Frage an Josip Juratovic von Larry M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Juratovic,
als ehemaliges SPD-Mitglied musste ich mit Bedauern feststellen, dass die SPD dem Zugangserschwerungsgesetz fast vollständig zugestimmt hat.
Ungeachtet der (falls überhaupt noch vorhandenen) politischen Position der SPD muss ich dennoch folgende Fragen an Sie richten:
- In welchem Ausmaß hat der Fraktionszwang zu Ihrem Abstimmungsverhalten geführt?
- Stehen Sie tatsächlich hinter einem Gesetz, welches Bürgerrechte einschränkt, Zensur als Vorstufe legalisiert und als absolut wirkungslos zu betrachten ist?
- Wurde in den Debattten zum Gesetzesentwurf erwähnt, dass derartige Sperren ohne jede große Grundkenntnis in wenigen Sekunden umgangen werden kann?
- Sind Sie sich darüber bewußt, dass dieses Gesetz nichts anderes aussagt als "der Staat schaut weg und zwingt alle Bürger dazu, ebenfalls wegzuschauen"?
- Wird den Opfern von Gewalttaten hierdurch ein wirksamer Schutz geboten?
- Wie würde Ihr Abstimmungsverhalten aussehen, wenn dieser Entwurf erst jetzt unter einer schwarz-gelben Regierung vorgebracht werden würde?
Viele Grüße aus dem Wahlkreis
Sehr geehrter Herr Münzenmay,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Zugangserschwerungsgesetz. Dieses Gesetz hat viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommen. Darüber freue ich mich, und wünsche mir eine solche öffentliche Auseinandersetzung bei noch viel mehr Gesetzen.
Bei der Debatte um das Zugangserschwerungsgesetz sind jedoch auch einige Fakten durcheinander geraten. Gerne gebe ich Ihnen darüber Auskunft, warum ich für dieses Gesetz gestimmt habe.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Was in der wirklichen Welt verboten ist, sollte auch im Internet verboten sein. Wer Kinderpornografie bekämpfen möchte, muss dies auch im Internet tun. Dies ist der Grundsatz des Zugangserschwerungsgesetzes.
Ich habe dem Gesetz nur zugestimmt, da die SPD durchgesetzt hat, dass die so genannten Internetsperren im neuen Zugangserschwerungsgesetz verankert sind und nicht durch eine Gesetzesänderung in das Telemediengesetz aufgenommen werden. Dadurch wird klargestellt, dass nur eine Sperrung von Internetseiten mit Kinderpornografie ermöglicht wird, nicht jedoch von anderen Inhalten. Dieses Gesetz tritt automatisch am 31. Dezember 2012 außer Kraft, sodass eine Evaluation durchgeführt werden kann und auf dieser Basis erneut entschieden werden kann.
Zudem hat die SPD durchgesetzt, dass beim Datenschutzbeauftragten des Bundes ein unabhängiges Gremium bestellt wird, dessen Mitglieder mehrheitlich die Befähigung zum Richteramt haben müssen. Das Gremium kontrolliert die BKA-Liste mit den gesperrten Seiten regelmäßig und kann sie jederzeit einsehen und korrigieren. Es wird verankert, dass gegen die Aufnahme in die Sperrliste der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.
Das Zugangserschwerungsgesetz dient ausschließlich der Prävention. Verkehrs- und Nutzungsdaten, die aufgrund der Zugangserschwerung bei der Umleitung auf die Stopp-Meldung anfallen, dürfen nicht für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden. Damit wird auch ausgeschlossen, dass sich durch Spam-Mails fehlgeleitete Nutzer einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt sehen. Zudem ist keine Speicherung personenbezogener Daten bei den Internetprovidern vorgesehen.
Grundsätzlich sind wir für eine Löschung kinderpornografischer Inhalte im Internet. Die Aufnahme in die Sperrliste des BKA erfolgt nur, soweit zulässige Maßnahmen, die auf eine Löschung abzielen, keinen Erfolg haben.
Die Sperrung kann und wird die Nachfrage dämpfen. Auch wenn man mit einer solchen Zugangssperre nicht jegliche Verbreitung im Internet ausschließen, sondern nur erschweren kann, ist es wichtig, die Hemmschwelle und damit die Sensibilität im Umgang mit solch kriminellen Inhalten deutlich zu erhöhen.
Sie sehen: Das Zugangserschwerungsgesetz ist kein Einstieg in die Zensur. Vielmehr wird derjenige belangt, der das Internet als Raum für Straftaten nutzt - ebenso, wie er auch in der ,realen Welt´ belangt werden würde. Datenschutz und Rechtsschutz sind gewährleistet. Und die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet wird deutlich erschwert.
Im Koalitionsvertrag 2005 hatten wir festgeschrieben, dass CDU/CSU und SPD stets gemeinsam abstimmen. Das ist sinnvoll, denn das gewährleistet eine starke und handlungsfähige Regierung. Das bedeutet aber auch, dass wir uns bei jedem Gesetz auf einen Kompromiss einigen mussten. Es liegt in der Natur des Kompromisses, dass er sich von der jeweiligen Parteiposition unterscheidet. Ich finde jedoch, dass wir beim Zugangserschwerungsgesetz einen guten Kompromiss erzielt und als SPD unsere jeweiligen Forderungen durchgesetzt haben. Deswegen stehe ich zu meiner Entscheidung.
Die Frage, wie ich über diesen Entwurf unter Schwarz-Gelb abgestimmt hätte, stellt sich gar nicht. Schwarz-Gelb hat als Geschenk für die FDP in den Koalitionsverhandlungen beschlossen, die Internetsperren auszusetzen. Mit der Begründung, dass stattdessen kinderpornografische Inhalte gelöscht werden sollen. Das ist ein äußerst einfacher Bluff, denn das Prinzip "Löschen vor Sperren" ist aufgrund von SPD-Bemühungen bereits Inhalt des Gesetzes. Die Seiten, die auf die Sperrliste kommen sollten, liegen auf ausländischen Servern und können aufgrund deutscher Gesetzgebung gar nicht gelöscht werden. Daran kann auch Schwarz-Gelb nichts ändern. Um die Bekämpfung von Kinderpornografie effizient zu gestalten führen wir sie auf mehreren Ebenen und mit einer Vielzahl von Maßnahmen. Ohne die Internetsperren fehlt eine dieser Maßnahmen.
Mit freundlichen Grüßen
Josip Juratovic