Frage an Johann Wadephul von Klaus D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Herr Wadephul,
aktuell wird in den Medien berichtet, dass die Firma Google die Datenbrille Google Glass, kurz "Googlebrille" im kommenden Jahr 2015 in Deutschland einführen will. Mit dieser Brille kann der Träger nicht nur Informationen aus dem Internet abrufen,sondern (vermutlich unbemerkt) auch fotografieren und filmen.
Hierdurch steht m. E. die informationelle Selbstbestimmung von allen Bürgern in Frage.
Kann ich davon ausgehen, dass der Deutsche Bundestag rechtzeitig, d.h. in Kürze für die Nutzung der Googlebrille einen gesetzlichen Rahmen vorgibt?
Wenn nicht, könnte das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen mit den USA einen solchen Rahmen unmöglich machen,falls entsprechende Regelungen nicht vorher in Kraft treten?
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Deuber
Sehr geehrter Herr Deuber,
ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Mail vom 22. April 2014 zum Schutz der Persönlichkeitsrechte bei der Einführung von Google Glass.
Ich habe Ihr Schreiben an das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz weitergeleitet und darum gebeten, Auskunft zu erteilen, welches Vorgehen die Bundesregierung plant. Sehr gern werde ich Ihnen die Antwort zusenden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Johann Wadephul
Sehr geehrter Herr Deuber,
auf Ihre Anfrage hin habe ich mich mit dem Bundesinnenministerium in Verbindung gesetzt und unten stehende Stellungnahme erhalten:
"In § 6b BDSG sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume geregelt. Die Norm enthält eine Legaldefinition des Begriffs der Videoüberwachung. Danach ist Videoüberwachung die "Beobachtung...mit optisch-elektronischen Einrichtungen". Der Begriff der Einrichtung ist technikneutral, das Gesetz trifft keine nähere Festlegung bezüglich der konkreten Art der vom Anwendungsbereich der Norm erfassten Geräte. Diese können daher sowohl stationär als auch mobil sein (vgl. auch Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 7. Aufl. 2011, § 6b Rn. 37), so dass beispielsweise auch technische Entwicklungen wie eine Datenbrille, die Videoaufnahmen ermöglicht, von § 6b BDSG erfasst sind.
Voraussetzung für die Anwendung des § 6b BDSG ist zunächst, dass der Anwendungsbereich des BDSG eröffnet ist. Dies richtet sich nach § 1 Abs. 2 BDSG. Danach gilt das BDSG für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen des Bundes, der Länder, soweit der Datenschutz nicht durch Landesgesetze geregelt ist und diese Bundesrecht ausführen oder als Organe der Rechtspflege tätig werden, und durch nicht-öffentliche Stellen. Das BDSG gilt nicht, wenn die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der Daten durch nicht-öffentliche Stellen ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten erfolgt. Ist § 6b BDSG anwendbar, so gelten dessen enge Zulässigkeitsvoraussetzungen. Die Videoüberwachung öffentlich-zugänglicher Bereiche ist danach nur zulässig, "soweit sie
1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,
2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder
3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke
erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen".
§ 6b BDSG enthält ferner eine Kennzeichnungspflicht, eine Interessenabwägungsklausel hinsichtlich der Verarbeitung und Nutzung der erhobenen Daten, eine Benachrichtigungspflicht gegenüber dem Betroffenen sowie eine Löschpflicht. Verarbeitung und Nutzung der durch Videoüberwachung gewonnenen Daten im Wege der Übertragung ins Internet unterliegen ebenfalls den Beschränkungen nach § 6b BDSG.
Sofern Foto- oder Videoaufnahmen zu ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken erfolgen, findet zwar das BDSG gemäß dessen § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG keine Anwendung. Von der Aufzeichnung Betroffene sind jedoch nicht schutzlos. Bereits nach derzeitiger Rechtslage besteht ein zivilrechtlicher Abwehranspruch gegen widerrechtliche Eingriffe in das Recht am eigenen Bild. Der Einzelne muss nicht generell dulden, dass jedermann von ihm Bildnisse, insbesondere Filmaufnahmen, fertigt (BGH, Urt. v. 25. April 1995 - VI ZR 272/94, NJW 1995, 1955, 1956). Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen, darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen. Das Recht am eigenen Bild ist Bestandteil des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird. Es ist nicht auf bestimmte Örtlichkeiten beschränkt und gilt unmittelbar auch zwischen Privaten. Auch unterfällt nicht erst die Verwertung, sondern bereits die Herstellung von Abbildungen dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BAG, Beschl. v. 26. August 2008 - 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187, 1189). Ähnliches gilt für Tonaufnahmen, die im Rahmen des Rechts am eigenen Wort als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ebenfalls geschützt sind.
Werden Bild-, Film- oder Tonaufnahmen ohne Einwilligung des Betroffenen angefertigt, so stellt sich die Frage nach einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Hierbei kann es sich, auch ohne die Absicht, die Aufnahmen zu verbreiten, um eine rechtswidrige, unerlaubte Handlung i. S. d. § 823 BGB handeln, da das allgemeine Persönlichkeitsrecht als "sonstiges Recht i. S. d. § 823 BGB anerkannt ist (BGH, Urt. v. 14. Februar 1958 - I ZR 151/56, NJW 1958, 827, 829; BGH, Urt. v. 25. April 1995 - VI ZR 272/94, NJW 1995, 1955, 1956).
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist jedoch ein Rahmenrecht, das nicht schrankenlos gewährleistet ist. Daher ist nicht jeder Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch rechtswidrig.
Ob die Herstellung einer Abbildung rechtswidrig und damit unzulässig oder aber vom Betroffenen hinzunehmen ist, muss stets unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer unter Berücksichtigung der rechtlichen Positionen der Beteiligten durchgeführten Güter- und Interessenabwägung geprüft werden (BGH, Urt. v. 25. April 1995 - VI ZR 272/94, NJW 1995, 1955, 1957). Die gegenüberstehenden Positionen in ein Verhältnis zu bringen, das den jeweiligen Interessen angemessen Rechnung trägt, ist Aufgabe der Gerichte (BVerfG, Beschl. v. 26. Februar 2008 - 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793, 1794). Hierbei kann auch auf die Wertungen des Kunsturhebergesetzes (KunstUrhG) zurückgegriffen werden. Für die Zulässigkeit der Herstellung der Foto- oder Videoaufnahme einer Person spricht es, wenn deren Verbreitung nach den §§ 22, 23 KunstUrhG zulässig wäre (OLG Hamburg, Beschl. v. 5. April 2012 - 3-14/12 (Rev)). Nach § 23 Abs. 1 KunstUrhG dürfen, sofern keine Einwilligung des Betroffenen nach § 22 KunstUrhG vorliegt, verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden:
1. Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte; 2. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen; 3. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben; 4. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.
Danach müsste beispielsweise ein zufällig von der Kamera eines Touristen erfasster Passant im öffentlichen Straßenraum die Aufnahme nach der Wertung des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KunstUrhG hinnehmen.
Die Ausnahme greift jedoch nur ein, wenn die Landschaft oder sonstige Örtlichkeit den Gehalt des Bildes prägt. Die Personenabbildung muss derart untergeordnet sein, dass sie auch entfallen könnte, ohne dass Gegenstand oder Charakter des Bildes sich verändern. Im Falle von Versammlungen oder ähnlichen Veranstaltungen i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG muss jeweils ein repräsentativer Eindruck des Geschehens vermittelt werden. Das ist nicht der Fall, wenn lediglich einzelne Personen aufgenommen werden. Eine Ausnahme kann also nur dann angenommen werden, wenn die Aufnahmen ohne besondere Fokussierung auf eine Person gehalten sind. Zudem ist bei der Abwägung von den Gerichten zu beachten, dass mit dem Fortschritt der Aufnahmetechniken wachsende Möglichkeiten der Gefährdung von Persönlichkeitsrechten verbunden sind. Ein besonderer Schutzbedarf kann sich ferner aus einem heimlichen oder überrumpelnden Vorgehen des Aufnehmenden ergeben (BVerfG, Beschl. v. 26. Februar 2008 - 1 BvR 1602/07, NJW 2008, 1793, 1794).
Durch die gerichtliche Abwägung im Einzelfall werden die jeweiligen Interessen in einen angemessenen Ausgleich gebracht und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hinreichend Rechnung getragen.
Schließlich existiert auch ein strafrechtlicher Schutz gegen widerrechtliche Bild- und Tonaufnahmen. Gemäß § 201 Absatz 1 Strafgesetzbuch (StGB) wird wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes bestraft, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. Gemäß § 201a Abs. 1 StGB wird wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen bestraft, wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder überträgt und dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt. Ebenso wird gemäß § 201a Absatz 2 StGB bestraft, wer eine durch eine Tat nach Absatz 1 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht."
Für mich ist dies nachvollziehbar, ich schließe mich daher dieser Bewertung an.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Johann Wadephul, MdB