Frage von Tim G. •

Wie stehen die Grünen zur Abgeltungssteuer?

Sehr geehrte Frau Beck, aktuell schlagen Grüne Sozialabgaben auf Kapitalerträge vor (die es ausgerechnet auf Betriebsrenten u.ä. längst gibt -- für gesetzliche Versicherte, PKV-Mitglieder bleiben verschont). Warum haben die Grünen seinerzeit mit der SPD die Abgeltungssteuer eingeführt? Dadurch zahlt der Aktienerbe (und oft Grün-Wähler) nur 25 Prozent auf die Dividenden, während Chirurgin oder Ingenieur auf ihr hart erarbeites Arbeitseinkommen 42 Prozent plus Soli zahlen. Warum schlagen Sie nicht die Beseitigung dieser Ungerechtigkeit vor? Und warum kommen solche Vorschläge von den Grünen stets vor Wahlen, hört man aber hinterher nix mehr davon? Vermögenssteuer? Erbschafststeuerreform? Klimageld? Wo bleibt der Ausgleich für die CO2-Preise für Familien mit kleinen Einkommen? Wundern Sie sich, dass die Leute nach insgesamt zehn Jahren grüner Regierungsbeteiligung im Bund und solch unsozialer Politik lieber Populisten wählen bzw. sind solche Vorschläge nicht populistisch?

Portrait von Katharina Beck
Antwort von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sehr geehrter Herr G.

vielen Dank für Ihre Frage und Ihre Gedanken zu einer fairen Besteuerung von Kapital- und Arbeitseinkommen.

Die Abgeltungsteuer wurde 2009 im Zuge des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 eingeführt. Damals regierte in Deutschland eine große Koalition aus CDU und SPD unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Verabschiedung des Unternehmensteuerreformgesetzes erfolgte am 23. Mai 2007 gegen die Stimmen der damaligen Oppositionsparteien zunächst im Finanzausschuss, später dann auch im Bundestag.

Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben uns aus vielen Gründen gegen die Einführung einer Abgeltungsteuer ausgesprochen. Ihre Einführung war eine Konzession an die Finanzbranche und die Senkung des Steuersatzes sollte die Bereitschaft der Kapitalanleger erhöhen, Erträge in Deutschland zu versteuern. In diesem Zuge hätten sich die zu versteuernde Kapitalerträge erhöhen müssen. Das ist nicht eingetroffen; die Einnahmen sanken in den Folgejahren.

Darüber hinaus hat die Abgeltungsteuer unerwünschte Verteilungswirkungen, da sie regressiv wirkt. D.h., sie belasten Haushalte mit niedrigen Einkommen in Relation zum Einkommen erheblich stärker als Haushalte mit hohen Einkommen. Die Abgeltungsteuer verschärft die wirtschaftspolitischen Fehlentwicklungen, indem Gewinne aus Eigenkapital (Versteuerung mit persönlichem Einkommensteuersatz bzw. Körperschaft- und Gewerbesteuer) stärker besteuert werden als Gewinne aus Fremdkapital (Abgeltungssteuer). Außerdem liefert sie auch Fehlanreize auch in Bezug auf reale Investitionen: wenn der Steuersatz auf unternehmerische Investition größer ist als der Steuersatz auf Finanzinvestitionen, schwächt das die Anreize in Realinvestitionen.

Wie Sie schon erwähnt haben, wird Arbeitseinkommen höher besteuert als Kapitaleinkommen und das privilegiert vor allem sehr vermögende Personen. Nach einer Weile wurden sowohl von Seiten der SPD als auch der CDU Überlegungen laut die Abgeltungssteuer zu erhöhen oder wieder abzuschaffen. Auch wir Grünen setzen uns seit vielen Jahren für die Abschaffung der Abgeltungssteuer ein. Es ist jedoch aufgrund der vorgezogenen Neuwahl und der Schnelligkeit, mit der das neue Wahlprogramm entworfen wurde, nicht möglich gewesen, alle Punkte unterzubringen. 

Da mir das Thema Gerechtigkeit aber sehr am Herzen liegt, habe ich letztes Jahr mit meinem Kollegen Andreas Audretsch ein Papier zum Thema ,,Steuergerechtigkeit“ veröffentlicht, aus dem mittlerweile ein Beschluss der grünen Bundestagsfraktion geworden ist. Sie können ihn hier einsehen: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/dateien/downloads/autor_innenpapiere/beschl%C3%BCsse/Fraktionsbeschluss_Steuergerechtigkeit.pdf 
Im letzten Abschnitt ,,Einkünfte aus Kapital wieder fairer besteuern“ des Papiers heißt es: ,,Wir fordern daher eine Änderung der Besteuerung von Kapitaleinkünften, um eine gerechtere Verteilung der Steuerlast zwischen Löhnen und Gehältern auf der einen Seite und Kapitalerträgen auf der anderen Seite zu erreichen. Damit wäre sichergestellt, dass auch Kapitaleinkommen einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Gleichzeitig wollen wir Arbeitseinkünfte bei der Steuer- und Abgabenlast entlasten, dabei fokussieren wir auf untere und mittlere Einkommen.“ Welche steuerpolitischen Themen wir Grünen in einer Koalition umsetzen können, hängt auch immer von den geschlossenen Kompromissen mit den anderen Regierungsparteien ab. Das war in der Ampelkoalition nicht leicht. Sollten wir an der nächsten Regierung beteiligt sein, setzen wir uns um Bereich Steuern für folgende Ziele ein:

Wir möchten gegen die Konzentration von sehr hohen Vermögen vorgehen – in Europa hat Deutschland eine der ungleichsten Vermögensverteilungen. Wir haben gute Konzepte, die die Vermögensungleichheit effektiv reduzieren. Zu möglichen Ansätzen gehören: eine globale Milliardärsteuer, eine fairere Erbschaftssteuer, eine gerechte Immobilienbesteuerung ohne Schlupflöcher und eine nationale Vermögensteuer auf sehr hohe Vermögen. Wir wollen die Ziele Gerechtigkeit, Gemeinwohlfinanzierung und den Erhalt von Betrieben, ihren Investitionsmöglichkeiten und ihren Arbeitsplätzen zusammenbringen.

Das ist alles andere als einfach, aber wir möchten endlich etwas erreichen. Deswegen fokussieren wir uns auf folgende Maßnahmen: eine Reform der Erbschaftssteuer hin zu einem Modell mit personenbezogenem Lebensfreibetrag, weitgehender Streichung bestehender Ausnahmen für außerordentlich große Erbschaften (selbst bewohntes Eigentum bleibt befreit) und großzügigen Stundungsregelungen, aktiver Einsatz für die Einführung der globalen Milliardärsteuer sowie das Schließen weiterer offenkundiger Gerechtigkeitslücken im Steuersystem, vor allem bei der Immobilienbesteuerung wie Share Deals und beim Auseinanderklaffen der Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkünften.

Die Einnahmen der CO₂-Bepreisung von Gebäudewärme und Transport werden wir für sozial gerechten Klimaschutz ausgeben. Einen Großteil dieser Einnahmen möchten wir als sozial gestaffeltes Klimageld an Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen auszahlen. Für Menschen mit geringen Einkommen werden die CO₂-Kosten durch das Klimageld in den meisten Fällen mehr als ausgeglichen. Dabei soll das Klimageld gleichmäßig mit den Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung steigen. Das Klimageld soll in der nächsten Legislatur so schnell wie möglich eingeführt werden und dann direkt und ohne vorherige Beantragung auf das Konto eingehen.

Wir setzen uns für eine Finanzierung von Gesundheit und Pflege unserer Gesellschaft ein, die verlässlicher und gerechter ist als der Status quo. Basis hierfür ist eine faire Beteiligung aller Versicherten an der Finanzierung. Unser Ziel ist die Bürgerversicherung, die neben den gesetzlich Krankenversicherten auch die Privatversicherten in den solidarischen Finanzausgleich des Gesundheitssystems einbezieht. Auch in der Pflege wollen wir auf dem Weg hin zu einer Pflegebürgerversicherung mit einem Ausgleich zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung dafür sorgen, dass sich alle gerecht an der Finanzierung des Pflegerisikos beteiligen. So tragen Versicherte mit finanziell starken Schultern stärker zur Finanzierung von Pflege und Gesundheit bei als solche, die nur über geringe Einkünfte verfügen. Die Beitragsbemessung werden wir reformieren und beispielsweise auch Kapitaleinnahmen zur Finanzierung unseres Gesundheitsund Pflegesystems heranziehen. Damit schützen wir auch Löhne und Gehälter vor höheren Beitragsabgaben. Um freiwillig versicherte, geringverdienende oder in Teilzeit beschäftigte Soloselbstständige besser abzusichern, werden wir die Mindestbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung reformieren.

Ich habe mich gefreut, dass Sie sich an mich gewandt haben und hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen kann. Der Austausch mit Bürger*innen ist mir wichtig und kostbar. Wenn Sie regelmäßig über meine Arbeit in Hamburg und Berlin informiert werden möchten, können Sie sich gerne hier für meinen Newsletter anmelden. 

Herzliche Grüße
Katharina Beck

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