Frage an Joachim Bischoff von Antke E. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Bischoff,
ich habe eine Reihe Fragen, die ein Politikfeld berühren, das im Bundestagswahlkampf nahezu völlig unthematisiert geblieben ist:
Wie erklären Sie sich, dass feministische Politik kein Aspekt öffentlicher Auseinandersetzung oder parteipolitischer Aufmerksamkeit mehr ist?
Spielt die Kategorie Geschlecht wirklich keine Rolle mehr bezüglich der Möglichkeiten, ein Einkommen zu erzielen, der Chancen einflussreicher politischer Partizipation, der Gestaltung öffentlichen Raums oder der Ausprägung der (weiterhin thematisierten) Diskriminierungs- und Gewaltverhältnisse wie Rassismus, Homophobie, Armut?
Denken Sie, dass soziale Lebensformen, die nicht daran ausgerichtet sind Familien zu gründen und Kinder aufzuziehen, oder sich in – bevorzugt heterosexuellen – Paarkonstellationen zusammenzufinden oder die nicht in die normierten Vorstellungen von (entweder) Männlichkeit oder Weiblichkeit passen, in ausreichendem Maße öffentlich repräsentiert sind und an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben können?
Was würde es politisch bedeuten, Homosexualität, Transgender, Transsexualität, Intersexualität nicht als sogenannte Minderheitenprobleme zu behandeln, sondern anzuerkennen, dass sie auf die einschränkende gesellschaftliche Organisation von Geschlecht verweisen, die für alle Menschen bedeutsam ist?
Sind Sie der Meinung, dass Kinderrechte ausreichend geschützt und umgesetzt sind? – inklusive des Rechts, auf Flucht und Migration; des Rechts, außerhalb von Familien zu leben; des Rechts, die geschlechtliche und sexuelle Entwicklung nicht innerhalb der Alternativen männlich oder weiblich, hetero- oder homosexuell fixieren zu müssen?
antke engel (Institut für Queer Theory)
Hallo Frau Engel
Sie haben recht, die von Ihnen aufgeworfenen Fragen stehen nicht im Zentrum der Wahldebatte.In aller Kürze möchte ich Ihnen meine Sichtweise skizzieren.
- Wie erklären Sie sich, dass feministische Politik kein Aspekt öffentlicher Auseinandersetzung oder parteipolitischer Aufmerksamkeit mehr ist?
Zunächst denke ich, dass feministische Ideen in den letzten Jahrzehnten eine verbreitete Akzeptanz gefunden haben. Auf der anderen Seite lässt sich auch eine Krise der neuen oder zweiten Frauenbewegung nicht bestreiten. In der politischen Debatte stehen m. E. wichtige praktische Probleme im Zentrum. Verhandelt werden die tatsächlichen Lebensbedingungen von Frauen, wenn sie nicht gerade der reichen Oberschicht angehören. Frauen sind in übergroßer Zahl sozial in vieler Hinsicht benachteiligt: es gibt eine große Frauenarmut, insbesondere von Alleinerziehenden und Rentnerinnen (ebenso wie es eine große Kinderarmut gibt.) Es ist zu konstatieren, dass viele Frauen in schlecht bezahlten, unsichereren Arbeitsverhältnissen arbeiten, d.h. mit Zeitverträgen, ohne Kündigungsschutz, vielfach sogar ganz ohne vertragliche Vereinbarungen. Ein besonderer Skandal ist, dass auch viele Frauen keinen Mindestlohn bekommen. Die Linke fordert seit Jahren einen Mindestlohn von €10. Ein neue Untersuchung hat zu Tage gefördert, dass weibliche Auszubildende und Beschäftigte weniger Lohn bekommen, weil Frauen nach wie vor in „frauentypischen“ Lehrberufen ausgebildet werden oder arbeiten.
Weil die Situation für Frauen so prekär ist, wollen wir eine Grundsicherung durchsetzen, eben um Frauen aus den prekären Situationen zu befreien. In diesem Zusammenhang geht es um die Abschaffung des Hartz IV Systems und den Ausbau einer eigenständigen Grundsicherung für Kinder und Jugendliche.
- Spielt die Kategorie Geschlecht wirklich keine Rolle mehr bezüglich der Möglichkeiten, ein Einkommen zu erzielen, der Chancen einflussreicher politischer Partizipation, der Gestaltung öffentlichen Raums oder der Ausprägung der (weiterhin thematisierten) Diskriminierungs- und Gewaltverhältnisse wie Rassismus, Homophobie, Armut?
Das herrschende (neo-liberale) Denken will uns nahe bringen, Frauen wären längst gleichberechtigt und offiziell existiere keine Diskriminierung. (Die BRD hat übrigens bis heute das Eu-Diskriminierungsgesetz nicht ratifiziert. Die Wirtschaft hat mit dem Argument, dass die der unternehmerischen Freiheit mit einem derartigen Gesetz eingeschränkt würde, erfolgreich dagegen gehalten.) In allen Berufen, nur in zu vernachlässigenden ganz wenigen höheren Karrierepositionen, sind Frauen in Bezug auf Einkommen und Aufstiegschancen benachteiligt. Im öffentlichen Dienst, dem größten Beschäftigungssektor, finden sich Frauen vielfach in niedrigeren Eingruppierungsstufen. Eine weibliche Bundeskanzlerin ist eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht!
Trotz Quoten auf den meisten Parteilisten sind Frauen im Bundestag unterpräsentiert, dementsprechend auch weibliche Mitglieder im Bundestag oder in Regierungspositionen. Vielfach sind Frauen in den etablierten Parteien die „Image-Frauen“ mit wenig Gestaltungsmöglichkeit, denn sonst wären die Strukturen und das Auftreten der führenden Politiker nicht so patriarchalisch und autoritär.
Frauenthemen sind im Bundestag Randthemen, wenn entsprechende Debatten anstehen, dann geht es um Familie und Kinder – aber auch diese Themen sind ingesam unterbelichtet.
Gewalt gegen Frauen, vor allem auch in Partnerbeziehungen steigt und wird bei zunehmender Arbeitslosigkeit und Krise weiter zunehmen. Es gibt zu wenige Plätze in Frauenhäusern, wo Frauen Schutz suchen können; Länder und Kommunen wollen sich zunehmend mehr aus der finanziellen Unterstützung dieser Projekte zurückziehen.
Mit Erstarken der Rechtsradikalen breiten sich Rassismus und Homophobie in beängstigender Weise aus. Rassismus existiert übrigens nicht nur unter Neo-Nazis, sondern auch unter vielen ganz normalen Bürgern; zu fürchten ist auch hier: je prekärer die Verhältnisse werden, umso mehr nehmen die Vorurteile an Raum ein.
- Denken Sie, dass soziale Lebensformen, die nicht daran ausgerichtet sind Familien zu gründen und Kinder aufzuziehen, oder sich in bevorzugt heterosexuellen Paarkonstellationen zusammenzufinden oder die nicht in die normierten Vorstellungen von (entweder) Männlichkeit oder Weiblichkeit passen, in ausreichendem Maße öffentlich repräsentiert sind und an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben können?
Individuelle und partnerschaftliche soziale Lebensformen sind grundsätzlich ebenso tolerieren wie die herrschende Familienform, die im Übrigen nach wie vor eine gesellschaftlichen Normenzwang ausübende symbolische Gewalt gegenüber anderen Paarkonstellationen darstellt. Das gleiche gilt für Heterosexualität als gesellschaftliche Norm. Andere sexuelle Neigungen sind zwar in Bezug auf ihre Lebensformen zwischenzeitlich offiziell möglich, auch Ehen mit gleichgeschlechtlichen Partnern (und entsprechender gesetzlichen Gleichstellung), aber in der Öffentlichkeit und den Medien sind sie nach wie vor relativ unterrepräsentiert.
Was würde es politisch bedeuten, Homosexualität, Transgender, Transsexualität, Intersexualität nicht als sogenannte Minderheitenprobleme zu behandeln, sondern anzuerkennen, dass sie auf die einschränkende gesellschaftliche Organisation von Geschlecht verweisen, die für alle Menschen bedeutsam ist?
Diese Frage von Ihnen ist sehr humanistisch – ich denke, dass ein Wissen um Transsexualität oder Intersexualität unter der Meinung der Bevölkerung kaum existent ist, geschweige denn das vielfach schlimme Schicksal der Betroffenen, wenn sie zwangsweise durch welche Instanz auch immer auf eines der beiden normativen Geschlechter erzogen und festgelegt werden. Was es für die allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse bedeuten würde, wenn Vielgeschlechtlichkeit anerkannt und zugelassen würde, sich dies vorzustellen ist kaum möglich. Auf jeden Fall wären es tolerante, emanzipierte Verhältnisse, von denen wir leider noch weit entfernt sind.
- Sind Sie der Meinung, dass Kinderrechte ausreichend geschützt und umgesetzt sind? ? inklusive des Rechts, auf Flucht und Migration; des Rechts, außerhalb von Familien zu leben; des Rechts, die geschlechtliche und sexuelle Entwicklung nicht innerhalb der Alternativen männlich oder weiblich, hetero- oder homosexuell fixieren zu müssen?
Die soziale Situation von Kindern und ihre Entwicklungsmöglichkeiten in unserem Land sind miserabel. Die Kinderrechte sind nicht ausreichend durchgesetzt. Lediglich anlässlich des Weltkindertages bekommt der Kinderschutzbund in den Medien mal Gehör und sonst wird mehr oder weniger nur von Skandalen und Kindesmisshandlung berichtet. Gerade Kinder bedürfen ganz besonderen Schutz und Fürsorge – dies insbesondere auch Flüchtlingskinder ohne Bleibe und ohne Sprachkenntnisse. Ich bin dafür, dass Kinder grundsätzlich ein Recht darauf haben sollten, selbst zu entscheiden, auch außerhalb ihrer Familie leben zu wollen. Wie auf die geschlechtliche Entwicklung von seiten der Eltern und Erziehern Einfluss genommen wird, ist weitgehend im Dunkeln. Das bestehende Familiengesetz erlaubt nur sehr geringe Einflussnahme von öffentlichen Institutionen. Jugend- und Wohlfahrteinrichtungen müssen personell und finanziell besser ausgestattet werden und müssen öffentlich kontrollierbar sein und bleiben und dürfen nicht privatisiert werden.