Frage an Johannes Selle von Julius K. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Selle,
Das Innenministerium plant laut Presseberichten die am Berliner Südkreuz probeweise eingesetzte automatisierte Gesichtserkennung auf 135 weitere Bahnhöfe und 14 Flughäfen auszuweiten. Befürworten Sie diese Pläne? Welche Vor- und Nachteile sehen Sie beim Einsatz von automatisierte Gesichtserkennung? Halten Sie den großflächigen Einsatz von automatisierter Gesichtserkennung trotz technischer Bedenken und Gefährdung von Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger für sinnvoll?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr K.,
vielen Dank für Ihr Interesse am aktuellen Thema der „automatischen, biometrischen Gesichtserkennung“. Obwohl die angedachte Novellierung des Bundespolizeigesetzes im Januar gestoppt wurde, möchte ich Ihnen auf Ihre Anfrage sehr gerne antworten.
Zunächst einmal sollte die automatische Gesichtserkennung vormals lediglich an stark frequentierten Bahnhöfen und Flugplätzen eingesetzt werden und nicht flächendeckend an öffentlichen Plätzen. Eine Gesichtserkennung wird heute schon von der Bundespolizei durchgeführt, allerdings nicht in automatisierter Form sondern in Form von Bundespolizisten, die auf Basis einer Kartei mit Bilddaten von Schwerstkriminellen, Terroristen und Gefährdern die Gesichter von Personen an z.B. Bahnhöfen oder Flugplätzen abgleichen, also „manuell“ mit den eigenen Augen. Hierbei ist die Fehlerquote unvergleichbar höher als bei einem automatischen, biometrischen Verfahren. Während des Pilotprojekts am Berliner Bahnhof „Südkreuz“ wurde an Hand einer hinterlegten „Kartei von Freiwilligen“ eine durchschnittliche Trefferrate von über 80% erzielt, die durchschnittliche Falschtrefferrate lag bei unter 0,00018%. Dies bedeutet, das ca. 20% der Gesichter beim biometrischen Abgleich nicht erkannten werden konnten, hinterlegt waren Bilder unterschiedlicher Qualität, Pixel, Helligkeit (entsprechend der durchschnittlichen Qualität von Fahndungsbildern einer Verbrecherkartei). Bei einem verschwindend geringen Anteil kam es zu einer Falscherkennung, sprich ein biometrisch vermessenes Gesicht wurde fälschlicher Weise der hinterlegten Kartei zugeordnet.
Ich sehe die Methode aus datenschutzrechtlichen Aspekten als wenig problematisch an, da das technische Verfahren der automatischen Gesichtserkennung keinerlei Speicherung von nichtrelevanten Daten vorsieht.
Bei der automatisierten, biometrischen Gesichtserkennung werden die Gesichter von Passanten im Vorbeigehen gescannt und im Schnelldurchlauf mit der bereits erwähnten Kartei von Schwerstkriminellen, Gefährdern und Terroristen verglichen, welche als Referenz hinterlegt ist. Wird kein „Treffer“ erzielt, werden die Daten umgehend gelöscht, sie werden nicht gespeichert und nicht registriert.
Anders sieht dies beispielsweise im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs aus, hier wird an einigen Bahnhöfen und in Verkehrsmitteln Videomaterial von allen Fahrgästen angefertigt und dieses Material in der Regel 14 Tagen gespeichert. Auch in diesem Fall, der nicht Grundlage Ihrer Fragestellung ist, möchte ich dennoch darauf hinweisen, dass die Sicherheit der Allgemeinheit meines Erachtens vor dem individuellen Persönlichkeitsrecht zu bewerten ist. Die Berliner Verkehrsbetriebe, beispielsweise haben im Jahr 2015, fast 3000 Gewaltvorfälle auf Videomaterial aufgezeichnet, durch die Polizei konnten so 1500 Tatverdächtige ermittelt werden, unter anderem wurde der Mord an einer 18jährigen Abiturientin durch Sichtung des Videomaterials aufgeklärt.
Unbescholtene Personen haben keinen Nachteil durch die biometrische Gesichtserkennung zu befürchten. Eine Gefährdung der Datensouveränität sehe ich viel mehr im privaten Raum gegeben. Firmen wie zum Beispiel Apple, Facebook, Amazon oder Google sind in der Lage ganze Bewegungs-, Kauf- oder Gesundheitsprofile zu erstellen. Auch haben nur Wenige ein Problem damit, die Gesichtserkennung auf Ihrem Smartphone zu nutzen. Diese Daten und viele andere willentlich preisgegebene Informationen werden von den Firmen nicht gelöscht und teilweise weiterverarbeitet.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Selle, MdB