Frage an Karin Jöns von Jens S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Frau Jöhns Sie sind eine Vertreterin von Bremen. Das ist der Grund weswegen ich Sie anschreibe. Das Land Bremen hat im Bundesrat den Lissabonvertrag zugestimmt. Sie haben das sicherlich auch getan. Dabei gilt es Pro und Kontra beim Vertrag abzuwägen. Nach der Ablehnung der Iren, durch ein Referendum ist der Vertrag erstmals abgebremst worden. Nun hat man Zeit. die Politik gibt der irischen Regierung bis Herbst Zeit über ihr Votum nachzudenken. Der Inhalt des Vertrages bleibt gleich. Und so soll er auch von Irland letzendlich ratifiziert werden. Muss man der irischen Regierung nun Zugeständnisse machen? Und war das Referendum in Irland nicht ein Stolperstein, den man vorher aus Weg räumen sollte? Schließlich hatten nur die Iren die Möglichkeit über den Vertrag per Referendum zu entscheiden.
Mit freundlichem Gruß,
Jens Schnitker, Bremen
Lieber Herr Schnitker,
gerne übermittle ich Ihnen meine Einschätzung über das weitere Verfahren, aber auch über das "Warum" des irischen "Nein" zum Vertrag von Lissabon.
Sie haben recht, auch ich habe für den Vertrag von Lissabon gestimmt, denn der Vertrag ist nach dem Scheitern der Verfassung am seinerzeitigen "Nein" der Franzosen und Niederländer und den sich anschließenden bekanntermaßen schwierigen Verhandlungen nicht zuletzt auch mit dem Vereinigten Königreich und Polen ein guter Kompromiss. Europa wird mit diesem Vertrag demokratischer, transparenter, bürgernäher und handlungsfähiger.
Deshalb teile auch ich die Auffassung der großen Mehrheit des Europäischen Parlaments, der EU-Kommission sowie der Staats- und Regierungschefs, dass der Vertrag nicht wieder aufgeschnürt werden darf und dass der Ratifizierungsprozess dessen ungeachtet weiter gehen muss.
War das Referendum in Irland ein Stolperstein, den man hätte vorher aus dem Weg räumen sollen? Meine Antwort ist: "Nein". Irland ist der einzige Mitgliedstaat der EU, dessen Verfassung zwingend ein Referendum verlangt und somit ist das Abstimmungsergebnis zu respektieren und jetzt damit verantwortungsvoll umzugehen. Doch zunächst einmal muss sich die irische Regierung erklären. Sie muss einen Weg aus der Krise aufzeigen, in die das irische Votum die EU gestürzt hat. Über Zugeständnisse jetzt zu spekulieren ist müßig.
Zugeständnisse an Irland könnten aber nur bedeuten, dass Irland z.B. für eine bestimmte Zeit, es sei denn, es sollte eines Tages seinen Austritt aus der EU erklären wollen, wovon ich nicht ausgehe und was ich auch sehr bedauern würde, eine Sonderregelung in einem bestimmten Politikbereich zugestanden wird, was in Form eines Zusatzprotokolls zum Vertrag geschehen müsste. Zum anderen könnte aber auch vielleicht schon eine Erklärung der Staats- und Regierungschefs, die gewisse Präzisierungen oder festgeschriebenen Garantien für Irland enthalten würde, ein solches Zugeständnis darstellen.
Das irische Nein sollte aber der Politik zu denken geben, denn es ist Ausdruck eines tiefen Misstrauens in europäische Institutionen. Nach dem Motto: "Die da in Brüssel" sind an allem schuld. Die Hauptursache für das "Nein" der Iren scheint meiner Meinung nach nämlich darin zu liegen, dass zwar viel über Europa geredet wird, dass aber kaum darüber geredet wird, WARUM wir Europa brauchen, WAS Europa alles für uns tut, WIE in Europa entschieden wird und WESHALB Bürger durch Wahlbeteiligung hierauf Einfluss nehmen sollten! Das irische "Nein" verkörpert ein Kommunikationsproblem, das es nicht nur in Irland gibt. Hier ist aber nicht nur die europäische Ebene gefordert. Auch die Staats- und Regierungschefs, die Minister und Abgeordneten der nationalen und regionalen Parlamente sind aufgefordert, die Kommunikation über Europa mit den Bürgern und Bürgerinnen zu verbessern. Denn wer sagt zu Hause schon mal, wenn es um eine von Bürgern und Bürgerinnen begrüßte Gesetzesnovellierung geht, dass es sich dabei um die Umsetzung einer EU-Richtlinie handelt? Erfolg wird nur ungern geteilt.
Wir müssen in IRLAND, aber auch in den anderen Mitgliedstaaten klar machen, dass Nationalismus, Abschottung und Entsolidarisierung keine Antwort auf die großen Herausforderungen von heute sind. Die Herausforderungen der Globalisierung, der Klimawandel, das Problem knapper werdender Ressourcen und der Kampf gegen organisierte Kriminalität und internationalen Terrorismus bedürfen gemeinsamer europäischer Anstrengungen - das gilt es in allen Mitgliedstaaten beherzt zu vermitteln. Europa ist nicht nur das größte, sondern auch das erfolgreichste Friedensprojekt der Welt - und was es bedeuten würde, wenn dieses Projekt auseinander bräche, das gilt es m.E. nach besser zu kommunizieren, auch und gerade in Irland.
In der Hoffnung, Ihre Fragen hiermit beantwortet zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen.
Ihre Karin Jöns