Frage an Karl Rombach von Jörn N. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Traub,
ich würde gerne wissen, wie sie zum dem Antrag stehen, der unter anderen von ihrem Landwirtschaftsminister in den Bundesrat eingebracht wurde, in dem von der Bundesregierung gefordert wird, eine rasche Gesetzesvorlage zu erstellen, welche die geltende Nulltoleranz für gentechnisch veränderte Organismen im Saatgut durch eine "für alle Wirtschaftsbeteiligten praktikable technische Lösung" ablöst.
Dabei besteht kein Grund, Schlupflöcher für die Missachtung eines strikten Reinheitsgebotes zu eröffnen. Die geltenden Vorschriften sind für die Saatgutunternehmen praktikabel und werden weitgehend eingehalten.
Die Einführung einer "technischen Lösung" hingegen würde bedeuten, Messverfahren so festzulegen, dass ein gewisses Maß an Gentechnikkontaminationen toleriert würde. Damit wird Gentechnik auf dem Acker unsichtbar und entzieht sich der Kontrolle.
Wird die Verunreinigung von Saatgut mit Gentechnik hingenommen, dann ist kein Acker mehr sicher. Die Bauern können nicht wissen, ob sich zum Beispiel auf ihrem Maisacker genmanipulierte Pflanzen befinden. Einmal auf dem Feld kann sich dieser GVO-Mais unkontrolliert ausbreiten. Letztlich landet die Gentechnik unbemerkt in unserem Essen – die Wahlfreiheit des Verbrauchers würde ad absurdum geführt.
Da Europa weitgehend frei von gentechnisch veränderten Pflanzen ist, besteht keine Gefahr, dass die bisherigen Regelungen sich technisch nicht fortführen lassen.
Ich würde gerne wissen:
Sind sie für oder gegen den Antrag?
Wie begründen sie ihre Entscheidung?
Wie stehen sie zu dem Vorwurf, dass der Antrag nicht aus Notwendigkeit sondern nur aus Lobbyinteressen entstanden ist?
Mit freundlichen Grüßen
J. Naber
Sehr geehrter Herr Naber,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema gentechnisch-verändertes Saatgut.
Gerne stelle ich Ihnen im Folgenden den aktuellen Sachstand dar:
Derzeit wird versucht, den Eindruck zu erwecken, die baden-württembergische Landesregierung habe ihre bisherige Haltung gegenüber gentechnisch verändertem Saatgut geändert und setze sich auf Bundesebene dafür ein, dass Saatgut nicht mehr frei von gentechnischen Verunreinigungen sein müsse. Diese Behauptungen entbehren jeglicher Grundlage. Bewusst oder unbewusst werden Falschinformationen verbreitet.
Aus diesem Grund hat heute der Amtschef des Ministeriums für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz, Dr. Albrecht Rittmann, erklärt: „Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine einheitlich festgelegten Regeln zur labortechnischen Untersuchung von eventuell gentechnisch verändertem Saatgut. Deshalb haben alle Länder (mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen) bei der Agrarministerkonferenz am 8. Oktober 2010 in Lübeck die Bundesregierung gebeten, im Vorgriff auf eine rechtliche Regelung, „eine für Wirtschaft und Überwachung praktikable Anwendung der Nulltoleranz zu ermöglichen“.
In diesem Sinne fassten die Amtschefs der Agrarressorts der Länder (mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen) am 20. Januar 2011 in Berlin folgenden Beschluss: „Nachdem nicht zu erwarten ist, dass die EU-Kommission einen eigenen Vorschlag zum Verwaltungsvollzug der Nulltoleranz für Saatgut vorlegt, bitten die Amtschefs der Agrarressorts der o.g. Länder die Bundesregierung, die angekündigte Allgemeine Verwaltungsvorschrift mit bundeseinheitlicher Regelung für den Saatgutbereich unter Beteiligung der Länder baldmöglichst zu erlassen. Sowohl in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift wie auch in allen anderen Fällen ist die Messmethode mit niedrigst möglicher Nachweisgrenze nach dem Stand von Wissenschaft und Forschung vorzusehen. Jedes hieraus resultierende positive Messergebnis eines nicht in der EU zugelassenen GVO löst die Vollzugsfolgen nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift aus. Die Bundesregierung wird gebeten, sich auf EU-Ebene für eine entsprechende Regelung einzusetzen, ohne die Nulltoleranz in Frage zu stellen.“
Zur Umsetzung dieses Beschlusses brachten die Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg in einem offenen Verfahren folgenden Antrag in den Bundesrat ein: „Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Wege der Ausgestaltung einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift eine für alle Wirtschaftsbeteiligten praktikable technische Lösung für die Nulltoleranz bei Saatgut baldmöglichst zu definieren. Hierfür sollten Probenahme und Nachweisverfahren anhand von wissenschaftlichen und statistischen Protokollen mit hoher Zuverlässigkeit sowie Maßgaben für die Ergebnisinterpretation definiert werden.“
Der Antrag wurde mit der Mehrheit der Länder angenommen.
Die Forderung nach einem Grenz- oder Toleranzwert oder gar einer Aufweichung der Nulltoleranz, wie behauptet, ist in dem Antrag nicht enthalten. Vielmehr geht es Baden-Württemberg darum, zuverlässige, rechtssichere und rechtsverbindliche Labormethoden und eine bundesweit einheitliche Vorgehensweise bei der Beprobung, Untersuchung und Interpretation der Ergebnisse festzulegen.
Weltweit gesehen werden inzwischen knapp 150 Mio. Hektar mit GVO-Pflanzen angebaut (im Vergleich: die landwirtschaftliche Fläche in Deutschland ca. 17 Mio. Hektar). Diese Anbaufläche verteilt sich fast vollständig auf die Kulturen Mais, Baumwolle, Reis und Raps.
Vor der Aussaat wird in jedem Frühjahr Maissaatgut auf GVO-Verunreinigungen untersucht. Baden-Württemberg untersucht hierbei rund 30 Prozent aller Proben in Deutschland und damit seit Jahren von allen Bundesländern mit Abstand am meisten Maissaatgutproben. Dies zeigt, wie wichtig dem Land das Thema GVO-Verunreinigungen ist.
Unabhängig davon gibt es seit Jahren Schwierigkeiten einer bundeseinheitlichen, rechtssicheren Vorgehensweise bei der Feststellung von GVO-Verunreinigungen im Labor und den darauf fußenden Verwaltungsanordnungen der Länder (die Bundesländer sind zuständig für den Verwaltungsvollzug des Gentechnikrechts). Gegen die Anordnungen wird regelmäßig Klage erhoben. Die hierzu vorliegenden Urteile zeigen ein uneinheitliches Bild.
Die Bundesregierung will daher im Rahmen einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift rechtsverbindliche Regelungen treffen, um einheitliche Labormethoden festzulegen. Die Landesregierung begrüßt dies und unterstützt die Bundesregierung in diesem Bemühen. Dies hat nichts mit einer „Aufhebung der Nulltoleranz“ zu tun, sondern mit dem Bemühen, die praktischen Schwierigkeiten, die bei der Feststellung von GVO-Verunreinigungen bestehen, zu lösen. Die Nulltoleranz ist im Gentechnikrecht festgeschrieben.
Mit dem Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg ist Baden-Württemberg führend bei der Analyse von Saatgut und hat massiv in die Analysetechnik investiert, um die Untersuchungsmethoden immer weiter zu verfeinern. Die Verwaltung und die wissenschaftlichen Einrichtungen im Land haben damit hohe Kompetenz bei der Feststellung von GVO-Verunreinigungen. Daher wissen wir aber auch, dass die derzeitige Situation bei der Untersuchung von Saatgut auf GVO-Spuren äußerst unbefriedigend ist, da sie mit rechtlichen, technischen und analytischen Unsicherheiten verbunden ist. Grundsätzlich gilt bei Analysen im Labor: Ein Ergebnis muss auch durch ein anderes Labor nachgeprüft und bestätigt werden können. Dies ist normales wissenschaftliches Vorgehen und Grundlage bei allen Schadstoff-Untersuchungen im Lebens- und Futtermittelbereich.
Ringuntersuchungen von verschiedenen akkreditierten Labors mit gleichem Probenmaterial haben in der Vergangenheit jedoch zu sehr uneinheitlichen Ergebnissen geführt. Falsch-positive oder falsch-negative Proben sind bei Werten im Spurenbereich nicht selten. Das heißt, es werden GVO-Spuren gefunden, obwohl die Probe nachweislich kein GVO enthielt oder es kann sein, dass keine GVO-Spuren gefunden werden, obwohl die Probe GVO enthielt.
Auf solch unsicheren Ergebnissen rechtssichere Verwaltungsverfahren zu begründen, ist äußerst schwierig und auch gegenüber den betroffenen Bürgern, Landwirten und Firmen schwer zu begründen. Da die Verfügungen auch spürbare wirtschaftliche Schäden bei den Landwirten oder Saatgutfirmen zur Folge haben, ist es nicht verwunderlich, dass Gerichte regelmäßig mit der Belastbarkeit von Untersuchungsergebnissen und dem daraus resultierenden Verwaltungshandeln befasst werden.
Das Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz will erreichen, dass bundeseinheitlich eine rechtlich verbindliche Probenahme von Saatgut erfolgt und entsprechende Labormethoden festgelegt werden, damit (bei Einhaltung hoher Standards – Laborakkreditierung) aus gleichen Proben wiederholbare und damit belastbare Ergebnisse erreicht werden. Auf dieser Basis kann die Verwaltung rechtssichere Anordnungen treffen, die auch vor Gerichten Bestand haben.
Wie schon in der Vergangenheit gilt auch dieses Jahr, dass Saatgut, das GVO-Verunreinigungen enthält, nicht in den Verkehr gebracht werden darf, das heißt es muss vom Saatguterzeuger zurückgenommen werden. Dies wird von den Verwaltungen der Länder überwacht.
Die Landesregierung hat in der laufenden Legislaturperiode im Landtag mehrfach das Vorgehen und die Sachverhalte detailliert in Stellungnahmen beantwortet. Daher ist es völlig unverständlich, wie nun behauptet werden kann, dass die Nulltoleranz in Frage gestellt werde. Der Bundesratsantrag enthält keinerlei Festlegung von Werten. Auch wurde der Antrag, um auch Ihre dritte Frage zu beantworten, in keinster Weise aus Lobbyinteressen heraus gestellt, sondern wir haben stets die Sicherheit des Verbrauchers im Blick.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Rombach MdL