Frage an Joachim Herrmann von Peter S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Herrmann,
mit Erschrecken habe ich in der heutigen (11.02.2013) Ausgabe der Sendung Spiegel-TV von den Verfehlungen der bayrischen Polizei und dem in der Folge beschämenden Verhalten der Staatsanwaltschaft erfahren. Sicherlich ist nicht alles wahr, was im TV zu sehen ist aber dennoch spreche ich dem Spiegel ein Mindestqualität zu.
Ihr Verhalten bzgl. der Ihnen innerhalb der Befragung gestellten Fragen scheint ignorannt zu sein - vielleicht hatten Sie auch nur keine Zeit.
Ich habe nachgelesen (WIKI) und erfahren, dass Ihr Herr Vater ordentlicher Professor für Rechtsgeschichte und Zivilrecht wurde und auch Sie das zweite Staatsexamen gemacht haben. Wo bleibt die Gerechtigkeit, wenn Beamte (von Bürgern bezahlt, für die Erhaltung des Rechts) sich absprechen undf lügen - das ist organisiertes UNRECHT. Was sagen Sie als Bürger und als Jurist zu diesem Vorgehen.
Was sagen sie zu den fehlenden Videobeweisen. Die Geschichte mutet wie ein Hollywood-Film an.
Leben wir in einer Banananrepublik wo das Rechtsempfinden und Tagesform eines Beamten das Recht definiert oder gelten bei uns Recht, Gesetz und Anstand.
Mich läßt das Gezeigte an unserem Rechtssystem zweifeln, denn schließlich muss ich glauben, dass nicht das Bürgerrecht gilt, sondern die Tageslaune eines pansionsberchtigten Beamten.
Was sagen Sie dazu? Muss ich die Hoffung aufgeben oder gibt es sie noch?
Sehr geehrter Herr Schmidt,
für Ihr Schreiben vom 11.02.2013 via www.abgeordnetenwatch.de , in dem Sie den Beitrag „Strafsache Polizei – wenn bayerische Beamte prügeln gehen“ im Magazin Spiegel-TV vom 11.02.2013 thematisieren, möchte ich mich herzlich bedanken.
Einleitend darf ich in aller Deutlichkeit feststellen, dass mir als Bayerischen Innenminister aber auch der gesamten Bayerischen Polizei sehr daran gelegen ist, stets alle Sachverhalte aufzuklären, die das positive Bild der Polizei bei den Bürgerinnen und Bürgern beschädigen können. Diese dürfen selbstverständlich erwarten, dass sich die Beamtinnen und Beamten an Recht und Gesetz halten und sich ihrer Vorbildfunktion sowie ihrer Stellung in der Öffentlichkeit bewusst sind. So werden Beschwerden oder Anzeigen gegen Polizeibeamte, die konkrete Anhaltspunkte für dienstliche Verstöße liefern, sorgfältig überprüft. Festgestelltes Fehlverhalten wird von der Justiz entsprechend gewürdigt. Losgelöst von der Würdigung durch die unabhängigen Gerichte werden Sachverhalte, die Anhaltspunkte für dienstliche Verstöße liefern, zusätzlich von den Dienstvorgesetzten geprüft und bewertet. Das kann zur Konsequenz haben, dass disziplinarrechtliche Maßnahmen wie von der Missbilligung über Geldbuße, bis hin zu einer Gehaltskürzung oder gar der Entfernung aus dem Dienst getroffen werden.
In der Reportage des Magazins Spiegel-TV vom 11.02.2013 werden sehr unterschiedliche Sachverhalte geschildert. Für eine Beurteilung der Fälle ist mir eine differenzierte Bewertung wichtig. Entscheidend ist dabei jeweils, welche Ermittlungen und Entscheidungen mit welchem Ergebnis durch die unabhängige Justiz getroffen wurden. Vor diesem Hintergrund darf ich Ihnen zu den in der Reportage dargestellten Sachverhalten nachfolgende Informationen geben:
Im Rahmen eines Polizeieinsatzes anlässlich der Durchsetzung eines örtlichen Grillverbots überprüften nach Mitteilung des Polizeipräsidiums München Beamte den Uferbereich eines Sees und verwiesen die angetroffenen Personen über Außenlautsprecher des Dienstfahrzeuges auf die ausgewiesenen Grillflächen. Sie kündigten die Erstattung von Ordnungswidrigkeitenanzeigen an, falls im verbotenen Bereich weiter gegrillt würde. Nach mehreren Durchsagen begab sich ein kleiner Teil der betroffenen Personen in den ausgewiesenen Grillbereich. Der überwiegende Teil zeigte sich wenig beeindruckt. Einige ließen verlauten, sie würden weiterfeiern und sich das Ordnungsgeld teilen. Letztlich mussten zur Durchsetzung des Grillverbotes weitere Beamte hinzugezogen werden, wobei es seitens einer Personengruppe zu Widerstandshandlungen kam, infolge derer zwei Polizeibeamte sowie ein Mann und seine Ehefrau verletzt wurden. Der Betroffene wurde wegen Widerstand gegen Polizeibeamte verurteilt. Er bestätigte selbst in seiner Zeugeneinvernahme, dass er zu keiner Zeit von den beschuldigten Polizeibeamten getreten oder geschlagen worden war. Das Verfahren gegen die beschuldigten Beamten wurde von der Staatsanwaltschaft München I nach § 170 Abs.2 StPO eingestellt.
Im Fall der Familie Eder wurde das Verfahren durch das Amtsgericht in Rosenheim nach umfangreicher Beweisaufnahme mit Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten gegen alle Angeklagten gemäß § 153 Abs.2 StPO wegen geringer Schuld eingestellt.
Die Verteidigung nahm zudem alle Strafanträge gegen die beteiligten Polizeibeamten zurück. Gleichwohl stellten Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung klar, dass sie von ihrer Rechtsansicht nicht abweichen. Ausgehend von den gerichtlichen Feststellungen erfolgte eine Aufarbeitung des zugrunde liegenden Sachverhalts durch das Polizeipräsidium Oberbayern Süd, der für die Dienstaufsicht über die betroffenen Polizeibeamten zuständigen Behörde.
Zum Sachverhalt im Zusammenhang mit der Dolmetscherin darf ich Ihnen mitteilen, dass diese in einem Fall beigezogen wurde, bei dem Hinweise auf ein versuchtes Tötungsdelikt zum Nachteil von Bauarbeitern vorlagen. Im Rahmen ihrer Dolmetschertätigkeit versuchte sie augenscheinlich zu verhindern, dass die Betroffenen vor der Polizei etwas aussagen. Nachdem sie offensichtlich von der Tat wusste und eine Strafvereitelung im Raum stand, sollte ihre Identität festgestellt werden, was sie verweigerte. Um an den Ausweis in der umklammerten Handtasche zu gelangen, wendeten die Beamten, nach über einer Stunde Zuredens und nach mehrfacher Androhung, unmittelbaren Zwang an. Die Beamten schilderten, die Dolmetscherin sei hierbei nach vorne weggelaufen und mit dem Kopf gegen eine Wand gestoßen, bis sie wieder fixiert werden konnte.
Das Amtsgericht München wies in seiner Verhandlung darauf hin, dass es zumindest eine Verurteilung der Dolmetscherin wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte für wahrscheinlich hält. Angesichts der Gesamtumstände, insbesondere wegen der erlittenen Verletzungen der Dolmetscherin, regte das Gericht jedoch eine Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld gemäß § 153 Abs. 2 StPO an. Die Dolmetscherin, deren Verteidigerin und die Staatsanwaltschaft stimmten dem zu. Das Gericht hat das Verfahren daraufhin eingestellt. Die Staatsanwaltschaft München I überprüfte im Nachgang unter Beiziehung des rechtsmedizinischen Gutachtens die Aussagen der beiden Polizeibeamten im Rahmen eines Verfahrens wegen falscher uneidlicher Aussage. Letztlich wurde das Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Zum Polizeieinsatz bezüglich der Familie mit dem behinderten Sohn darf ich vorausschicken, dass die journalistische Aufarbeitung des Einsatzes aus unserer Sicht ein völlig verzerrtes Bild des Polizeieinsatzes wiedergibt.
Die polizeilichen Maßnahmen waren aufgrund eines langanhaltenden Familienstreits mit erheblichen Ruhestörungen der Nachbarschaft und massiver körperlicher Angriffe auf die eingesetzten Beamten erforderlich. Aus vorausgegangenen Einsätzen war die Gewaltbereitschaft der ruhestörenden Personen innerhalb der Familie und gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten bekannt, weshalb die Unterstützung der Streifenbesatzung durch Kräfte des USK (Unterstützungskommando) geboten war. Einsätze von Streifenbesatzungen werden regelmäßig polizeilich nicht videographiert, wohingegen Einsätze des USK standardmäßig entsprechend dokumentiert werden. Da die Beamten des USK nicht von Beginn an eingesetzt waren, sondern zur Unterstützung in der Wohnung beigezogen wurden, fehlen nicht etwa Videosequenzen, wie im Beitrag der Reportage angedeutet, vielmehr existieren lediglich Videoaufnahmen vom Einsatz des USK.
Im Ergebnis der durch die Betroffenen angestrengten verwaltungsgerichtlichen Prüfung der Polizeimaßnahmen und der strafrechtlichen Würdigung des Verhaltens der Polizeibeamten durch die Staatsanwaltschaft waren die Maßnahmen rechtmäßig und das Verhalten strafrechtlich nicht zu beanstanden. Dienstaufsichtliche Maßnahmen waren daher nicht veranlasst.
Darüber hinaus befasste sich der Bayerische Landtag aufgrund einer Schriftlichen Anfrage mit dem Thema. Den Wortlaut der Anfrage sowie die Antwort der Staatsregierung können Sie über den Link http://www.bayern.landtag.de im Bereich „Dokumente – Drucksachen“ - Drucksache Nr. 16/12546 vom 10.05.2012 einsehen.
Zum dargestellten Fall des Radfahrers in Passau darf ich Sie auf unsere Antwort auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten des Bayerischen Landtags, Frau Tausendfreund (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN), vom 30.04.2012 unter http://www1.bayern.landtag.de/ElanTextAblage_WP16/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/16_0012883.pdf verweisen.
Eine Bewertung der justiziellen Verfahren in allen in Rede stehenden Fällen steht mir und der Bayerischen Polizei wegen der Unabhängigkeit der Gerichte nicht zu.
Sehr geehrter Herr Schmidt, die derzeitige mediale summarische Darstellung von Einzelfällen, die z. T. schon Jahre zurückliegen, können einen Eindruck vermitteln, der nach meiner Überzeugung den Leistungen der Bayerischen Polizei nicht gerecht wird. Dass Bürgerinnen und Bürger nirgendwo anders so sicher leben wie in Bayern, ist in erster Linie ein Verdienst unserer hochmotivierten und gut ausgebildeten Polizei. So bin ich davon überzeugt, dass die ganz große Mehrheit der bayerischen Polizeibeamtinnen und –beamten ihre hoheitlichen Aufgaben korrekt und bürgerfreundlich erfüllt. Wenn man ergänzend sieht, dass unsere Polizistinnen und Polizisten ca. 1,5 Millionen Einsätze pro Jahr mit zum Teil hohem Konfliktpotential bewältigen müssen, dann ist im Verhältnis dazu das Beschwerdeaufkommen von etwa 1.750 Fällen (0,12 %) als gering zu bewerten. Darüber hinaus belegen Umfragen unabhängiger Meinungsforschungsinstitute, dass der Polizei ein hohes Vertrauen seitens unserer Bürgerinnen und Bürger entgegengebracht wird.
Gerade deshalb ist es mir auch wichtig, dass der behördliche Umgang mit strafrechtlich oder dienstrechtlich relevantem Fehlverhalten von Polizeibeamtinnen und –beamten für die Bürgerinnen und Bürger transparent ist und als rechtsstaatlich akzeptiert werden kann. Die Devise lautet: In der Bayerischen Polizei wird nichts unter den Teppich gekehrt! Um dies in der öffentlichen Wahrnehmung noch deutlicher zu machen, haben wir nunmehr die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Polizeibeamte auf eine zentrale Ermittlungsstellen nämlich das Bayerische Landeskriminalamt, konzentriert. Damit konnten wir eine weitere Professionalisierung im Umgang mit (Verdachts-)Fällen strafrechtlich relevanten Verhaltens von Polizeibeamten erreichen. Bedeutsam ist in meinen Augen auch, dass die polizeilichen Ermittlungen nicht dem polizeilichen Ermessen obliegen, sondern sich an den Vorgaben der Strafprozessordnung auszurichten haben und zudem von der Staatsanwaltschaft geleitet werden. Die abschließende Bewertung der ermittelten Sachverhalte erfolgt durch die unabhängigen Gerichten, deren Anrufung – je nach Zuständigkeit – auch unmittelbar den Bürgerinnen und Bürgern offen steht. Die richterliche Unabhängigkeit selbst ist essentielle Basis unserer Verfassung und damit unseres Rechts- und Wertegefüges, an deren Realität und Wirksamkeit ich keinen Zweifel hege.
Vor diesem Hintergrund sollte den Polizeikräften, der Polizeiführung sowie den Strafverfolgungsorganen grundsätzlich das Vertrauen entgegengebracht werden, das jede staatliche Einrichtung zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Herrmann, MdL