Frage an Jürgen Kucharczyk von Andreas K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Herr Kucharczyk,
zunächst möchte ich Ihnen und Ihren MitarbeiterInnen einen schönen Feiertag wünschen.
Meine Frage bezieht sich, angesichts der bevorstehenden Europawahlen, auf das demokratische Konzept der SPD für Europa.
In repräsentativen Demokratien - namentlich der unseren - ist eine steigende Frustration über Politiker, sowie niedrige Wahlbeteiligung als Ausdruck derselben feststellbar. Das mag manchmal gerechtfertigt sein, ist jedoch oft jedoch sicherlich den vorgegebenen Bahnen und Strukturen geschuldet, für die Sie gar nichts können.
An anderer Stelle haben Sie bereits ausgeführt, dass eine direkte Demokratie kein Garant für eine hohe Wahlbeteiligung ist.
Andererseits ist etwa die Schweiz - bei aller Diskussion über deren Bankgeheimnis - ein Beispiel für eine historisch erfolgreiche und wandlungsfähige Demokratie. Bürger, die hier frustriert sind, weil die Politiker sich nicht so verhalten, wie sie sich das vorstellen, können dort direkten Einfluss auf politische Prozesse nehmen, indem sie sich selbst mit einzelnen politischen und rechtlichen Fragen auseinandersetzen und dazu votieren können.
Geführt hat das zu einem - meiner Meinung nach, unter Bezug auf das in Zahlen messbare Wohlstandsniveau und unter dem Eindruck von Sendungen des SF - sehr hohen zivilisatorischen Niveau. Populistisches Geschrei nach Außen jedenfalls war von dort meiner Erinnerung nach meist nicht zu vernehmen, wenn auch die vielschichtigen ethnischen Bezüge sicherlich zu einer Sondersituation führen.
Vor diesem Hintergrund denke ich - nicht nur - an die EU und befürworte ausdrücklich die Einführung direktdemokratischer Verfahren. Meine Frage an Sie: Halten Sie die Implementation direktdemokratischer Aspekte in der EU ebenfalls für sinnvoll und vorstellbar? Wird die SPD einen entsprechenden Prozess begleiten und unterstützen?
Mit freundlichen Grüßen
Berlin, 26. Juni 2009
Sehr geehrter Herr Knappe,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 1. Juni 2009, die mich über abgeordnetenwatch.de erreichte.
Europa ist zusammengewachsen. Es ist friedlich und wohlhabend. In der EU haben wir eine gemeinsame Währung, viele Freiheiten und keine Grenzen. Trotzdem ist die Freude an Europa häufig der Skepsis gewichen. Die SPD-Bundestagsfraktion kämpft deshalb für mehr Demokratie und Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in der EU.
Der Reformvertrag von Lissabon enthält wichtige Neuerungen, die die europäischen Institutionen demokratischer, effizienter und transparenter machen. Schauen wir auf Ihre Forderung nach mehr Demokratie: Die Bürger Europas sollen sich künftig direkt in die EU-Politik einmischen können: Es wird das Europäische Bürgerbegehren (Art. 11, EUV) eingeführt. Sobald mehr als eine Million Bürger durch ihre Unterschrift ein politisches Anliegen unterstützen, muss die Europäische Kommission dieses auf die politische Agenda setzen. Die Bürgerinnen und Bürger gewinnen auch an Entscheidungsmacht durch die Stärkung des Europäischen Parlaments. In Zukunft entscheidet bei ca. 95 Prozent der EU-Gesetze das Europäische Parlament mit. Damit werden Sie über Ihren direkt gewählten Vertreter im Europäischen Parlament mehr Einfluss auf Gesetze gewinnen. Ein weiterer Erfolg für die Demokratie in Europa ist die Verabschiedung einer Charta der Europäischen Grundrechte. Mit dem Grundrechte-Katalog werden Bürgerrechte und Freiheiten erstmals im Europa-Vertrag verankert. Die Charta umfasst 54 Artikel, die an das deutsche Grundgesetz erinnern. Der Schutz der Grundrechte in Deutschland wird ergänzt – nicht ersetzt!
EU-weit gelten künftig die gleichen Grundrechte.
Aus Sicht des Bundestages ist auch wichtig, dass der Vertrag von Lissabon Regeln enthält, damit politische Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen werden. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass die Menschen in Deutschland und Europa den Reformvertrag von Lissabon brauchen. Der Ratifizierungsprozess muss fortgeführt und abgeschlossen werden. Dies wäre ein wichtiges Zeichen, das deutlich macht, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten weiterhin eine starke EU will.
Darüber hinaus gibt es fortlaufend Gespräche über weitere Elemente direkter Demokratie für Europa, die die SPD-Bundestagsfraktion in späteren Verhandlungen berücksichtigt wissen möchte.
Gern können Sie mich auch an einem der SPD-Infostände im Bundestagswahlkampf in Remscheid ansprechen. Ich freue mich auf unser Gespräch.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Kucharczyk, MdB