Frage an Jörn Frommann von Mark J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Frommann,
seit einigen Tagen besprechen wir in unserem Gemeinschaftskunde Leistungskurs das neue, von uns sehr kritisch betrachtete, Wahlrecht der CDU. Welche Frage sich nun bei mir auftut ist folgende:
Wieso wird dem Volk nicht selbst die Gewichtung über die Auswahl der Direktkandidaten überlassen bzw. warum wird dem Volk dieses Recht entzogen?
Ich habe mir schon einige andere Beiträge auf dieser Seite von Ihren Kollegen durchgelesen und oft diese Frage unbeantwortet gesehen. Es ist offensichtlich, dass dem Volk so eine demokratische Entscheidung und Individualisierung bei der Stimmabgabe genommen wird. Ich möchte jedoch noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass man dadurch die Kompetenz des Volkes politisch korrekt entscheiden zu können in Frage stellt? Immerhin sind wir das Volk, also warum sollten wir nicht wissen, welche Politiker für uns richtig sind. Diejenigen, die sich nicht genau im klaren darüber sind, wem sie genau (direkt) ihre Stimme geben, denen ist das Kumulieren in Bezug auf eine Liste immer noch gewährt.
Außerdem: Wieso ist es den Politikern zu "mühselig" sich um einen Wahlkreis zu kümmern. Ist es in der heutigen Zeit nicht schon schwierig genug für das Volk Durchblick in der heutigen Politik zu behalten? Somit wäre es doch gar nicht schlecht, dem Volk eine gewisse Bindung an ihre Politiker zu gewähren? Die Wähler würden sich stärker in ihren Interessen vertreten fühlen und die Abgeordneten hätten eine Chance näher an ihren Anhängern zu sein. Der Wahlkampf hat gezeigt, wie wichtig den Politikern die Nähe zum Volk ist, wenn es denn um Wählerstimmen geht. Wieso sieht das die CDU in Hamburg anders?
Ich hoffe, Sie können trotz der etwas unstrukturierten Form auf einige meiner Fragen antworten. Ich würde es sehr zu schätzen wissen.
Mit freundlichen Grüßen, Mark Jensner
Sehr geehrter Herr Jensner,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema "Wahlrecht", die ich an dieser Stelle gerne beantworten will.
Ich gehöre bereits seit vielen Jahren zu den Unterstützern der Schaffung von Wahlkreisen, da sie meiner Meinung nach u.a. den Austausch mit den Bürgern fördern würden. Leider ist es uns damals nicht gelungen, uns mit dieser Meinung durchzusetzen. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass das durch den Volksentscheid vorgelegte Wahlrecht in vielen Dingen nicht bis zum Ende durchdacht wurde. Aus diesem Grunde halte ich es auch für sinnvoll, dass die Landeslisten der Parteien zukünftig nicht korrigiert werden können. Ein Grund sind für mich u.a. die Bewerbung von sog. "Externen" auf den Parteilisten, die sicherlich ansonsten nur wenig Gelegenheit hätten sich in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Das gleiche gilt vielfach für Frauen, die ohnehin nur in geringerer Anzahl auf den Listen Berücksichtigung finden. Auch Newcomer haben es "ohne Schutz" aus meiner Sicht schwerer. Auf den Wahlkreislisten soll die "Auswahl" dennoch erhalten bleiben, wenn auch mit einem Quorum versehen. ich glaube in übrigem auch nicht, dass das "Volk" sich tatsächlich einen kompletten Überblick über die Kandidaten auf der Landesliste der Parteien verschaffen kann, um dann wirklich entscheiden zu können, welcher Kandidat tatsächlich der richtige ist. Ich würde mir dies z.B. auch jetzt schon nicht bei den Listen der anderen Parteien zutrauen. Sicherlich können Sie jedem meiner Argumente und Empfindungen ein Gegenargument entgegensetzen. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass der nunmehr von uns vorgesehene Weg auch Ihren Argumenten Rechnung trägt.
Ihren Anmerkungen zum Wahlkreis und der Nähe zum Bürger kann ich nur zustimmen. Ich selbst bin auf Wilhelmsburg zu Hause und habe meine Arbeit dort immer, egal ob als Bürgerschaftsabgeordneter, als Bezirksversammlungsmitglied oder als Ortsausschussmitglied, genauso wie meine CDU-Kollegen vor Ort, als Wahlkreisarbeit mit und am Bürger verstanden. Dies ist sicherlich in einem abgeschlossenen Bereich wie Wilhelmsburg einfacher, als in Hamburg-Nord. Dennoch gebe ich aus eigenen Erfahrungen zu bedenken, dass sich bei unserer Tätigkeit um ein "Feierabendparlament" handelt, dass darüber hinaus nur über eingeschränkte Mittel zur Unterstützung der Abgeordneten verfügt. Diesen Status würde ich, auch im Sinne der Bürger, nur ungern aufgeben.
Ich hoffe, dass Sie erkennen, das die Meinung der CDU zur Wahlrechtsreform durchaus sehr differenziert ist und wir uns erst nach der Abwägung vieler verschiedener Punkte zu einer, wie ich finde, maßvollen Korrektur entschieden haben.
Mit besten Grüßen
Jörn Frommann