Frage an Johannes Pflug von Norbert Isa L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Pflug,
ich bin etwas beunruhigt, wenn ich mir die Debatten und Berichte zur Europäischen Union anschaue. 1. man kann keinen der Kommissare/Präsidenten/Minister wählen (in Deutschland auch nicht). Bereits Heute werden nahezu 80% der Gesetze von der ungewählten „EU-Kommission“ vorgegeben. Wo ist da bitte die Demokratie? Selbst im Iran wählt man den Präsidenten direkt.
Was mir aber noch mehr Sorgen macht ist, da diese „Euro“-Krise, wo Frau Merkel sagt es gibt keine „Euro“ Krise. Letztes Jahr wurde im Mai gesagt die Griechenland-Hilfe ist einmalig, kaum ein Jahr später sehen wir das diese Hilfe nichts gebracht hat. Jetzt soll der „ESM“ auf 1,5 Billionen (1.500.000.000.000,00 Euro) erhöht werden und das sollen 4 von 17 Ländern Schultern (Deutschland, Österreich, Niederlande, Finnland). Wie soll das bitte funktionieren? Im Herbst kommt auch der „EFSM“ zur Abstimmung, wie stehen Sie dazu?
Wäre es nicht ratsam das Projekt EU und Euro so schnell wie möglich abzuschaffen um zukünftige Generation zu schützen, zumal die Rettung auch nicht vom „Lissaboner-Vertrag“ (Not-Bailout-Klausel) und sogar nicht vom Grundgesetz rechtens wäre (s. Klage beim BGH).
Selbst die EZB geht von ihren Statuten weg und kauft Staastsanleihen. Alle entscheidenden Institutionen weichen von den Gesetzten und Regeln ab (Forderung nach Eurobonds), nur um dieses Konstrukt „EU“ am Leben zu erhalten. Europa hat auch vor der „EU“ existiert und wird auch nach der „EU“ existieren. Ein Blick nach Osten reicht, allen Ländern ohne Euro geht es viel Besser als den Ländern mit Euro, selbst Länder die in Europa sind aber nicht der „EU“ angehören wie die Schweiz und Norwegen geht es wesentlich besser.
Wie stehen Sie zu dem gesamten Konstrukt bestehend aus "EU“? Bitte sagen Sie nicht, es sei alternativlos und wir brauchen eine gemeinsame Wirtschaftsregierung, Sie wissen was das bedeutete, das bedeutet Staatsstreich ohne Waffen. Die Regierung handelt so offen gegen den Souverän.
Isa Leonhardt
Sehr geehrter Herr Leonhardt,
ich kann Ihre Beunruhigung über die gegenwärtigen Schwierigkeiten, in denen sich EU und Euro zur Zeit befinden, nachvollziehen, teile aber nicht Ihre generelle Skepsis gegen über der Europäischen Integration. Im Gegenteil, auch wenn Sie es nicht hören wollen: ich halte die EU und die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der EU in der Tat für „alternativlos“.
Lassen Sie mich aber zunächst auf die Euro-Zone zu sprechen kommen. In Deutschland und allen anderen Ländern der Eurozone wächst die Sorge um den erarbeiteten Wohlstand, um Erspartes und um die Alterssicherung. Und trotz aller drastischen Sparprogramme gelingt es Griechenland und Portugal nicht, Defizite abzubauen und die Schuldentragfähigkeit wiederzugewinnen.
In dieser ernsten Lage sind grundlegende, mutige und über den Tag hinaus gehende Entscheidungen unausweichlich geworden. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition aus CDU, CSU und FDP müssen ihre Politik ändern. Wir brauchen tragfähige Lösungen, die langfristig Bestand haben und ein starkes, unzweideutiges Signal für die Zukunft der europäischen Einheit geben. Die Bundesregierung muss sich daran orientieren, was zur Stabilität in der Währungsunion erforderlich und zur Überwindung der europäischen Krise möglich ist. Diese Lösungen müssen klar formuliert und im Deutschen Bundestag offen zur Abstimmung gestellt werden.
Im Falle Griechenlands ist eine Umschuldung unausweichlich geworden. Die Gläubiger von Griechenland werden auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen. Über die Möglichkeit, Anleihen mit einem Abschlag vom Nennwert zurückzukaufen, kann das Land eine erhebliche Entlastung von untragbaren Zinskosten realisieren. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass sich die davon betroffenen Banken und Versicherungen refinanzieren können. Wir brauchen eine limitierte Gemeinschaftshaftung der gesamten Euro-Zone für die Anleihen ihrer Mitglieder. Sie ist erforderlich, um auf Dauer eine Beruhigung der Finanzmärkte zu bewirken.
Zusätzlich müssen wir den betroffenen Staaten eine Perspektive für das Wiedererstarken ihrer Wirtschaft geben. Wir brauchen ein europäisches Modernisierungs- und Wachstumsprogramm, da ohne die Unterstützung der Europäischen Union Griechenland nicht auf die Beine kommen wird. Vor diesem Hintergrund fordert die SPD eine Finanztransaktionssteuer, die (auch spekulative) Finanzgeschäfte eindämmt. Vor allem aber leistet damit der Finanzsektor einen Beitrag zur Bewältigung der Krise, an der viele Marktteilnehmer lange gut verdient haben. Aus den Einnahmen dieser Steuer könnte z.B. auch ein Infrastrukturprogramm für Griechenland bezahlt werden.
Das Auseinanderbrechen des Euro würde Deutschland einen sehr hohen politischen und wirtschaftlichen Preis abverlangen. Wirtschaftlich lebt Deutschland wie kaum ein anderes Land in Europa vom Austausch von Waren und Dienstleistungen. Fast Zweidrittel unseres Exportes geht in die Europäische Union, mehr als 40 % direkt in die Eurozone. Nur in einem wirtschaftlich gesunden Europa werden wir unsere Fahrzeuge, die Produkte unseres Maschinenbaus, der Stahl- und Chemieindustrie, der Elektrotechnik oder unsere Dienstleistungen verkaufen. Wir haben ein großes Interesse daran, dass auch Länder wie Griechenland in die realwirtschaftliche Entwicklung investieren und beispielsweise bei erneuerbaren Energien, aber auch in Transport und Logistik oder mit einer modernen, ökologisch nachhaltigen Tourismuswirtschaft eigene Stärken entwickelt. Auch viele deutsche Unternehmen sind in Griechenland aktiv und wären Partner für Innovation und Aufschwung. Der Wohlstand unserer Nachbarländer ist letztlich auch unser Wohlstand. Auf Dauer kann eine Währungsunion nicht ohne eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen funktionieren.
Ein Ausstieg Deutschlands aus dem Euro – was zweifellos das Ende der Gemeinschaftswährung bedeuten würde – würde Deutschland ebenso zweifellos in eine tiefe wirtschaftliche Krise stürzen, ähnlich dessen, was Sie gerade in der Schweiz beobachten könnten. Eine wiedereingeführte D-Mark würde schnell als sichere Anlage gelten und somit enorm an Wert gewinnen. Damit wären aber unsere Exporte für ausländische Kunden nicht mehr bezahlbar und würden einbrechen, mit verheerenden Folgen für die deutsche Wirtschaftsleistung, die zu über 20% direkt von Exporten abhängt!
Nicht alle diese Forderungen werden sofort umgesetzt werden können. Aber ohne eine solche Perspektive werden wir nur die Symptome der Krise bekämpfen, nicht aber ihre Ursachen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die harten Sparprogramme in den von gravierender Überschuldung betroffenen EU-Mitgliedstaaten sind unausweichlich. Klientelwirtschaft, Korruption und Steuerhinterziehung sind kompromisslos zu bekämpfen. Die Haushaltsführung von Ländern, die Hilfen der Euro-Staaten in Anspruch nehmen, muss strenger überwacht werden. Eine wirklich tragfähige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen braucht aber auch eine Entlastung von untragbaren Zinsaufschlägen und eine wirtschaftliche Innovations- und Wachstumsperspektive. In den Krisenländern muss die Hoffnung auf solides wirtschaftliches Wachstum und die damit verbundenen Arbeitsplätze zurückkehren.
Deutschland als größter europäischer Volkswirtschaft kommt in dieser europäischen Krise eine besondere Bedeutung zu. Natürlich wünscht sich eine große Mehrheit unserer Bevölkerung nicht, dass sie mit ihren hart erarbeiteten Steuergeldern für die Fehler, die Korruption und die Unverantwortlichkeit anderer Regierungen in der EU aufkommen muss. Dies ist nachvollziehbar. Bei allen Zweifeln an den deutschen Zahlungen darf jedoch nicht vergessen werden, dass Deutschland der große politische Gewinner der europäischen Einigung nach dem zweiten Weltkrieg und der große wirtschaftliche Gewinner der europäischen Währungsunion ist.
Aber auch die von Ihnen erwähnten osteuropäischen Staaten – deren wirtschaftlicher Aufschwung nicht zuletzt Ergebnis ihres Beitritts zur Europäischen Union ist – teilen offensichtlich nicht Ihre Skepsis. Alle Mitgliedstaaten der EU, mit Ausnahme von Dänemark und Großbritannien, haben sich vertraglich verpflichtet, bei Erfüllung bestimmter (Konvergenz-)Kriterien, die Gemeinschaftswährung einzuführen. Nicht nur das, nachwievor ist die EU für andere Staaten derart attraktiv, dass sie sich um Aufnahme bemühen, man denke nur an Island, die Türkei, Kroatien, Serbien, ja selbst in der Schweiz verstummen die Befürworter eines EU-Beitritts nicht – von einem Scheitern des Projektes Europa kann also schlichtweg keine Rede sein!
Ein solches Scheitern hätte gerade für Deutschland auch gravierende Folgen. Sie haben natürlich Recht: „Europa“ hat auch schon vor der EU existiert – aber in welcher Form? In jedem französischen und deutschen Dorf stehen Kriegsmäler, die uns eigentlich daran erinnern sollten, dass bis 1945 praktisch jede Generation seit Jahrhunderten einen deutsch-französischen Krieg erlebt hat – und das trotz der Tatsache, dass beispielsweise 1914 Frankreich und Deutschland einen erheblich größeren Teil ihres Außenhandels miteinander abwickelten als heute!
Leider ist in den letzten Jahren zunehmend in Vergessenheit geraten, dass die Europäische Integration in erster Linie ein Friedensprojekt ist, welches Kriege zwischen den europäischen Staaten unmöglich und undenkbar macht – eine Situation, die Europa noch nie in seiner Geschichte erlebt hat! Dazu kommt, dass man hierzulande gerne vergisst, dass die EU auch dazu dient, Deutschland in Europa einzubinden. In vielen europäischen Staaten hat man nämlich nicht vergessen, welche unrühmliche Rolle Deutschland im 20. Jahrhundert so oft auf unserem Kontinent gespielt hat – die europäische Integration war daher der „Preis“, den Deutschland nach 1945 für seine Wiederaufnahme in den Kreis der zivilisierten Nationen und letztlich auch für seine Wiedervereinigung, gegen die es gerade in Frankreich und Großbritannien ansonsten stärksten Widerstand gegeben hätte, „zahlen“ musste und letztlich auch bereitwillig gezahlt hat.
Die Europäische Integration hat uns, einem Staat der nach dem Zweiten Weltkrieg international geächtet, moralisch am Ende und wirtschaftlich völlig zerstört war, einen großartigen wirtschaftlichen Wiederaufstieg, moralische Glaubwürdigkeit, und die längste Friedensperiode in der deutschen Geschichte beschert. Darüber hinaus wird es Deutschland im 21. Jahrhundert nur im Rahmen der Europäischen Union möglich sein, sich in der internationalen Politik Gehör zu verschaffen. Meine Meinung steht fest: Erstens: Die Einbindung Deutschlands in die Europäische Union ist ohne Alternative. Und Zweitens: Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Integration in Europa. Dass dabei noch demokratische Defizite zu überwinden sind, wie Sie richtigerweise erwähnen, steht aber ebenfalls außer Frage.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Johannes Pflug