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Jörg van Essen
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Frage von Jürgen V. •

Frage an Jörg van Essen von Jürgen V. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr van Essen,

in einer Antwort in Abgeordnetenwatch vom 14.12. an Hr. B. begründen sie mit Art. 38 GG des freien Mandates und sehen durch mögliche Veränderungen eine Konterkarierung der Demokratie.
Hierzu möchte ich Ihnen einige Fragen stellen:
Kann man überhaupt noch von freiem Mandat der Abgeordneten sprechen wenn viele Abgeordnete Doppelinteressen verfolgen ?(bspw. MdB Spahn Lobbyfirma oder auch Mövenpickspende an FDP und später Mehrwertsteuerermäßigung für Hoteliers)
Konterkarrieren die Abgeordneten die Ziele einer Demokratie z.Z. nicht selber durch dass Übermaß an "Nebentätigkeiten" ?
Ist das Parlament überhaupt noch in der Lage ein UN Antikorruptionsgesetz zu ratifizieren wie dieses schon 164 Länder getan haben?

Für die Beantwortung der fragen bedanke ich mich im Voraus

Mit freundlichen
Grüßen

J. V.

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Vanselow,

auf Ihre Anfrage antworte ich Ihnen gerne:

Selbstverständlich kann man von einem freien Mandat nach Art. 38 GG sprechen, auch wenn Abgeordnete beruflich eingebunden sind. Interessanterweise wird diese Frage - wie auch von Ihnen - ausschließlich wegen der Abgeordneten gestellt, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Niemand stellt diese Frage, wenn Gewerkschaftsfunktionäre - selbst sogar Gewerkschaftsvorsitzende - als Abgeordnete ein Mandat im Deutschen Bundestag wahrnehmen. Zur Freiheit des Mandats gehört auch, dass sie Kenntnisse aus der beruflichen Tätigkeit - sei es in der Gesundheitswirtschaft oder als Gewerkschaftsvorsitzender - in die parlamentarische Arbeit einbringen. Die Beratung der Vorlagen im Parlament lebt geradezu davon, dass Abgeordnete mit ihrer persönlichen Berufserfahrung beabsichtigte Gesetzgebungsverfahren intensiver und besser beurteilen können.

Wenn Art. 38 voraussetzen würde, dass keinerlei berufliche Vorkenntnisse vorliegen, weil man nur so neutral sein könnte, müssten die - insbesondere in der Grünen-Fraktion reichlich vorhandenen - berufslosen Abgeordneten der Idealtyp sein. Das Gegenteil ist der Fall. Kein Abgeordneter ist abhängiger von der parlamentarischen Tätigkeit als die berufslosen Kolleginnen und Kollegen, da sie außerhalb des Parlaments nur schwer einer beruflichen Tätigkeit nachgehen könnten.

Ihr Hinweis auf die sogenannte Mövenpick-Spende entbehrt schon deshalb jeder Grundlage, weil die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes nicht nur Programmbestandteil der FDP, sondern auch der CDU/CSU, des Tourismus-Programms der SPD, des Programms der bayrischen Grünen-Landtagsfraktion und des Bundestagswahlprogramms 2009 der Links-Partei war. Ein Unternehmer, der einer einzigen Partei wegen eines von allen Parteien gewünschten politischen Verhaltens eine Spende geben würde, wäre in seiner Dummheit doch nicht zu überbieten. Sie können deshalb sicher sein, dass die Spende, die mit dem Wort ‘Mövenpick-Spende‘ bezeichnet wird, auf keinen Fall mit der Zielrichtung der Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes gegeben worden ist, zumal die Mövenpick-Kette eine Restaurant-Kette ist und nur über extrem wenige Hotels verfügt.

Von einem Übermaß an Nebentätigkeiten kann überhaupt gesprochen werden, mehr als zwei Drittel der Abgeordneten des Deutschen Bundestages gehen keiner Nebentätigkeit nach. Im Übrigen ermuntere ich gerade die selbständigen Handwerksmeister, die in meiner Fraktion überproportional vertreten sind, ihren Beruf weiter auszuüben. Im Gegensatz zu mir als Beamter haben diese Abgeordneten keine Rückkehrrechte in ihren alten Beruf. Es ist deshalb richtig, wenn zum Beispiel ein Bäckermeister, der - wie ein Kollege erst in diesem Jahr in die Bundestagsfraktion nachgerückt ist - seinen Betrieb weiterführt, da er nicht sicher damit rechnen kann, nach der Bundestagswahl in diesem Jahr wieder in den Bundestag gewählt zu werden. Es sichert seine Unabhängigkeit, wenn er seinem Beruf weiter nachgeht.

Ihr Hinweis auf die 164 Länder, die die Anti-Korruptionskonvention der Vereinten Nationen unterzeichnet haben, geht völlig in die Irre. Unter den Ländern, die im Korruptionsindex am Schlusslicht liegen, sind nahezu ausschließlich Unterzeichnerstaaten der UN-Antikorruptionskonvention. Die Unterzeichnung und Ratifizierung hat offensichtlich an der Situation nichts geändert, während Deutschland - erfreulicherweise - ganz hervorragend bewertet wird. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass in der vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages durchgeführten Anhörung zu den drei Gesetzentwürfen von SPD, LINKS-Partei, BÜNDNIS‘90/DIE GRÜNEN zur Umsetzung der UN-Konvention die Vorlagen von den angehörten Experten vollständig zerrissen worden sind. Interessant war, dass die Zuschauertribüne während dieser Anhörung voller Journalisten war, die sich über die Argumente der Sachverständigen informiert haben. Nachdem alle Sachverständigen bei den Gesetzentwürfen entweder Verstöße gegen Art. 38 GG oder Art. 103 Abs. 2 GG nachgewiesen haben, fand eine öffentliche Berichterstattung trotz des großen Interesses der Medien über diese Anhörung nicht mehr statt. Ein aus meiner Sicht unglaublicher Vorgang.

Ich bin aber immerhin dankbar, dass eine Bürgerin, die mich kritisch wegen der Nichtumsetzung angeschrieben hat, mir nach der Anhörung folgendes schrieb:
„Nachdem ich an der Anhörung des Rechtsausschusses am letzten Mittwoch teilgenommen habe, erschließt sich mir noch besser die Schwierigkeit, mit der Sie bei der Vorbereitung der Ratifizierung der UN-Konvention zu kämpfen haben.“

Dies war allen Fraktionen des Deutschen Bundestages vor der Ratifizierung durch die Bundesregierung bekannt. Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben vor der Ratifizierung die Bundesregierung darauf hingewiesen, dass wegen der Bestimmung des Art. 38 GG und des Art. 103 Abs. 2 GG eine Umsetzung in deutsches Recht nicht möglich sein würde. Die Bundesregierung hat trotzdem gezeichnet.

Es ist deshalb nicht die Schuld des Bundestages, dass eine Umsetzung bisher nicht erfolgt ist.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg van Essen, MdB