Frage an Jürgen Kucharczyk von Marion G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kucharczyk,
Wie stehen Sie dazu das die Bürger so wie in anderen EU Ländern über die EU Verfassung und andere wichtige Themen abstimmen sollten?Das würde den Glauben an die Demokratie bei den Bürgern stärken.Natürlich müßten die Abgeordneten vorher die Bürger informieren.Im Moment ist es doch so das auch viele Abgeordnete die im Bundestag abstimmen, auch nicht immer Ahnung von der Marterie haben.Ich weiß,unser Grundgesetz gibt das nicht her.Der Spruch ist ziemlich ausgeleiert.Dann muß man sehen das man eine Mehrheit für eine Änderung findet.Besser, als wenn die Bürger in ihrer hilflosigkeit die rechten Parteien wählen,oder?Die Probleme der Bürger interessiert die Politik doch nur vor Wahlen.Das reicht nicht.
Sehr geehrte Frau Grün,
vielen Dank für Ihre E-Mail, in der Sie sich für eine häufigere Anwendung von Volksabstimmungen bei bestimmten Themen aussprechen.
Das Grundgesetz wurde vor allem durch die Erfahrungen der labilen Demokratie der Weimarer Republik und den Erfahrungen im Dritten Reich geprägt. Über die Einhaltung des Grundgesetzes wacht das Bundesverfassungsgericht, dessen Urteile Gesetzeskraft haben. Die Änderung des Grundgesetzes, geregelt in Artikel 79, ist nur unter engen Voraussetzungen möglich. Ein plebiszitäres Element, das das Volk in der Weimarer Republik berechtigte, Gesetze zu verabschieden, ist im Grundgesetz auf Bundesebene nicht vorhanden. Da dieses Element von verfassungsfeindlichen Parteien immer wieder zu Zwecken der Propaganda missbraucht worden war, verzichtete der Parlamentarische Rat darauf. Heute werden lediglich in zwei Bereichen Plebiszite angewandt. Einmal zur Neugliederung des Bundesgebietes und zur Verabschiedung einer Verfassung. Beide Bereiche haben im alltäglichen Leben jedoch eine sehr geringe Bedeutung.
Einige Textpassagen im GG werden gelegentlich dahingehend interpretiert, nur eine direkt – also plebiszitär – beschlossene Verfassung erfülle das staatsrechtliche Programm des Grundgesetzes und der provisorische Zustand sei weiterhin gegeben. Mehrheitlich wird in der Staats- und Rechtswissenschaft darin jedoch kein demokratisches Defizit gesehen, denn das Prinzip der Repräsentativen Demokratie, das hier letztlich zur Anwendung kommt, sei qualitativ und demokratietheoretisch nicht mangelhaft, sondern eine graduelle und systematische Grundentscheidung.
Trotz der bestehenden Rechtslage befürworte ich eine stärkere Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern, auch in Form von Volksabstimmungen. Um dies erreichen zu können, müssen aber die strengen Voraussetzungen des Art.79 GG eingehalten werden, d.h. für eine Änderung des GG ist eine Zweidrittel- Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages notwendig. Dies ist aber bedauerlicherweise mit unserem derzeitigen Koalitionspartner nicht zu erreichen.
Jedoch erachte ich es als positiv, dass es bereits auf der Länder- und Kommunalebene einiger Bundesländer vermehrt zum Einsatz plebiszitärer politischer Beteiligungsmöglichkeiten kommt. Leider kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt keine anderen Auskünfte übermitteln.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Kucharczyk MdB