Wie kann die Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Politik optimiert werden, um deren Wirksamkeit und Relevanz zu maximieren?
Sehr geehrter Herr M.
bevor wir überlegen, wie wir die Integration wissenschaftliche Expertise in der Politik weiter optimieren können, müssen wir zuvorderst dafür sorgen, dass Wissenschaft und Forschung als Grundlage unserer Entscheidungsfindungen allseitig anerkannt und geachtet werden – denn gerade das steht seitens einzelner gesellschaftlichen Gruppen zunehmend auf dem Spiel und wird in Frage gestellt:
Anders formuliert: Politische Entscheidungen sollten auf der Grundlage von Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen werden, also evidenzbasiert. Leider beobachten wir, dass zunehmend gezielt Fake News, „alternative Fakten“, also Lügen und Desinformationen verbreitet werden.
Das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung ist in Deutschland nach wie vor hoch. Insbesondere formal gering gebildete Teilen der Bevölkerung vertrauen jedoch leider weniger in Wissenschaft und Forschung. Diesen Vertrauensverlust zeigt u.a. das von „Wissenschaft im Dialog“ jährlich veröffentlichte „Wissenschaftsbarometer“. Wenn mehr Menschen wissenschaftliche Fakten nicht mehr als „common ground“ anerkennen, auf dessen Basis wir Entscheidungen treffen, gerät gesellschaftspolitisch vieles ins Wanken.
Wissenschaftsfeindlichkeit zeigt sich nicht nur in Fakes, sondern hat sich längst seinen Weg in die Parlamente gebahnt. Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung erlebe ich leider immer wieder, wie die AfD versucht, wissenschaftliche Erkenntnisse und ganze Disziplinen zu diskreditieren, die nicht ins ideologische Weltbild dieser rechtsextremen Fraktion passen: Sei es die Klimaforschung, Sozial- und Geschichtswissenschaften oder Geschlechter-Studien. Das sehe nicht nur ich mit großer Sorge. Dieser „Common Ground“ darf nicht erodieren.
Als Grüne im Bundestag wollen wir den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft mit der Förderung von wirksamer Wissenschaftskommunikation stärken. Das schafft Vertrauen in Wissenschaft und ist ein wirksames Mittel gegen Fakes, Verschwörungsideologien und Desinformation.
Denn ohne Wissenschaft und Forschung können wir die großen Herausforderungen unserer Zeit und Zukunft nicht bestehen.
Als Politik – als Fraktion, im Ausschuss, als einzelne MdB – tauschen wir uns regelmäßig mit Forschenden aus. Wissenschaftler*innen nehmen beispielsweise regelmäßig an Anhörungen der Ausschüsse teil, um ihre wissenschaftliche Expertise und gesicherte Erkenntnisse einzubringen. Eine gute wissenschaftliche Politikberatung sollte verstärkt inter- und multidisziplinär angelegt sein und die Vielfalt wissenschaftlicher Perspektiven widerspiegeln, unabhängig und auf der Basis von hohen wissenschaftlichen Standards arbeiten, der Politik Orientierungswissen bieten, Chancen und Risiken abwägen und über Handlungsszenarien und -optionen informieren. Ein gelungenes Beispiel dafür ist der Corona-Expertenrat, der zwischen Dezember 2021 und April 2023 regelmäßig tagte. Die Schaffung weiterer solcher Gremien zu den großen Herausforderungen unserer Zeit wäre sicherlich eine Überlegung wert.
Als Ausschuss sind wir auch für die Technikfolgenabschätzung zuständig, im Rahmen des wir zu neuen Technologien wissenschaftliche Gutachten für das gesamte Parlament in Auftrag geben und in den parlamentarischen Beratungsprozess einspeisen. Hierbei geht es um Forsight, eine fundierte Chancen-Risiko-Abwägung sowie um sozio-technische Innovationspotenziale neuer Technologien. Mehr Infos finden Sie hier:
https://www.tab-beim-bundestag.de/index.php
Es braucht auf allen Ebenen ein solides Grundwissen über die Funktions- und Arbeitsweisen von Wissenschaft. Dieser Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gelingt vor allem auch mit partizipativen Formaten wie Citizen Science, Reallaboren und Experimentierräumen. Davon braucht es mehr. Ebenso wie einen unabhängigen Wissenschaftsjournalismus, der aus der Forschungswelt berichtet. Wir als GRÜNE im Bundestag setzen uns daher auch für eine unabhängige und staatsferne Stiftung ein, die Innovationen im Wissenschaftsjournalismus fördert.
Für eine evidenzbasierte Politik müssen Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft miteinander im Dialog stehen.
Mit freundlichen Grüßen
Kai Gehring