Frage an Josef Winkler von Michael F. bezüglich Wirtschaft
Hallo Herr Winkler,
eine grundsätzliche Frage: Sind wir für die Wirtschaft da oder die Wirschaft für uns?
Hintergrund: Mir scheint es allgemein gedankenlos akzeptiert, das der Mensch sich nach der Wirtschaft zu richten hätte. Beispielsweise wird öffentlich vertreten, die menschwürdige Versorgung gebrechlicher Alter unter Finanzierungsvorbehalt zu stellen. Gleichzeitig hat die Wirtschaft (zB Hochfinanz + Pharma) großen Einfluß auf die Gesetzgebung, die ihre Geschäftsbereiche regeln. Die gesetzliche Rente wird zugunsten der privaten Versicherungsindustrie ausgehöhlt. Gute Arbeitsplätze werden durch schlechte ersetzt oder ganz abgebaut. Löhne und Gehälter sinken realiter seit Jahren. Gigantische Schulden werden uns aufgebürdet, an denen die Finanzindustrie prächtig verdient. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert.
Unser Land ist eins der reichsten. Trotzdem vergammeln unsere Schulen. Die Meinungsmache funktioniert so gut, daß beim Thema Sparen nicht etwa auf die geschaut wird, die sich das Meiste ergattern können, sondern das wenigste!
Persönlich finde ich das eine himmelschreiende Ungerechtigkeit - was meinen Sie?
Besten Gruß
Michael F.
Sehr geehrter Herr Felden,
in Ihrem Schreiben zeigen Sie einige Beispiele auf, zu denen auch meiner Meinung nach eine kritische Auseinandersetzung notwendig ist. Etwa was den Verdacht der Einflußnahme von Großspendern auf politische Entscheidungen angeht. Hier fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag eine Reform des Parteiengesetzes im Sinne einer transparenten Regelung und Begrenzung der Spenden. Oder was die Verteilung der Lasten der Finanz- und Wirtschaftskrise betrifft. Meine Fraktion fordert, daß die Krisenkosten mit einer einmaligen Vermögensabgabe auf hohe Vermögen von denjenigen getragen werden, die das schultern können. Auch die von der Bundesregierung geplante Bankenabgabe für einen Sicherungsfonds reicht bei weitem nicht aus, die Koalition aus CDU/CSU und FDP schont vielmehr die Banken, die die Gewinne eingestrichen haben und schröpfen Volksbanken und Sparkassen.
Sie fragen, ob wir für die Wirtschaft existieren oder sie für uns existiert. Spätestens die globale Finanz- und Wirtschaftskrise sollte auch dem Letzten vor Augen geführt haben, daß die Art und Weise, wie unsere Wirtschaft verfaßt ist, zu katastrophalen Ergebnissen führt. Mit unserem Bundestagswahlprogramm haben wir im letzten Jahr ein umfassendes Konzept für eine neue soziale und ökologische Wirtschaftsordnung erarbeitet. Gegen die noch immer währenden Auswirkungen der Krise setzen wir einen Aufbruch in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik - den Green New Deal. Ein grüner Neuer Gesellschaftsvertrag bedeutet für uns, daß Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden dürfen.
Es ist falsch, mit viel Geld lediglich die Risse im alten Fundament unserer Wirtschaft notdürftig zu kitten. Wir müssen entschlossen ein neues Fundament bauen. Ein Fundament, bei dem sich die Frage, ob wir nur noch für die Wirtschaft existieren, nicht mehr stellt.
Mit freundlichen Grüßen
Josef Winkler