Joseph Wandl
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Frage von Gunter S. •

Frage an Joseph Wandl von Gunter S. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Dr. Wandl,

was wird aus Ihrer Sicht für die zukünftige Berufsausbildung an den Schulen getan?
Seit über neun Jahren helfe ich Jugendlichen in Deutschland bei der Lehrstellensuche und bemerke steigendes Desinteresse bei Schülern wie bei Lehrern.

Viele Grüße aus Sachsen
Gunter Schreyer

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Gunter Schreyer,

glaubt man unseren CSU-Politikern, so haben wir in Bayern das beste Bildungswesen Deutschlands. Und das begründet man nicht selten mit ein paar Zehnteln oder Hundertsteln in der PISA-Punktewertung, die wir angeblich besser waren als die Schüler anderer Bundesländer. Was die Hauptschulen angeht, waren wir übrigens nur deshalb ein wenig besser, weil die ausländischen Schüler in den bayerischen Hauptschulen etwas günstiger abgeschnitten haben als im Rest der Republik. Das sagt aber keiner so. Im Grunde sind wir keinen Deut besser als die anderen. Und schon gar nicht, wenn es um die Qualifikation fürs Leben oder gar um die Vorbereitung auf das Berufleben geht. Natürlich haben wir so Fächer wie Arbeit/Wirtschaft/Technik und Arbeitslehre. Auch gibt es die arbeitspraktischen Fächer Technisches Werken, KTB (kaufmännisch-technischer Bereich) oder HSB (hauswirtschaftlicher Bereich) und sogar als kleines Anhängsel in der 9. Jahrgangsstufe Buchführung.

Für den weiteren Weg der Schüler nach der Schule nützt das aber reichlich wenig. Zum einen findet die überwiegende Mehrheit ohnehin keine Lehrstelle und wenn, dann in Bereichen, in denen man das Vermittelte nur bedingt anwenden kann. Das ist z.B. der Fall, wenn mal jemand wieder eine der wenigen Stellen als Koch bekommt und in der Schule Hauswirtschaft gewählt hatte.

Viele Schulabgänger müssen nehmen, was sie kriegen, meist im schlecht bezahlten Dienstleistungsbereich (z.B. Friseuse, Floristin, Ladenhilfe). Ein nicht geringer Teil geht mangels Alternativen weiter in die Schule. Einige machen die 9.Klasse nochmal zur Notenverbesserung oder gehen in Auffangeinrichtungen ohne Lehrstellen (Berufsgrundschuljahr, private Ausbildungseinrichtungen). Die Leistungsstärkeren versuchen ihr Glück in der M10 und bekommen dort, wenn sie die Prüfung schaffen, eine Schmalspur-Mittlere-Reife, von der sie bald merken, dass man damit seine Chancen einen angemessenen Job zu kriegen nicht wesentlich gesteigert hat. Nicht einmal bei staatliche Einrichtungen und Behörden bekommen sie eine wirkliche Chance. Da braucht es nicht zu verwundern, dass die Kinder wenig motiviert und interessiert an der gegenwärtigen schulischen Berufsvorbereitung sind. Und wenn die Lehrer irgendwann mal anfangen zu resignieren, ist das auch nicht gerade unnormal. Wer arbeitet und sich anstrengt, der möchte auch irgendwann den Erfolg sehen. Warum aber kommt der nicht? Für die Lehrer ist klar, wenn die Schüler keine Stellen finden, kann man wohl kaum darin einen Erfolg sehen. Auch wenn sie dafür nicht wirklich etwas können, weil das gegenwärtige System Schule ihnen ein enges Korsett anlegt, so haben sie doch beständig ein schlechtes Gefühl. Insgeheim schreiben sie sich doch eine gewisse Schuld zu. Und die Schüler? Wenn Sie schon in den letzten Schuljahren erleben, wie die älteren Schüler Jahr für Jahr vergeblich Stellen suchen, so baut das nicht gerade Motivation und Zuversicht auf. Dies schlägt zudem auch noch auf die Einstellung zur Arbeit und zum schulischen Lernen durch. Dabei machen es den Schülern Inhalte und Lernformen sowieso schon schwer, interessiert lernen zu wollen und zu können. Wir als Erwachsene würden uns so eine Art der Beschulung wohl nicht lange gefallen lassen.
Das von Ihnen angesprochene Desinteresse der Schüler kommt nicht von ungefähr. Im Moment sieht es leider an den hiesigen Schulen so aus, dass die Kinder irgendwelche, für das spätere Leben unwichtigen und zum Teil sogar unnützen Sachen, stupide auswendig lernen müssen, um die Schulaufgaben zu schaffen und einigermaßen gute Noten, sprich Zeugnisse, zu bekommen. Nicht die Sachen, das Lernen um des Wissens und Könnens willen, steht im Vordergrund, sondern nur die vermeintlich zu erwerbende Berechtigung. Wenn dann, wie in der gegenwärtigen Situation auf dem Arbeitsmarkt die Berechtigung nichts mehr nützt, dann wird es kritisch. In passiver Konsumentenhaltung "Bildung" desinteressiert an sich vorbeirauschen zu lassen, nichts wirklich wollen und können, führt zu geistiger Abstumpfung und Langeweile. Erfolg auf dem Papier wird meist dadurch erzielt, dass die Schüler sturr auswendig lernen und nach ihren Prüfungen das meiste realtiv schnell wieder vergessen.

Wird ein Stoff gar nicht geprüft, ignorieren ihn die meisten Schüler. Diese Tatsache spiegelt sich auch in den Lehrern wider, weil sie durch die Frustration und Langeweile der Kinder,ebenfalls das Interesse an deren Ausbildung verlieren. Frei nach dem Motto " Warum soll ich mich hier zum Trottel machen, wenn es am Ende sowieso keinen interessiert". Würde man nun die individuellen Begabungen der Kinder hervorlocken, erkennen und fördern ( jeder Mensch ist auf irgendeinem Gebiet gut) und würde man mittels vielfältigem Angebot die Schüler individuell anregen, sich eigenverantwortlich und selbständig sowie selbsttätig mit interessanten Themen, Aufgaben, Problemen auseinander zu setzen, so würden sich die Schüler nicht nur aktiv eines Themas annehmen, sie hätten auch Erfolgerlebnisse. Dies gilt umso mehr, wenn die Schule nicht Stundenthemen, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur durchjagen und nach einer bestimmten Anzahl davon kollektiv abprüfen würde, sondern der Schüler dann, wenn er es kann von sich aus zum Test kommt. Unsere jetzige Schule vermittelt ja dem Schüler den Eindruck, dass entweder der Stoff gar nicht so wichtig ist, weil man ja auch weitermacht, wenn es viele nicht können, oder, dass man als einer, der es noch nicht kann, eben ein wenig blöder ist als die anderen. Beides ist nicht gerade aufbauend. Wir kommen für die Zukunft nicht umhin, als dass wir Lernen in die aktive Verantwortung des Schülers geben, vielfältige Lernangebote für ein individuelles Lernen bereitstellen und als Lernhelfer (entsprechend qualifiziert und in genügender Zahl) bereitstehen.

Für Ihre Frage der beruflichen Qualifizierung wird es unerlässlich, dass Schule nicht nur die Welt aus zweiter Hand durch das Lehrerwort frontal vermittelt, sondern dass Lernprozesse im Schulleben selbst primäre Realtät werden. Schüler, die z.B. mit Schülerfirmen wirklich am Markt teilnehmen, anstatt im Werken verordnete Tonelefanten formen zu müssen, an selbstgewählten Projekten mitarbeiten, zeigen nicht nur Interesse und Motivation, sondern lernen mehr und dauerhafter als durch Wort, Tafelanschrift und Hefteintrag. Als ich an meiner Schule die 7.Klasse mit der eigenständigen Führung des Schüler-Cafes betraute, zeigte sich erstaunliches: Sie führten ernsthafte Planungsgespräche, informierten sich über Lieferanten, Preise, Vorschriften. Eines Tages stand ein Vertreter des Landratsamtes bei mir in der Schulleitung und meinte: "So, jetzt bin ich da!" Auf meine Frage, wer er sei und was er wolle, teilte er mir mit, dass er von der Lebensmittelkontrolle sei und mit einer Corinna G. den heutigen Beratungstermin telefonisch ausgemacht hätte. Corinna, eine zierliche blonde Siebtklässlerin, hatte sich ganz unerwartet zur Chef-Managerin in Sachen Schüler-Cafe entwickelt. Ich konnte meine Freude über die Tüchtigkeit einer solchen "Hauptschülerin" kaum verbergen und begab mich interessiert lauschend in die zusammengerufene Teambesprechung. Ohne jetzt auf eine genaue Beschreibung des Projekts einzugehen, sei nur angemerkt, dass die Kinder recht erfolgreich Umsatz und Gewinn machten und für weitere Investitionen (nach entsprechenden Informationen, wie man das in der Wirtschaft macht) eine Aktiengesellschaft (10,- Euro Nennwert) gründeten. Nach der ersten Ausschüttung (50 % des Gewinns) setzte plötzlich in der Schule ein Aktienhandel ein, weil auch andere merkten, dass man die 10 Euro schnell wieder reinholt und danach einfach so Geld bekommt. Das war der Zeitpunkt, an dem von aussen der Vorschlag kam, mehr Aktien zu drucken. Dies wurde aber von der Versa mmlung abgelehnt. - Leider muss man solche Dinge bei uns neben und ausserhalb des "richtigen Lernens" machen. Die Verantwortlichen tun sich eben schwer, ihr traditionell einzementiertes Bild von Schule zu überdenken. Und wenn sie es versuchen, so verwenden sie nach meinem Eindruck nur die Schlagworte der Fachleute, ohne zu wissen wie man sowas wirklich macht. Das Schlimme dabei ist, dass sie dann auch noch vorschreiben, wie man die verbal verordneten Reformen, die sie selber gar nicht kapiert haben, umsetzen soll. Die wenigsten Poliltiker, auch wenn sie mal Lehrer waren, haben mangels Blicks über den Tellerrand hinaus, verstanden, welche Grundprinzipien das Lernen bedingen.

Wir, Sie und ich und all unsere Kollegen (und selbst unsere Schüler) hätten viele Probleme nicht, wenn wir endlich begännen, Schule und Lernen an die zeitgemäßen Erkenntnisse über den Menschen anzupassen.

Entschuldigen Sie, dass ich so ausführlich geschrieben habe - mit ist dies eben ein ganz besonderes Anliegen. Ich wünsche Ihnen bei Ihrer Arbeit alles Gute und entsprechend Erfolg.

Mit herzlichen Grüßen

Joseph Wandl