Frage an Johannes Selle von Carsten T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Selle,
mit großer Besorgnis sehe ich die Entwicklung bei dem neuen "Beitragsservice" der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Wie stellen Sie sich dazu? Hier die einzelnen Kritikpunkte:
1. Der neue Beitrag wird ja jetzt auf Haushalte erhoben, ungeachtet dessen, ob es sich dabei um einen Rentner am Existenzminimum oder um eine Luxusvilla handelt.
2. Zwar gibt es eine Härtefall-Regelung, der aber nur sehr bedingt Folge geleistet wird. Inzwischen wurden Fälle bekannt, daß sogar Hartz-4-Empfänger bezahlen sollen. Und zwar dann, wenn diese keine zusätzlichen Sozialleistungen beantragt haben. Tun sie dies aber, so wird jede zusätzliche Leistung erst mal mit dem Beitrag verrechnet. - Studenten, die Bafög beziehen, müssen trotzdem bezahlen, wenn der diesbezügliche Bescheid zu spät erstellt wird.
3. Bürger, die keinerlei Leistungen der Sender abfordern, sollen im Rahmen dieser "Demokratie-Abgabe" dennoch bezahlen. Mein Verständnis für Demokratie ist ein anderes.
4. Wenn ich mir anschaue, wofür diese immensen Gelder - die Rede ist von mindestens 7,5 Milliarden - verwendet werden, stellt sich mir doch die Frage, ob hier von einer "Grundversorgung" gesprochen werden kann. Gehört zu einer solchen Grundversorgung der Ankauf extrem teurer Fußballübertragungsrechte? Oder die Finanzierung völlig überzogener Moderatoren- und Intendantengehälter? Oder die Berentung der Mitarbeiter in Höhe von € 1.500,00 - zusätzlich zur gesetzlichen Rente? Nur drei Beispiele von vielen anderen.
5. Der gesetzlich verankerte Bildungsauftrag führt nur noch ein Nischendasein.
6. Mit am schlimmsten finde ich das Einsammeln der privaten Daten bei den Meldämtern. Hier wird eine parallele Meldedatei aufgebaut. Ja, parlamentarisch abgesegnet, das macht die Sache aber nicht besser.
Mich interessiert Ihre persönliche Meinung dazu. Die offiziellen Verlautbarungen kenne ich alle, benötige also keine weiteren Textbausteine.
Mit freundlichem Gruß
Carsten Thonig.
Sehr geehrter Herr Thonig,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage. Zunächst entschuldigen Sie die verspätete Antwort. Gerne möchte ich Stellung nehmen.
Rundfunkpolitik fällt in Deutschland in die alleinige Zuständigkeit der Bundesländer. Der Bund hat hier keine Kompetenzen. Folglich ist die Reform der Rundfunkgebühren und die Einführung der „Haushalts- und Betriebsstättenabgabe“ im 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag durch die Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2010 beschlossen und in der Folge von allen 16 Länderparlamenten ratifiziert worden.
Die Umstellung des Gebührenmodells war der Erkenntnis geschuldet, dass das bisherige gerätebezogene Gebührenmodell nicht mehr zeitgemäß ist. Eine Vielzahl technischer Geräte ist heute in der Lage, Rundfunk zu empfangen. Durch neue, digitale Empfangsgeräte wurde der Nachweis über den Besitz eines Gerätes immer komplizierter, um nicht zu sagen immer unmöglicher.
Daher haben sich die Länder für eine geräteunabhängige Haushalts- und Betriebsstättenabgabe entschieden. Jeder Haushalt bezahlt ein Mal, egal wie viele Personen dazu gehören und egal, wie viele Fernseher, Radios oder Computer darin stehen. Die von vielen als Belastung empfundenen Hausbesuche der GEZ-Mitarbeiter gehören der Vergangenheit an, weil nicht mehr überprüft werden muss, ob und von wem ein Gerät bereitgehalten wird.
Empfänger von Arbeitslosengeld II, Sozialleistungen, Grundsicherung im Alter oder BAföG können mit dem Nachweis der betreffenden Behörde die Befreiung vom Rundfunkbeitrag beantragen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist ein kostbares Gut, dass gilt es zu schätzen und zu schützen. In dieser Gestalt ist das auch weltweit etwas Besonderes. Pluralistisch, nicht kommerziell, den demokratischen Werten verpflichtet, mit ganz deutlicher Berücksichtigung der Regionen in Deutschland, kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk frei von privaten Geldgebern den Menschen dienen. Ich stimme Ihnen dahingehend zu, dass die unabhängige Themensetzung nicht immer von allen Seiten Zustimmung findet.
Eine ehrliche und kritische Begleitung und auch ein Nachjustieren, so wie aktuell bei den BAföG-Empfängern, stehe ich offen gegenüber.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Selle