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Jörg van Essen
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Frage von Silvie R. •

Frage an Jörg van Essen von Silvie R. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr van Essen,

Wir, die Menschenrechtsgruppe des Landschulheims am Solling
in Holzminden haben uns mit dem Thema Rechtsextremismus intensiv auseinander gesetzt und sind bei unseren umfangreichen Recherchen auf den Begriff "Hasskriminalität" gestoßen.

Dabei sind wir auf den Gesetzentwurf (Drucksachen-Nummer 16/10123) des Bundesrates vom 04.07.08 zur Änderung des Strafgesetzbuches in Bezug auf die oben genannte Hasskriminalität aufmerksam geworden.

Wir stehen diesem Gesetzentwurf einheitlich positiv gegenüber und haben durch Herrn MdB Thul erfahren, dass dieser Entwurf bis dato nicht im Bundestag diskutiert wurde. Er hat uns jedoch an den Rechtsausschuss verwiesen. Wir fragen uns, weshalb dieses -aus unserer Sicht- sehr wichtige Thema noch nicht behandelt worden ist. Ist es üblich, dass Gesetzesvorlagen über einen Zeitraum von sieben Monaten unbearbeitet bleiben? Wird man sich in absehbarer Zeit im Rechtsausschuss mit der Vorlage befassen?

Darüber hinaus würde uns interessieren wie Sie bzw. ihre Fraktion dem Thema gegenüber stehen.

Mit freundlichen Grüßen
Stellvertretend für die Menschenrechtsgruppe
S. Rohr

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Antwort von
FDP

Sehr geehrte Frau Rohr!

Vielen Dank für Ihre Zuschrift. Ich habe hierzu übrigens auch im Sommer 2008 via E-Mail eine ähnliche Anfrage erhalten. Meine damaligen Ausführungen sind nach wie vor aktuell. Es ist bekannt, dass sich meine Fraktion gegenüber höheren Strafen für extremistische Gewalttaten sehr skeptisch geäußert hat. Ich möchte hier nur auf eine entsprechende Einlassung meiner Fraktionskollegin und früheren Bundesjustizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger, MdB, verweisen, die die geplanten Verschärfungen als "vollkommen untauglich" bezeichnet hatte. Ein Link zu einer Veröffentlichung des Zentralrats der Juden in Deutschland, in der Frau Leutheusser-Schnarrenberger, MdB, zitiert wird, habe ich Ihnen nachfolgend eingeblendet:
http://www.zentralratdjuden.de/de/article/1397.html?path=de/article/1397.html&print=1

Auch mein Fraktionskollege Christian Ahrendt, MdB, hat schon vor langem vor Aktionismus gewarnt und festgehalten, dass die bestehenden Gesetze ausreichen, um eine extremistisch veranlasste Straftat angemessen zu ahnden:
http://www.christian-ahrendt.de/?wc_c=5427&wc_lkm=&id=9878&suche=Ahrendt,%20Christian

Gleichzeitig sieht auch die FDP-Bundestagsfraktion die Zahl der links- und rechtsextremistischen Straftaten im Jahr 2008 mit großer Sorge. Herr Ahrendt, der unser Experte für Extremismusbekämpfung ist, hat erst vor kurzem gefordert, dass den Auswüchsen politischer Gewalt mit einer konsequenten Strafverfolgung und harten Strafen begegnet werden muss:

http://www.fdp-fraktion.de/webcom/show_websiteprog.php?wc_c=649&wc_lkm=84&wc_id=11903&kids=a%3A2%3A%7Bi%3A694%3Bi%3A5781%3Bi%3A695%3Bs%3A4%3A%226117%22%3B%7D

In diesem Zusammenhang beunruhigt mich übrigens sehr viel mehr eine kürzlich vorgestellte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die zu dem Ergebnis kommt, dass zunehmend Strafverfahren eingestellt werden. Ich habe mich hierzu umgehend und eindeutig positioniert: Die Studie zeigt, wie wichtig es ist, dass einer Straftat die Strafe auf dem Fuße folgt. Hohe Aufklärungs- und Verurteilungsraten wirken abschreckend. Daher ist es essentiell, dass wir bei den Ermittlungsbehörden nicht den Rotstift ansetzen. Hoher Verfolgungsdruck wirkt besser als hohe Strafrahmen. Es ist heute leichter, bis in den Bereich der mittleren Kriminalität ungeschoren mit einer Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit ohne Geldauflage davonzukommen als nach einem völlig belanglosen kleinen Verstoß im Straßenverkehr. Auch da wird die Gerechtigkeit auf den Kopf gestellt. Ein Link zu meiner Pressemiteilung habe ich nachfolgend eingefügt: http://www.joerg-van-essen.de/?wc_c=1592&wc_lkm=0&id=12019&suche=Essen,%20J%C3%83%C2%B6rg%20van

Übrigens haben wir uns u.a. Ende 2008 auch für die auf rechtsextremistische Aussteiger spezialisierte Initiative EXIT-Deutschland engagiert:

http://www.fdp-fraktion.de/files/538/Antrag-EXIT.pdf

Ich bin mir bewusst, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf in den Beratungen im Bundesrat größere Änderungen erfahren hat. Gleichzeitig bin auch ich im Hinblick auf jegliches Gesinnungsstrafrecht grundsätzlich sehr ablehnend. Ob wirklich Änderungen der Strafbemessungsregeln in §§ 46 ff StGB angezeigt sind, hängt in meinen Augen davon ab, inwieweit die bisherigen Regelungen tatsächlich nicht ausreichend sein sollten und zu Wertungswidersprüchen führen.

Auch die Ihnen bekannte Stellungnahme der Bundesregierung ist ja eher skeptisch. Gleichzeitig lässt auch sie keinen Zweifel daran, dass die Zurückdrängung von Straftaten aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder anderen menschenverachtenden Motiven eine wichtige Aufgabe des Rechtsstaats ist. Wo diese Taten begangen werden, müssen sie mit aller Konsequenz verfolgt und angemessen bestraft werden. Und trotzdem fragt auch sie, ob die vorgeschlagenen Änderungen des Strafgesetzbuchs zur Erreichung dieser Ziele geboten und sachgerecht sind.

Zu Ihrer Frage, ob sich der Rechtsausschuss in absehbarer Zeit mit der Vorlage befassen wird, kann auch ich nur spekulieren: Praktisch sind in meinen Augen die verbleibenden Sitzungswochen des Deutschen Bundestages insbesondere bei größeren Vorhaben wegen der erforderlichen Anhörungen kaum noch für neue Gesetzesverabschiedungen zu nutzen. Wir werden vor allem wegen der vielen inhaltlichen Differenzen im Wesentlichen nur noch die Abwicklung der so genannten großen Koalition erleben.

Ich habe auch das Gefühl, dass der Rechtsausschuss zu dem Vorhaben eine Expertenanhörung durchführen müsste. Die Ergebnisse einer solchen werden für meine Fraktion - und sicherlich auch für andere Fraktionen - maßgeblich das weitere Vorgehen in der Sache bestimmen. Auch wenn das Gesetzgebungsvorhaben in dieser Legislaturperiode nicht mehr beraten werden sollte, bin ich mir sehr sicher, dass es in der 17. Legislaturperiode neu eingebracht werden wird. Wir sollten es dann in aller Ruhe und mit Bedacht beraten.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg van Essen, MdB,
Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion