Frage an Josef Winkler von Monika T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Winkler,
mit großem Interesse haben einige Lehrkräfte gesehen, wie Sie sich zum Thema „Abrechnungsbetrug in Integrationskursen“ geäußert haben. Viele Lehrkräfte meinen, dass Sie damit zu kurz greifen. Verantwortlich für die Misere ist der Gesetzgeber.
Hier sind einige Thesen zum Thema:
1. Die Betrugsmöglichkeiten sind schon in den Abrechnungsmodalitäten angelegt. Und nicht nur dort.
2. Die Zahlungsmoral des BAMF ist schlecht.
3. Die Träger werden vom BAMF so knapp gehalten, dass sie keine Sozialleistungen zahlen können.
4. Das BAMF kontrolliert die Höhe der gezahlten Honorare nicht konsequent.
5. Das BAMF geht nicht konsequent gegen Dumpinglohn-Träger vor.
6. Lehrkräfte sind häufig in der Situation, durch Hartz IV aufstocken zu müssen. Der Steuerzahler wird somit zweimal zur Kasse gebeten.
7. Nicht wenige Lehrkräfte geraten in wirtschaftliche Not und sind zusammen mit ihren Teilnehmern bei den ARGEs oder gar an der „Tafel“ anzutreffen.
8. Lehrkräfte werden fälschlicherweise als „Selbstständige“ eingestuft, dabei sind sie Scheinselbstständige. Die Honorarkräfte sind in diverse Weisungen eingebunden, was durch dubiose Erklärungen, die ein Dozent unterschreiben muss, unterwandert wird.
9. Das vom BAMF seit 2008 geforderte Qualitätsmanagement dient dem BAMF lediglich als Kontrollmechanismus. Die Qualitätsidee wird somit pervertiert.
Was können Sie für Integrationslehrkräfte tun?
Mit freundlichen Grüßen
Monika Thomas
Sehr geehrte Frau Thomas,
mit dem Zuwanderungsgesetz wurde die Integrationspolitik in Deutschland auf eine völlig neue gesetzliche Grundlage gestellt: Während bis dahin kaum 10% der jährlichen NeuzuwandererInnen ein Sprachkurs angeboten wurde, erhalten nunmehr alle, die nach Deutschland einwandern, einen Rechtsanspruch für Integrationskurse. Dieser integrationspolitische Neuanfang wurde maßgeblich durch Bündnis 90 / Die Grünen erreicht. Wir Grünen fühlen uns daher dem Gelingen der Integrationskurse im besonderen Maße verpflichtet.
Rund 16.000 Lehrkräfte arbeiten in diesen Integrationskursen. Ihre Situation ist aber – ähnlich wie die Lage von WeiterbildungsdozentInnen generell – prekär:
Ausweislich des Erfahrungsberichts der Bundesregierung zu Durchführung und Finanzierung der Integrationskurse (BT-Drs. 16/6043) sind nur 28% der Lehrkräfte fest angestellt - die restlichen 72% werden lediglich als Honorarkräfte beschäftigt. De facto handelt es sich bei Letzteren um sog. Scheinselbständige:
- sie haben keine Sicherheit über ihre Stundenzahl (und damit über ihre Einkommenshöhe)
- sie erhalten keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bzw. in Zeiten ohne Kurse (z. B. Ferien) und
- sie müssen die hohe Sozialversicherungsbeiträge - aufgrund ihres (Schein)Selbstständigenstatus - allein tragen.
Hinzu kommt, dass die Lehrkräfte der Integrationskurse völlig unterbezahlt werden. Dieser – seit Jahren evidente – Zustand bzw. die Passivität der Bundesregierung ist aus grüner Sicht unhaltbar. Das BAMF möchte Ende 2011 überarbeitete Kriterien für die Zulassung von Integrationskursträgern veröffentlichen. Unklar ist, ob hierbei auch eine Änderung der bisherigen Vergütungspraxis der Kursträger beabsichtigt wird.
Wir Grünen haben
1. im Hinblick auf die (wenigen) fest angestellten Integrationskurs-DozentInnen den Antrag der SPD “Mindestlohn für die Weiterbildungsbranche“ (BT-Drs. 17/3173) unterstützt.
2. Im Hinblick auf die Honorar-DozentInnen haben wir
- einen Erhöhung der Haushaltsmittel vorgeschlagen, um eine Mindestvergütung von zumindest 23 Euro sicherzustellen.
- Flankierend haben wir ein steuerrechtliches Progressiv-Modell vorgeschlagen, mit dem Ziel die Sozialversicherungskosten für Geringverdiener (und damit auch für (Schein)Selbstständige, wie die Honorar-DozentInnen der Integrationskurse) zu verringern, so dass ihnen ein deutlich höheres Nettoeinkommen bleibt (http://www.gruene-bundestag.de/cms/arbeit/dok/327/327977.das_progressivmodell.html).
In den kommenden Wochen wird die grüne Fraktion in dem anstehenden Haushaltsverfahren die parlamentarischen Handlungsmöglichkeiten erneut nutzen, um zu helfen, die Qualität der Integrationskurse insgesamt aber auch die Vergütung der Integrationskurs-DozentInnen signifikant zu verbessern.
Mit freundlichen Grüßen
Josef Winkler