Frage an Johannes Vogel von Thomas M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Vogel,
ich wende mich an Sie als arbeitsmarktpolitischen Sprecher der FDP. Heute las ich in der Zeitung, dass Frau von der Leyen plant den Grundsatz der Tarifeinheit (pro Betrieb darf nur ein Tarifvertrag gelten) gesetzlich festschreiben lassen möchte und dazu notfalls auch das Grundgesetz ändern will. Im Prinzip bedeutet dieses Vorhaben, dass Höchstlöhne gesetzlich vorgeschrieben werden sollen. Wenn Arbeitnehmer sich nicht von ihrer Gewerkschaft vertreten fühlen, können sie sich nicht mehr wehren, indem sie eine eigene Gewerkschaft gründen und um bessere Löhne kämpfen. Sie sind der Einheitsgewerkschaft ausgeliefert.
Für mich ist dieses Vorhaben ein wahnsinniger Skandal und nur mit gezieltem Lobbying der Arbeitgeber (die höhere Lohnkosten fürchten) und der DGB-Gewerkschaften (die um ihr Kartell fürchten) zu erklären. Ich hoffe sehr, dass die FDP als Partei der Freiheit gegen gesetzlich angeordnete Preiskartellbildung auf dem Arbeitsmarkt ist und das Vorhaben mit ihr nicht umzusetzen ist.
Falls es Frau von der Leyen tatsächlich darum geht, Streiktage zu begrenzen, so könnte man ja endlich einmal das Arbeitskampfrecht gesetzlich regeln. Die Gründung von Konkurrenzgewerkschaften zum DGB aber de facto zu verbieten (bzw. nutzlos zu machen), halte ich nicht für mit liberaler Politik vereinbar und für nahe am Sozialismus.
Wie ist Ihre Meinung dazu?
Sehr geehrter Herr Meier,
vor ungefähr 20 Jahren hat das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz der Tarifeinheit entwickelt, nach dem in einem Betrieb auch nur ein Tarifvertrag Anwendung finden könne. Diese Rechtsprechung ist immer schon von starker Kritik begleitet worden. Nun hat das Bundesarbeitsgericht durch zwei einschlägige Urteile in der ersten Jahreshälfte 2010 diesen Grundsatz wieder aufgegeben. Unter anderem sind die Bundesrichter zu der Einsicht gelangt, dass der Grundsatz der Tarifeinheit einen ungerechtfertigten Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstellt - ein wichtiges durch das Grundgesetz geschütztes Grundrecht.
Die neue Rechtsprechung hat umgehend zu einer lebhaften Diskussion darüber geführt, wie die Zukunft der Tarifautonomie und des deutschen Tarifvertragssystems aussehen werde. Insbesondere die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) haben sich für eine gesetzliche Regelung stark gemacht, welche eine Garantie der Tarifeinheit sicherstellen würde.
Die von Ihnen geäußerten Bedenken gegen eine derartige Regelung kann ich gut nachvollziehen. Für eine Festschreibung der Tarifeinheit sprechen die Verhinderung von Dauerstreiks und die Wahrung des Betriebsfriedens, dagegen sprechen der faktische Ausschluss von Wettbewerb auf gewerkschaftlicher Seite und der Eingriff in die Freiheit des Arbeitnehmers sich so zu organisieren, wie er oder sie es für richtig hält.
In den Koalitionsfraktionen hat der Diskussionsprozess über den Vorschlag von DGB und BDA gerade erst begonnen. Wir werden diesen sehr intensiv führen und sprechen natürlich auch und gerade mit Vertretern von kleineren Gewerkschaften, um deren Chancen zur Werbung von Mitgliedern und damit die Organisationsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers zu achten. Ich selbst habe meinen Meinungsbildungsprozess auch noch nicht abgeschlossen und kann Ihnen daher zum jetzigen Zeitpunkt nur sagen, dass ihr Gedanke eines „Mittelwegs“ mir grundsätzlich gut gefällt. Eine klare Absage kann ich bereits zum jetzigen Zeitpunkt jedoch allen Versuchen erteilen, das Grundgesetz aufgrund der neuen Rechtsprechung zu ändern, um somit Individualgrundrechte wirtschaftsorganisatorischen Interessen anzupassen, auch wenn diese legitim sind.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Vogel