Hallo Herr Martel, wie sehen Sie unser Bildungssystem? Was halten Sie von Gemeinschaftsschulen? Lernbegleitung oder lieber Förderschule? Freie Schulwahl oder kleine Schulen vor Ort stärken?
![Johann Martel Johann Martel](/sites/default/files/styles/politician_teaser_xsmall/public/politicians-profile-pictures/1000_0.jpg?itok=tcUyX3u_)
Sehr geehrte Frau D.,
vielen Dank für Ihre Frage, die doch ein sehr umfangreiches Thema betrifft. Ich befürworte absolut die freie Schulwahl und natürlich sollte jede Gemeinde ihre Schulen möglichst behalten.
In der Vergangenheit hatten einige kleinere Ortsteile von Gemeinden damit zu kämpfen, ob es noch genügend Schüler zum Betrieb einer eigenen (Grund-)Schule gibt. Ich denke, diese Situation hat sich (zumindest bei den meisten Gemeinden) zwar entspannt, weil die Jahrgänge wieder mehr Kinder umfassen, aber es bleibt eine schwierige Entscheidung. Wir haben inzwischen auch etwas Chaos im Schulsystem, denn die Schulen haben recht viele Freiheiten. Das ist zwar eigentlich positiv, führt aber auch zu Herausforderungen, weil z. B. bei einem Umzug ein Kind in einer anderen Grundschule gänzlich anders unterrichtet werden kann als in der bisherigen Grundschule.
Das ist die Stelle, an der ich es kritisch sehe, dass man mit dem Bildungssystem seit Jahrzehnten zu viele Experimente veranstaltet hat. Vom Schreiben-nach-Gehör über das Zusammenlegen verschiedener Jahrgänge bis zum G8/G9 oder "jeder lernt in seinem Tempo". Auch die diesjährigen Kompass-Tests sind letztlich ja eine Folge davon, weil man die Grundschulen wieder auf einen Nenner bringen will bzw. muss!
Es kommt also darauf an, was Sie unter "kleinen Schulen vor Ort" verstehen. Am Ende kann nicht jeder kleine Ortsteil einer Gemeinde eigene Schulen haben, aber natürlich darf der ländliche Raum nicht durch Zentralisierung immer weiter geschwächt werden. So befürworte ich beispielsweise, dass es bei mir im Neckar-Odenwald-Kreis zwei Standorte für Gewerbeschulen gibt und nicht einer der Standorte geschlossen wurde, die es durch die früheren Altkreise vor der Landkreisreform gab und die bis heute eben geblieben sind. Auch wenn vermutlich die Konzentration auf einen Standort zu einer besseren Ausstattung führen würde, weil dann mehr finanzielle Mittel für die eine Schule bereitstehen würden, sorgen die verschiedenen Standorte für andere Vorteile.
Da ich selbst sechs Kinder und zwei Enkel habe, kenne ich natürlich auch viele andere Eltern. Und ich kenne sowohl Lehrer von Förderschulen als auch betroffene Eltern und Kinder, die einen Förderbedarf haben. Ich halte Förderschulen in den meisten Fällen für besser geeignet. Letztlich geht es an einer normalen Schule trotzdem um das Erreichen der Lernziele am Ende des Jahres. Und in der Praxis wechseln die Lernbegleiter meistens viel zu häufig durch, was dem Vertrauensverhältnis schadet und auch dem effektiven Lernen. Die sehr kleinen Klassen und der angepasste Lehrplan an einer Förderschule hingegen ermöglichen für die Schüler meistens ein angenehmeres Lernen. Das große Problem ist dabei, dass für manche die nächste Förderschule weit weg ist. Es ist aber bedauerlich, wenn die Kinder dann primär aus Gründen der Einfachheit in der Nähe unterrichtet werden sollen, nicht aber, weil man das Konzept der Lernbegleitung wirklich für besser hält.
Die Gemeinschaftsschule ist in der Theorie nett gedacht und war daher auch ein naheliegender Ansatz, in der Praxis ist sie aber schlecht gemacht und funktioniert nicht so gut, wie sie sollte. Ich bin überzeugt davon, dass ein Kind, welches z. B. bei den Kompass-Tests die Leistungen für das Gymnasium erreicht hat, auch an ein Gymnasium gehen sollte und dort besser aufgehoben ist als an einer Gemeinschaftsschule. Und das, obwohl gut doppelt so viel Geld pro Kopf in Gemeinschaftsschulen fließt, weil sie eben als ideologisches Projekt durchgedrückt wurde.
Zu Zeiten des dreigliedrigen Schulsystems hatten wir eines der besten Bildungssysteme der Welt und das beste im Ländervergleich. Wir sollten uns daher in Teilen wieder daran orientieren. Von daher würde ich diesen klassischen Bildungswegen, also Gymnasien, Realschulen etc., wieder wesentlich mehr Mittel zur Verfügung stellen. Es ist ja inzwischen allgemein bekannt, wie sehr Deutschland in internationalen Bildungsvergleichen abgestürzt ist. Dabei ist Bildung für ein rohstoffarmes Land elementar! An der Bildung zu sparen (und das umfasst auch die Schulgebäude) ist daher fatal!
Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich kein Experte für Bildungspolitik bin. In der Bundestagsfraktion würde ich dieses Ressort also anderen überlassen, beispielsweise Kollegen, die selbst als Lehrer tätig waren.