Joseph Wandl
DIE LINKE
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Frage von Daniel B. •

Frage an Joseph Wandl von Daniel B. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Dr. Wandl,

Sie schreiben in einem ihrer obigen Argumentationen, dass es Schülern aus sozial schwachen Familien in Deutschland gar nicht, nur teilweise oder aber zumindest nur erschwert möglich ist in der heutigen Zeit zu akademischen Weihen (überspitzt formuliert) zu kommen.

Ferner beschreiben Sie Ihre Situation als Vater zweier studierender Töchter.

Ist es in der BRD nicht so, dass jede Familie, abhängig vom monatliche Einkommen, BaföG erhält um es ihren Kindern zu ermöglichen studieren zu können. Und es ist nicht so, dass Familien mit niedrigem Einkommen von den Studiengebühren befreit werden?

Meine Lebensgefährtin z. B. hat 8 Geschwister von denen 6 studiert haben bzw. 4 noch immer studieren. Ihr Vater war Beamter im mittleren Dienst. Vermögend ist dieser im übrigen nicht. Die Mutter war bzw. ist Hausfrau.

Solchen Familien wäre es - aus Ihrer Sicht zumindest - nicht möglich den Kindern ein Studium zu finanzieren. Dass es doch geht, wird an diesem Beispiel bewiesen.

So wie Sie es hier schildern bzw. Ihre Partei es darstellt, denke ich dass der Vorwurf in einer unsozialen Gesellschaft zu leben in der die Armen ausgebeutet werden und die Reichen noch unterstützt werden, doch etwas weit her geholt.

Würde Ihre Partei, sollten Mandatsträger Entscheidungsträger werden, wirklich die Studiengebühren abschaffen, das Kindergeld, BaföG, Kinderfreibeträge, Elterngeld etc. drastisch erhöhen. Und wie würde man solche immensen Kosten gegenfinanzieren?

Durchdachte Finanzierungskonzepte Ihrer Partei fehlen mir persönlich leider.

Ich freue mich auf Ihre Antwort und verbleibe mit freundlichen Grüßen,

D. Burger

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Burger,

danke für Ihr Schreiben und die darin spürbare Ernsthaftigkeit der gedanklichen Auseinandersetzung. Wenn wir Probleme in der Gesellschaft lösen wollen, müssen alle gehört werden. Zu der Thematik "Kosten eines Studiums" habe ich die Erfahrung gemacht, dass man bei meinem Einkommen (und das entspricht in etwa, wie ich aus dem Bekanntenkreis weiß, dem eines BMW-Facharbeiters) kein BAFöG bekommt. Ausserdem habe ich bei den entsprechenden Anträgen, die ich für meine ältere Tochter gestellt habe, feststellen müssen, dass eine Flut von Bürokratie und immer wieder neue Rückfragen der entsprechenden Stelle die Antragsstellung (vielleicht bewusst) erschwert. Und dann kommt ein entsprechend geringer Betrag heraus, der letztendlich wegen der Darlehensregelung den Kindern einen Schuldenberg zum Start ins Berufsleben aufbürdet. Wie gesagt, so habe ich das erlebt. Für meine jüngere Tochter, die jetzt mit dem Studium beginnt, werde ich es wieder versuchen. Mal sehen, was rauskommt. Die Studiengebühr habe ich jedenfalls unabhängig davon erst einmal überweisen müssen. Da gibts keinen Aufschub. Und das waren für diesen Monat für beide knapp 1300,-- Euro. Das muss man erst mal so auf dem Konto rumliegen haben. Bei mir muss das Heizöl bis Oktober warten.

Zu der allgemeine Frage nach der Finanzierbarkeit der angesprochenen sozialen Leistungen möchte ich folgendes sagen: Zuerst muss sachlich und sinnvoll überlegt werden, welche Funktion diese in welcher Höhe haben, damit es letztendlich dem Wohl unserer Gemeinschaft dient und nicht die "soziale Hängematte" finanziert wird. Sozial gerecht heisst eben nicht, möglichst viele Wohltaten über alle, und wie Sie hier uns betreffend meinen, über die, welche mit Vorliebe bequem vom Staat leben wollen, auszugießen. Wenn wir eine echte Gemeinschaft sein wollen, muß das, was an Leistungen gewährt wird, von allen - auch von Ihnen - als sozial gerecht empfunden werden. Und als sozial gerecht verstehen wir als erstes die Hilfe für den, der es auf Grund seiner Situation ohne die solidarische Hilfe der Gemeinschaft nicht schaffen kann. Das sind die Alten, Kranken, Behinderten, Schwachen ebenso, wie diejenigen, die vorübergehend, z.B. durch Arbeitslosigkeit in existenzielle Nöte kommen. Dies ist
nicht nur ein menschliches Gebot in einer zivilisierten, humanen Gesellschaft. Es ist auch ein ganz pragmatischer Selbstschutz für jeden, das so zu praktizieren, da niemand davor gefeit ist, in eine wirtschaftlich bedrohliche Situation zu kommen. Aber ich denke, das sehen Sie ohnehin genauso. Was Sie vielleicht stört, ist der Eindruck, dass in großem Stil Missbrauch mit Sozialleistungen getrieben wird.
Verursacht ist das zum einen oft durch den subjektiven Blick auf den anderen, dessen wirkliche Situation man nicht umfassend kennt und zum anderen durch den da und dort nicht zu leugnende Missbrauch. Letzteren gilt es zu verhindern - ebenso wie wir den sozialen Missbrauch korrupter Steuerflüchtlinge (siehe Liechtenstein) oder so mancher Täter in Schlips und weißem Kragen verhindern müssen. Und selbst, wenn sie sich nicht bereichern, so vernichten sie, wie die Vorfälle im Zusammenhang mit der aktuellen Bankenkrise zeigen, aus Unfähigkeit oder fauler Bequemlichkeit (Gehalter aus Aufsichtsratsposten, aber nichts dafür tun) Unsummen unseres Volksvermögens. Dagegen nehmen sich die Verschwendungen des Staates, wie sie der Bund der Steuerzahler jedes Jahr erneut auflistet, schon fast harmlos aus. Allein der durch die Bayerische Landesbank verursachte Schaden bewegt sich alles in allem um die fünf bis sechs Milliarden. - Also, Geld ist genug da. Das hat mir übrigens mit den gleichen
Worten vor einigen Jahren der damalige Vorsitzende des Haushaltsausschusses und CSU-Abgeordnete Michl ganz deutlich gesagt. Und er hat noch hinzugefügt: "Die Frage ist nur, wofür wir es ausgeben." Aber auch, wenn wir diese vorhandenen Gelder unberücksichtigt lassen. gibt es noch Bereiche, die betrachtet werden müssen, wenn wir von der Finanzierbarkeit reden: Verglichen mit den anderen EU-Staaten haben wir auf der Einnahmeseite eine Schieflage. Hätten wir in Europa eine einheitliche Besteuerung aller Gruppen, dann würde das für den Bundeshaushalt Mehreinnahmen von etwa 120 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten. Diese Summe würde nicht nur für angemessene Sozialleistungen (in dem oben beschriebenen Sinne) reichen, es bliebe sogar noch etwas übrig für den Abbau der Staatsverschuldung. Noch leichter ginge das, wenn wir so manche übertriebenen Gewinnmargen der global agierdenen Konzerne in die soziale Pflicht nehmen würden. Vielleicht haben Sie das von mir immer wieder gern gebrauch
te Zitat Papst Johannes XXIII. schon gelesen, der sinngemäß gesagt hat: "Ausgangspunkt, Träger und Zweck allen wirtschaftlichen Handeln ist der Mensch." Und eben nicht der Profit. Mittlerweilen liegen die 100-Meter-Yachten nicht nur in Monaco oder Cannes. Wenn Sie vielleicht heuer im Sommer in Slowenien oder Kroatien waren, konnten Sie sehen, dass diese auch dort überhand nehmen. Und in den nationalen Volkswirtschaften wächst dafür der Anteil der von Armut bedrohten oder bereits abgerutschten Menschen.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Der normale Bürger, der Facharbeiter oder auch der kleine bis mittlere Gewerbetreibende soll und darf nicht weiter geschröpft werden. Wir sind ja bereits soweit, dass auch diese Gruppen, ebenso die Land- und Forstwirte einer starken Fürsprache durch eine ausgewogen und gerecht denkende Partei bedarf. Die gesellschaftliche Schieflage ist doch nicht zu übersehen. Wir haben doch alle die gleichen Rechte auf Daseinssicherung. Und wenn manche sich auf Kosten anderer oder auf Kosten der Natur und Umwelt, durch Verseuchung der Gewässer oder Vergiftung der Luft wirtschaftliche Vorteile und Reichtum im großen Stil herausholen. so ist das einfach nicht in Ordnung. Die Welt gehört uns allen, auch unseren Mitgeschöpfen, mit denen wir so sträflich umgehen. - Darüber möchte ich mich aber nicht weiter auslassen. Das ist ja auch nicht der Kern Ihres Schreibens.
Ich hoffe, Ihnen umfassend und dabei so geantwortet zu haben, dass es Ihrer sachlichen Auseinandersetzung dient. Ich danke Ihnen, denn durch den von Ihnen angeregten Austausch habe ich nicht nur den Lernprozess der Berücksichtigung Ihres Standpunktes erfahren dürfen, sondern auch durch meine gedankliche Auseinandersetzung mit Ihren Fragen wesentliche Akzentuierungen in meinem Denken relativierend vorgenommen.

Mit herzlichen Grüßen

Joseph Wandl