Frage an Karl-Georg Wellmann von Jens von C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Wellmann,
am 10.11.2007 wandte ich mich per mail mit der Bitte um Darlegung Ihrer Sichtweise zur Thematik des Gesetzes zu Tele- kommunikationsüberwachung an Sie.
Dabei interessiert(e) mich besonders Ihre Stellungnahme - als Bundestagsabgeordneter und Anwalt - hinsichtlich der Tatsache, daß zukünftig Ärzten, Anwälten und Jour-nalisten der Vertrauens-schutz versagt wird, für Abgeordnete aber seine Geltung behält.
Ihren Darlegungen sehe ich weiterhin mit wachsendem Interesse entgegen und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Jens v. Coburg
Sehr geehrter Herr von Coburg,
für Ihre Frage vom 12.12.2007, mit der Sie die gesetzliche Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung kritisieren, danke ich Ihnen. Ich möchte dazu folgendes bemerken:
Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (BT-Drs. 16/5846; 16/6979), das vom Deutschen Bundestag am 9. November verabschiedet wurde, wird das Recht der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen der Strafprozessordnung (StPO) einer umfassenden Neuregelung unterzogen. Diese Neuregelung ist aus verschiedenen Gründen notwendig geworden. Dabei muss dem in der öffentlichen Diskussion vielfach erweckten Eindruck, aufgrund dieser Neuregelung könne nunmehr jeder voraussetzungslos von staatlichen Stellen abgehört werden, entschieden widersprochen werden. Grundvoraussetzung für die Anordnung von Telefonüberwachungsmaßnahmen ist nach wie vor, dass ein durch Tatsachen begründeter Verdacht für eine schwere Straftat vorliegt. Die Anordnung einer solchen Maßnahme unterliegt dabei grundsätzlich einem Richtervorbehalt.
Die Rechtspolitik bewegt sich im Bereich der Telekommunikationsüberwachung in einem Spannungsfeld. Dem Grundrechtsschutz der Bürger steht die ebenfalls verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung insbesondere schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des staatlichen Gemeinwesens hervorgehoben (BVerfGE 107, 299, 316 m. w. N.), weil ein solches Gemeinwesen anders gar nicht funktionieren kann. Grundrechtsschutz der Bürger und Strafverfolgungsinteresse des Staates müssen deshalb in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden. Der Staat darf bei dieser Abwägung allerdings nicht die Bedingungen für eine wirksame Strafverfolgung so ausgestalten, dass sie „zahnlos“ werden. Er kann nicht den Grundrechten einen absoluten Vorrang vor wichtigen Gemeinschaftsinteressen einräumen.
Verfahrensvorschriften müssen deshalb innerhalb der verfassungsrechtlich vorgegebenen Grenzen die Aufklärung strafrechtlich relevanter Sachverhalte wirksam ermöglichen. Ermittlungsinstrumente sollten daher aus rechtspolitischer Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht weiter beschränkt werden, als dies verfassungsrechtlich geboten ist.
Die stetigen technischen Weiterentwicklungen im Bereich der Telekommunikation und verwandten technischen Medien werden zunehmend zur Begehung von Straftaten genutzt. Diese Entwicklung bringt es mit sich, dass verdeckten Ermittlungsmaßnahmen eine wachsende Bedeutung für die wirksame Bekämpfung dieser Kriminalitätsformen zukommt. Die Erfahrungen aus der staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Praxis haben gezeigt, dass dies mit dem gegenwärtigen Instrumentarium der Strafprozessordnung nicht mehr optimal gewährleistet ist.
Mit dem Telekommunikationsgesetz werden verschiedene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Ausgestaltung von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen umgesetzt. Der Gesetz sieht umfassende Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, zur Kennzeichnungspflicht, zur Löschungspflicht und zur Verwendung von im Wege verdeckter Ermittlungsmaßnahmen erhobener Daten, sowie zur Schaffung wirksamer Rechtsschutzmöglichkeiten in diesem Bereich vor. So darf etwa die Anordnung einer Telefonüberwachungsmaßnahme grundsätzlich nur durch ein Gericht erfolgen. Sie ist nur zulässig in den gesetzlich benannten Fällen des § 100a StPO (schwere Straftaten), die auf andere Weise wesentlich schwerer oder nicht aufklärbar sind. Die richterliche Anordnung ist auf höchstens drei Monate befristet. Verlängerungen sind nur – ebenfalls auf höchstens drei Monate befristet – möglich, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung fortbestehen. Aufzeichnungen über Gesprächsgegenstände, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, sind unzulässig. Gleichwohl sind aufgezeichnete Gesprächsinhalte, die diesen Bereich betreffen, unverzüglich zu löschen. Nach Beendigung einer Maßnahme sind die davon Betroffenen im Regelfall zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Ermittlungszwecks möglich ist und dabei auf die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen, hinzuweisen.
Die beruflichen Zeugnisverweigerungsrechte der StPO (§§ 53, 53 a StPO) werden mit dem vorliegenden Gesetz nicht verändert. Vielmehr wird der Schutz der Berufsgeheimnisträger vor Ermittlungsmaßnahmen ausdrücklich normiert. Dabei sollen die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 StPO genannten Personen (Geistliche, Verteidiger, Mandatsträger jeweils bezüglich dessen, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist) einen absoluten Schutz genießen. Ermittlungsmaßnahmen sind in diesen Fällen unzulässig. Die übrigen in § 53 StPO genannten Berufsgeheimnisträger, sollen einen relativen Schutz genießen. Soweit sich aus einer Ermittlungsmaßnahme ihnen gegenüber Erkenntnisse ergeben würden, über die sie das Zeugnis verweigern dürften, ist die Zulässigkeit einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. Die Voraussetzungen für diese Verhältnismäßigkeitsprüfung sind im Übrigen im Laufe der Gesetzesberatungen nochmals verschärft worden. So sind verdeckte Ermittlungsmaßnahmen zu Straftaten, die nicht von erheblicher Bedeutung sind, bei diesen Berufsgeheimnisträgern in der Regel unzulässig. Der Gesetzgeber folgt mit dieser Differenzierung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 109, 279, 322 f).
Aus alledem ist ersichtlich, dass es bei dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung keineswegs darum geht, den „gläsernen Bürger“ zu schaffen. Vielmehr genügt das Gesetz den rechtsstaatlichen Anforderungen in vollem Umfang.
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Georg Wellmann, MdB