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Josef Rickfelder
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Frage von Sebastian W. •

Frage an Josef Rickfelder von Sebastian W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Rickfelder,

ich bitte Sie mir Ihre persönliche Meinung zum folgenden Video zu geben:

http://www.youtube.com/watch?v=8kmcloVZu1o&feature=player_embedded

Es handelt sich hierbei um eine kurze Erklärung des ESM-Vertrages, der wenn man diesem Video glauben schenken kann, ein klarer Schritt weg von der Demokratie bedeutet. Hier geht es nicht um konservative oder liberale Gesinnungen - hier geht es um weit fundamentalere Prinzipien.

Ich werde ähnliche Fragen, an alle weiteren Abgeordneten aus meinem Wahlkreis senden und würde eine Stellungnahme von Ihnen sehr begrüßen.

Vielen Dank vorab

Sebastian Wissing

Portrait von Josef Rickfelder
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Wissing,

es leider etwas länger gedauert, nachstehend die Antwort zur Ihrer Frage aber vielleicht auch zusätzliche, über das Video hinausgehende Informationen:

Deutschland profitiert von einem stabilen Euro, weil der Euro bei uns für Wachstum und Arbeitsplätze sorgt. Die deutsche Wirtschaft ist sehr stark exportabhängig. Sie profitiert immens davon, dass es innerhalb der Eurozone keine Wechselkursschwankungen mehr gibt. Der Euro hat zu einer Vertiefung des europäischen Binnenmarktes geführt, der inzwischen mehr als 500 Millionen potenzielle Kunden umfasst. Zwei Drittel aller deutschen Exporte gehen in die Länder der EU. Die Wirtschaft selbst hat errechnet, dass der gemeinsame Binnenmarkt in Deutschland rund 5,5 Millionen Arbeitsplätze sichert.

Deutschland profitiert von einem stabilen Euro, weil der Euro bei uns die Inflation niedrig hält. Deshalb geht es bei einem stabilen Euro nicht in erster Linie um die Sicherung eines bestimmten Wechselkurses gegenüber dem Dollar oder einer anderen Währung, sondern um möglichst niedrige Inflationsraten und damit um eine möglichst hohe Kaufkraft für die Menschen in unserem Land. Die Einführung des Euro war und ist für uns Deutsche mit dem Versprechen der Stabilität verbunden. Und dieses Versprechen konnte der Euro bisher einhalten. Die Inflation in Deutschland war noch nie so niedrig wie seit der Einführung des Euro.

Die Finanzkrise in Griechenland nahm im Frühjahr 2010 ein so dramatisches Ausmaß an, dass die Gefahr eines Dominoeffekts und einer Ausweitung der Krise auf andere Länder bestand. Deshalb musste gehandelt werden – gerade angesichts der Erfahrungen aus der globalen Finanzmarktkrise: Als die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers vor dem Konkurs stand, hat sich die US-Regierung entschieden, nicht einzugreifen. Daraufhin weitete sich die Krise weltweit aus und die Rettungskosten der Staaten für angeschlagene Finanzinstitutionen waren letztendlich deutlich höher, als sie es für die Rettung von Lehman Brothers gewesen wären.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben daher einen europäischen Rettungsschirm gespannt, um die drohende Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds der Eurozone abwenden zu können. Dieser Rettungsschirm umfasst ein Garantievolumen von 750 Mrd. EUR und besteht aus drei Pfeilern:
• Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM): 60 Mrd. EUR
• Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF): 440 Mrd. EUR
• Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF): Mindestens die Hälfte des Beitrags der EU – also 250 Mrd. EUR (60 Mrd. EUR EFSM + 440 Mrd. EUR EFSF = 500 Mrd. EUR – also 250 Mrd. EUR).
Um die Zahlungsfähigkeit Griechenlands zu erhalten, wurde zunächst ein erstes Paket über 110 Mrd. € über drei Jahre bereitgestellt. Hiervon werden die Mitglieder der Eurozone bis zu 80 und der IWF bis zu 30 Mrd. € tragen. Der deutsche Anteil beträgt rund 22,4 Mrd. €. Gleichzeitig muss sich Griechenland zu umfänglichen Sparmaßnahmen und regelmäßigen Berichten in engem zeitlichem Abstand über den Stand der Umsetzung verpflichten.
Das bislang beschlossene Griechenland-Programm sah für das Jahr 2012 eine Rückkehr Griechenlands an den Finanzmarkt vor, um fällige Schulden zu refinanzieren. Dies hätte jedoch nachhaltig tragbare Zinskonditionen vorausgesetzt.
Vor dem Hintergrund der anhaltenden Unruhe an den Märkten stellten die Finanzminister der Eurozone und der IWF im Frühjahr dieses Jahres fest, dass entgegen bisheriger Prognosen mit solchen Bedingungen bis 2012 nicht zu rechnen ist. Dadurch bestand im laufenden Programm eine Finanzierungslücke, die geschlossen werden musste.
Am 21. Juli 2011 haben sich die Staats- und Regierungschefs der Euroländer und die europäischen Institutionen deshalb nach intensiver Diskussion auch mit der privaten Finanzwirtschaft auf den vorläufigen Finanzrahmen eines neuen Programms für Griechenland verständigt, zu dem Finanzwirtschaft und öffentlichen Hand gemeinsam beitragen. Das Programm wird eine neue, längere Laufzeit bis 2014 haben und soll bis Mitte September von den Finanzministern verabschiedet werden.
Das zusätzliche öffentliche Finanzierungsvolumen des neuen Programms soll nach jetzigem Stand ca. 109 Mrd. EUR bis 2014 betragen. Dabei ist vorausgesetzt, dass die Finanzwirtschaft ihr vorgelegtes Angebot einhält und insgesamt Anleihen in Höhe von 135 Mrd. Euro, die bis 2020 fällig werden, verlängert. Der endgültige Finanzbedarf Griechenlands wird durch eine Mission der Troika aus Kommission, EZB und IWF im Laufe des Sommers festgestellt werden.
Das Programm für Griechenland soll durch den europäischen Rettungsfonds EFSF finanziert werden. Die Anteile der am EFSF teilnehmenden Mitgliedstaaten bemessen sich nach der Größe der jeweiligen Volkswirtschaft. Der deutsche Anteil an der EFSF beträgt knapp 30%. Der konkrete Finanzierungsbeitrag im Gesamtpaket wird u.a. von der Höhe der Beteiligung des IWF abhängen.
Auch der IWF soll sich an den Finanzierungskosten beteiligen. Dies hat der Euro-Gipfel am 21. Juli 2011 klar zum Ausdruck gebracht. Über die Höhe der Beteiligung wird das IWF-Exekutiv¬direktorium erst nach Abschluss der Troika-Mission eine Entscheidung treffen. Am bisherigen Programm für Griechenland war der IWF mit einem Anteil von 3/11 beteiligt.
Griechenland wird weiterhin grundlegende Strukturreformen umzusetzen haben und muss seinen Haushalt mit ehrgeizigen Sparmaßnahmen konsolidieren. Ziel ist, dass Griechenland bis 2014 wieder die Defizitgrenze von 3% des BIP einhält. Zudem hat sich Griechenland verpflichtet, durch Privatisierungen die Wachstumsbasis zu stärken und Einnahmen zu generieren, die den Finanzierungsbedarf aus dem Programm mindern. Nur wenn Griechenland diese Reformen umsetzt, wird es auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkehren können.
Der europäische Rettungsschirm ist Teil einer umfassenden Gesamtstrategie zur Reform und Stabilisierung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, welche die Staats- und Regierungschefs der EU entworfen haben. Diese Gesamtstrategie umfasst neben den Krisenbewältigungsmechanismen im Krisenfall insbesondere folgende Maßnahmen zur Krisenprävention:
• Staatsverschuldung reduzieren und vermeiden durch eine Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts
• Wirtschaftspolitik koordinieren durch ein neues Verfahren zur Überwachung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und einen europäischen Planungs- und Berichtszyklus („Europäisches Semester“) und Wettbewerbsfähigkeit ausbauen durch eine gemeinsame Wachstumsstrategie und einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit („Euro-Plus-Pakt“)
• Finanzmarkt stabilisieren durch eine neue europäische Finanzmarktaufsicht, effektive Belastungstests für Banken und Versicherungsunternehmen und strengere Regulierung des Finanzsektors (unter anderem neue Eigenkapitalvorschriften für Banken, weniger spekulative Finanzprodukte und neue Gesetze zur Bankenrestrukturierung)
Deutschland ist die treibende Kraft bei diesen Reformbemühungen. Wir exportieren unsere Stabilitätskultur nach Europa.

Ich hoffe Ihnen zu der sehr schwierigen aktuellen Situation rund um den Euro mit einigen zusätzlichen Informationen weitergeholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Josef Rickfelder MdL
CDU-Landtagsfraktion