/1963) haben wir Grünen dargelegt, wie wir uns eine Reform des Arbeitslosengeld II vorstellen.

Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen zufriedenstellende beantworten konnte und bedanke mich ausdrücklich für Ihr Interesse.

Ihre Katharina Dröge

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