Frage an Karin Jöns von Peter W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Jöns
ich möchte auf eine Besonderheit im Zusammenhang mit dem sogenannten " Meisterzwang" in einigen berufen, speziell im Bereich des Friseurhandwerkes hinweisen. Dieser Beruf, der immer noch nicht ein ausreichend hohes Einkommen vorsieht ( Minijob, Gleitzohne oder auch Dauerpraktikant) ermöglicht den Willigen ohne Meisterabschluss nur annähernd einen Start in die Eigenständigkeit. Bürger der Bundesrepublik müssen mindestens 6 Jahre Gesellentätigkeit, dazu mehrere Jahre leitende Aufgaben und ein gewisses Maß an kaufmännischem Wissen nachweisen. Bürger anderer EU - Nationen belegen lediglich einen nichtamtlichen Beweis ihrer Friseurausbildung und eine gewissen Arbeitszeit um sich selbstständig zu machen. Frage: Benachteiligung, oder gewollt? Zwar ist eine Lockerung für Mobile Friseure erfolgt, aber Friseure, die sich durch Selbstständigkeit aus ihrer Arbeitslosigkeit befreien möchten, mögen bitte erst einmal vor der Handwerkskammer entsprechende Befähigungen ablegen ( gegen Gebühr versteht sich). Unabhängig einmal von dem Sinn, oder Nichtsinn des Meisterzwanges im Friseurhandwerk, scheint eine Regelung, die EU Bürger unterschiedlich bewertet nicht sehr demokratisch. Auch wenn diese Regelung höchst richterlich bestätigt wurde, ruft sie Unverständnis hervor. Meine Frau, die sich nach 33 Berufsjahren selbstständig machen wollte, da ihre Philosophie mit den Arbeitsideen der Billigketten unvereinbar ist, wurde eine Extraprüfung vor der Handelskammer angeordnet. Kosten ca. 600,-€.Zwar war meine Frau 6 Jahre als Salonleitung tätig, aber ein kaufmännisches Wissen wurde bezweifelt. Nicht so bei den anderen EU Bürgern. Die benötigen den kaufmännischen Wissensbeweis nicht. Ebenso wird dieses Kaufmannswissen bei allen anderen "freien" Berufen nicht erfragt. Also Meisterzwang als Gängelung ? Meine Frau riet mann/frau doch z,B. nach polen oder Portugal zu ziehen. Dort könne sie dann ihren Friseursalon errichten. Ich freue mich auf Antwort.
Peter Wagner
Sehr geehrter Herr Wagner,
auch ich halte die Meisterprüfung für längst überholt und begrüße die, in den letzten Jahren stattgefundenen Lockerungen. In Bezug auf die Niederlassungsfreiheit im EU-Binnenmarkt, bedeutete der Meisterzwang bis zur Reform der Handwerksordnung von 2004 in der Tat, dass den eigenen Staatsbürgern/innen erheblich höhere Auflagen abverlangt werden durften, denn was man seinen eigenen Staatsbürgern an Qualifikationen auferlegt, fällt unter die immer wieder auch von Deutschland in Europa eingeforderte Subsidiarität. D.h. auch in Zukunft können von den eigenen Staatsbürgern/innen auf nationaler Ebene höhere Auflagen verlangt werden. Hier muss sich also nicht Europa sondern das deutsche Handwerk bewegen.
Und ein wenig hat es dies ja inzwischen auch getan, um eben der Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt Rechnung zu tragen. War es früher für die eigenen Staatsbürger/innen, d.h. zum Beispiel für in Deutschland ausgebildete Friseure und Friseurinnen, zwingend erforderlich, vorher die Meisterprüfung abgelegt zu haben, um sich selbständig zu machen, so gilt jetzt die Altgesellenregelung.
Danach muss, wie Sie ja selbst schreiben, Ihre Frau nun nicht den Meistertitel vorweisen, sondern stattdessen insgesamt sechs Jahre Berufserfahrung, davon vier Jahre in leitender Stellung. Den Meisterzwang als Voraussetzung für die Selbständigkeit gibt es also nicht mehr! Dass dies so ist, verdanken wir einzig und allein der fortschreitenden europäischen Integration.
Dass von Ihrer Frau eine Extraprüfung vor der Handelskammer gefordert wird, um entsprechendes kaufmännisches Wissen als Voraussetzung für die Selbständigkeitsbefähigung einer Friseurin nachzuweisen, obwohl Ihre Frau 6 Jahre lang eine Salonleitung innehatte, ist ungewöhnlich. Es erklärt sich aber daraus, dass nach der nationalen Ausbildungsverordnung im Einzelfall, sofern davon ausgegangen wird, dass die kaufmännischen Kenntnisse während dieser Zeit nicht ausreichend erworben werden konnten, eine solche Prüfung vorgesehen werden darf. Das Verlangen einer solchen Prüfung liegt im Ermessensspielraum der zuständigen Kammer. In der Regel gelten aber die verlangten kaufmännischen Kenntnisse durch die vorausgesetzte Berufserfahrung als nachgewiesen. Von daher sollte Ihre Frau noch einmal nachhaken und eine schriftliche Begründung erbitten.
Übrigens: Die Handwerkskammer kann eine solche Prüfung aber auch von ausländischen Friseuren/ innen, die in Deutschland einen Friseursalon eröffnen wollen, verlangen. Ebenso müssen sich ausländische Friseure/innen, die sich in Deutschland niederlassen wollen, ihre Ausbildung und Befähigung von der zuständigen deutschen Handwerkskammer anerkennen lassen, was nicht weniger aufwändig ist als für inländische Bürger. Letztlich gilt bei der Niederlassungsfreiheit, dass sich im EU-Ausland nur niederlassen darf, wer hierzu bereits in seinem eigenen Land die Befähigung besaß. Andernfalls können entsprechende zusätzliche Prüfungen vor Ort nach dortigem Recht verlangt werden.
Dies würde im umgekehrten Fall auch für Ihre Frau gelten, wenn sie sich im Ausland niederlassen wollen würde, so dass der Ratschlag an Ihre Frau, sie möge doch nach Polen oder Portugal ziehen, mit Verlaub, doch ein eher polemischer Ratschlag ist.
Sehr geehrter Herr Wagner, ich hoffe mit diesen Zeilen deutlich gemacht haben zu können, dass der schwarze Peter hier nicht bei Europa sondern zuhause liegt.
Mit freundlichen Grüßen,
Karin Jöns