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Frage von Ralf K. •

Frage an Jürgen Kucharczyk von Ralf K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo, Herr Kucharczyk,

zunächst muss ich ich Ihnen sagen, dass Ihre Antwort an Frau Weil alles andere als angemessen ist.

Warum? Einige Fragen werden hier vielleicht weiter helfen.

1. Sehen Sie in der Tatsache, dass die EP-Abgeordneten, die vor dem Bundestag den Lissabon-Vertrag durchwinkten, nur von 43% der deutschen Wahlbevölkerung in 2004 gewählt wurden, und damit natürlich nur eine Minderheit vertreten, kein Legitimationsproblem des gesamten Prozesses?

Sie gerieren sich als Demokratiekenner ("Demokratie heißt nicht notwendigerweise, dass Volksentscheide zugelassen sind"), klammern hierbei aber die Frage demokratischer Legitimation von Volksvertretern vollkommen aus. Dies führt zu meiner nächsten Frage:

2. Gibt es für Sie eine Grenze, ab der ein Wahlboykott den Parlamentariern das Recht entzieht, in unser aller Namen derart schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, wie sie der Lissabon-Vertrag mit sich bringt?

57% Boykott scheinen Ihnen, wie den meisten Parlamentariern, hier ja noch nicht zu reichen.

Ihre Auffassung, dass der Lissabon-Vertrag deutsche Rechtsnormen nicht aushebelt, teilen offenbar weder BVG noch der Herr Bundespräsident in dieser Deutlichkeit, andernfalls er längst ratifiziert wäre.
Übrigens: bereits der Vertrag von 2004 wurde durch Deutschland nicht ratifiziert, da das BVG dem Bundespräsidenten untersagte, seine Unterschrift unter das entsprechende Gesetz zu setzen.
Die Klagen von Gauweiler/Schachtschneider und DIE LINKE (welch eine Koalition in dieser Frage!) werden hier Klarheit bringen. Es besteht Hoffnung, dass das BVG, im Gegensatz zu unseren Parlamentariern seit Jahren letzter Verteidiger unserer Verfassung, seiner Entmachtung nicht zustimmt.

Mit demokratischen Grüssen
Ralf Kulikowsky

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Kulikowsky,

nachfolgend möchte ich auf Ihre Hauptfragen eingehen:

Durch Wahlen können die Bürgerinnen und Bürger innerhalb unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung ihre Souveränität als Volk ausüben, indem sie ihre Volksvertreter in den verschiedenen Parlamenten als Repräsentanten bestimmen. Als gewählter Volksvertreter bin ich stets daran interessiert, die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger am politischen Prozess zu fördern, um durch eine möglichst hohe Wahlbeteiligung politische Entscheidungen auf einer breiten Legitimationsbasis zu fundieren.
Nichts desto trotz basiert das Prinzip der Souveränitätsausübung auf dem Wahlrecht. Niemand kann zur Partizipation am politischen Prozess gezwungen werden. Das Wahlrecht stellt insgesamt ein hohes Gut unserer Verfassung dar. Es ermöglicht einerseits die Ausübung der Souveränität der Bürger ohne sie andererseits in ihrer Freiheit der Selbstbestimmung einzuschränken. Niedrige Wahlbeteiligungen sind also aus Sicht der politischen Legitimation zwar nicht wünschenswert, müssen jedoch als Recht der Bürger, sich am politischen Prozess nicht beteiligen zu wollen, akzeptiert werden. Die etwaige Problematik von „Minderheitendemokratien“ ist im Übrigen kein ausschließliches Problem der repräsentativen Demokratie. Auch in Prozessen der direkten Demokratie kann es zu Problemen von niedriger Wahlbeteiligung sowie zu einer Umsetzung von Interessen einer gut organisierten Minderheit kommen. Ich halte eine Untergrenze bei Wahlbeteiligungen für nicht angemessen, da es das hohe Gut des Wahlrechts einschränken würde. Nicht-wählen muss nicht zwingend mit „Boykott“ gleichzusetzen sein, sondern kann auch Ausdruck eines grundlegenden politischen Desinteresses sein. Dennoch werde ich mich weiterhin dafür einsetzen im Rahmen meiner Willensbildungs- und meiner Artikulationsfunktion als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, politisches Interesse zu vermitteln sowie die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu vertreten.

In Bezug auf den Lissabonvertrag sehe ich die Gefahren einer „Entmachtung“ unserer Verfassung nicht. Im Gegenteil bin ich davon überzeugt, dass durch den Lissabonvertrag die Werte und Normen der deutschen Verfassung auf einer breiten europäischen Basis verankert werden.

Mit freundlichen Grüßen,

Jürgen Kucharczyk, MdB