Frage an Jens Neuling von Astrid G. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Werter Herr Neuling,
gestatten Sie mir auch noch eine 2. Frage. Bildung ist derzeitig eine Frage des persönlichen Reichtums. Wie wollen Sie Ihre Forderung "Bildung für alle" denn konkret in Berlin umsetzen? Ich habe 2 Kinder (9 und 11 Jahre), kann mir aber keine Privatschule oder Studiengebühren leisten. Was soll aus meinen Kindern mal werden, Ausbildungsplätze gibt es doch auch keine!!!
Eine kurze Antwort bitte.
Astrid Graubaum
Werte Frau Graubaum,
Sie schreiben, "Bildung ist derzeitig eine Frage des persönlichen Reichtums", teilen mir mit, dass Sie sich aber weder Privatschulunterricht noch Studiengebühren für Ihre Kinder leisten können, und fragen mich dann - wenn ich Sie richtig verstanden habe - nach der Ernsthaftigkeit, Umsetzbarkeit und praktischen Finanzierbarkeit des WASG-Slogans "Bildung für alle".
Wie will unsere junge Partei den BürgerInnen vermitteln, dass dieses "Bildung für alle" auf einem unserer 4 Wahlplakate mehr als eine bloße populistische Forderung darstellt oder doch nicht mit den bekannten nichterfüllten und gar nicht erfüllbaren Wahl-Versprechen der etablierten Parteien zu vergleichen ist?
Der Bund, das Land Berlin und die Kommunen sind doch pleite, den BürgerInnen wird immer unverschämter für höhere Brennstoff-, Wasser-, Strom- und Benzinpreise, Steuern, Abgaben und Gebühren in die Brieftasche gegriffen, die nominalen Löhne, Gehälter und Renten stagnieren bestenfalls, real sinken sie seit Jahren.
Dazu meine Antwort:
Ja, auch die Allparteienkoalition im Abgeordnetenhaus trichtert uns tagtäglich ein: Berlin ist pleite! - und auch deshalb sei die Politik der Sozialkürzungen und der Privatisierungen alternativlos. TINA - There is no alternative.
Deutschland ist aber eines der reichsten Länder der Welt (trotzdem senkt Kanzlerin Merkel erneut die Unternehmenssteuern). Das obere Zehntel der Bevölkerung in Deutschland besitzt 50 % des Vermögens. Die untere Hälfte der Bevölkerung ist mit nur 4 % am Vermögen beteiligt. Das Privatvermögen in Deutschland liegt derzeit bei ca. 4 Billionen Euro. Die Gesamt-Staatsverschuldung in Deutschland beträgt aktuell 1,5 Billionen Euro. Das bedeutet: Wenn es gelänge, mit einem Notopferhaushalt das obere Drittel des Geldvermögens in Deutschland abzuschöpfen, wären Bund, Länder und Kommunen auf einen Schlag schuldenfrei.
Dem immensen Reichtum steht eine wachsende Armut gegenüber:
Jedes vierte Kind lebt in Berlin in Armut, in unserer Stadt leben 40 % der Alleinerziehenden unterhalb der Armutsgrenze. Für die betroffenen Kinder bedeutet das eine dramatische Minderung ihrer Chancen auf einen guten Schulabschluss. Nur knapp ein Drittel aller Kinder aus armen Familien schafft den Übergang zu einer weiterführenden Schule.
Die Lehrmittelfreiheit an den Berliner Schulen ist 2004 abgeschafft worden, für 2005 und 2006 hat der Senat 400 Referendariatsstellen für angehende Lehrer gestrichen, in den nächsten Jahren sind Kürzungen in Millionenhöhe bei den Zuschüssen für die Berliner Universitäten beschlossen.
Sie sehen:
Es ist offensichtlich kein Geld übrig für Familien, für Kinder, für Bildung.
Wir Berliner mussten Privatisierungen, Verkäufe aus Beständen der landeseigenen Wohnungsgesellschaften, Reduzierungen und Kürzungen in beinahe allen Teilen des öffentlichen Lebens und der Daseinsfürsorge erleben.
Riesige Teile der aktuellen Steuereinnahmen können nicht für sinnvolle Ausgaben verwendet werden, weil sie für die Zahlung von Zins- und Zinseszins verschleudert werden. Hunderte von Millionen Euro an potentiellen Steuereinnahmen werden jährlich nicht eingetrieben oder hinterzogen, und sicher nicht von den "Sozialschmarotzern" in den Schlangen vor den Arbeitsämtern.
"Es ist kein Geld da", heißt es wieder und wieder... Sie wissen es inzwischen besser, Frau Graubaum.
Die WASG Berlin setzt sich deshalb dafür ein, dass die Reichen wieder verstärkt zur Kasse gebeten werden. Lasst uns doch endlich die (großen) Unternehmen, die Konzerne und Banken und Versicherungen, die vortreffliche Gewinne in den letzten Jahren gemacht haben, zur angemessenen Steuerzahlung verpflichten. Dies muss auf Bundesebene geschehen. Aber auch in Berlin ist es möglich, z. B. über die Erhöhung der Gewerbesteuer mehr Geld in die öffentlichen Kassen zu bekommen. Die WASG Berlin fordert daher die Anhebung der Gewerbesteuer auf das Niveau von Potsdam, das wären 70 Mio. Euro mehr im Jahr.
Ein weiteres konkretes Beispiel aus Berlin:
Die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe wurde vom "rot-roten" Senat nicht ernsthaft geprüft, stattdessen werden dem privaten Investor jährlich acht Prozent garantierte Rendite ausgezahlt. Die Berlinerinnen und Berliner zahlen diese durch die hohen Wasserpreise - durch die Teilprivatisierung wurden die Wasserpreise in den letzten Jahren um 20 % erhöht. Wenn die Gewinne der Wasserbetriebe nicht mehr die Renditen der privaten Anteilseigner decken müssten, könnten aber nicht nur die Preise gesenkt, sondern auch Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden.Die Berliner WASG wird sich deshalb für die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe einsetzen – bei gleichzeitiger Forderung der Rücknahme der Kürzungen im Bildungs-, Sozial- und Kulturbereich.
Denn es gilt für unsere Partei nach wie vor: Bildung ist eine staatliche Aufgabe und muss dem Bildungswilligen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden! Unsere Schulen müssen über gesicherte Ressourcen und eine verlässliche Finanzierung verfügen. Auch der Besuch der Ganztagsgrundschulen (wie von der WASG Berlin gefordert) muss für die Kinder und Jugendlichen kostenfrei sein. Ein Kind aus einem Akademikerhaushalt hat in Berlin eine viermal höhere Chance, Abitur zu machen, als ein Kind aus einem Arbeiterhaushalt. Die soziale Herkunft darf nicht weiterhin die Chancen von Schulbildung und Berufschancen bestimmen! Dafür sind Lehr- und Lernmittelfreiheit eine wichtige Voraussetzung. Eine private Finanzierung auch der grundständigen Lehre und Forschung lehnt die WASG ab - egal, in welcher Form sie auftritt, als Studiengebühren, Studienkonten oder Immatrikulationsgebühren.
Die WASG Berlin (unser ausführliches Berliner Programm finden Sie auf www.waehlt-wasg.de) fordert ein öffentliches Beschäftigungsprogramm für 10.000 neue Arbeitsplätze mit einem Schwerpunkt im Bereich Bildung, Integration und Sprachförderung. Die inhaltliche Ausarbeitung eines solchen Beschäftigungsprogramms darf nicht allein der Senatsverwaltung für Bildung überlassen werden, sondern muss Gewerkschaften, Eltern- und Schülervertreter sowie Wissenschaftler einbeziehen. Ein Landesprogramm für 10.000 sinnvolle Arbeitsplätze würde Berlin ca. 350 Mio. Euro (Personal- und Sachmittel) kosten. Wenn die bisherigen Pro-Kopf-Kosten für das ALG II mitgenutzt würden, könnten mit gleicher Summe sogar ca. 25.000 reguläre Tarifjobs geschaffen werden. Die vorhandenen Finanzmittel zur Sicherung des Lebensunterhalts müssten dazu zusammengeführt werden: Arbeitslosengeld II, Kosten für Unterkunft und Heizung, sonstige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, Kosten für Kranken- und Rentenversicherung, die so genannten Mittel zur Eingliederung in Arbeit (die Mehraufwandsentschädigung, vor allem aber auch die Trägerpauschale). Wenn zusätzlich die bei einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis anfallende Lohnsteuer von Bund und Ländern zurückerstattet wird, wäre ein Arbeitgeberbrutto von etwa 1.400 Euro aufkommensneutral finanzierbar. Das Land Berlin hätte die Aufgabe, diesen Betrag auf die Höhe des Tariflohns aufzustocken (mit eigenen Landesmitteln und/oder über bestehende Förderprogramme der Bundesagentur für Arbeit und der EU).
Und noch zwei Sätze zu den immer mehr wegbrechenden Ausbildungsplätzen in Berlin: In Anbetracht des Scheiterns einer privatwirtschaftlichen Belebung der Berliner Wirtschaft kommt dem öffentlichen Sektor eine besondere Bedeutung zu. Eine Situation wie im Ausbildungsbereich, wo Jahr für Jahr Tausende Jugendliche in perspektivlose Warteschleifen geschickt werden, ist skandalös. Wenn solche Aufgaben von der öffentlichen Hand übernommen werden müssen, dann sollte dies auch mit der nötigen Kontrolle und Konsequenz geschehen. Im Ausbildungssektor bedeutet das: die Organisation vollausbildender Berufsqualifizierungen, wie sie von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schon seit langem gefordert wird. Zur Finanzierung sind die Unternehmen durch eine Ausbildungsumlage heranzuziehen. Da auch hier mit einem baldigen Handeln auf Bundesebene nicht zu rechnen ist, muss das Land Berlin schnellstens selbst aktiv werden.
Werte Frau Graubaum,
ich habe Ihnen in meiner vorhergehenden Antwort bereits geschrieben und bekräftige: wir werden in Berlin keine Regierungsverantwortung eingehen. Wir werden nach den Wahlen am 17. September eine starke linke Opposition sein – freiwillig und notgedrungen. Es gibt nämlich im Berliner Abgeordnetenhaus keinen Partner für unsere Vorschläge; alle anderen Parteien halten an der Leitlinie des Kürzens und Privatisierens fest. Auch der nächste Senat wird wie die vorherigen Regierungen unser öffentliches Eigentum verschleudern, die Kosten der Krise auf den Schultern der Erwerbslosen und abhängig Beschäftigten abladen und versuchen, die Löhne der Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu drücken und ihre Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.
Warum sollten Sie uns dann aber wählen, wenn wir gar nicht mitregieren werden? Nun, sehen Sie, gesellschaftliche Veränderungen werden nur stattfinden, wenn deren Umsetzung von den Menschen selbst in die Hand genommen wird. Es geht darum, sich einzumischen, zu überzeugen und gesellschaftliche Mehrheiten zu erreichen. Die Opposition gegen die Politik der Sozialkürzungen, des Arbeitsplatzabbaus und der Privatisierung, die immer wieder an einigen Stellen entsteht, blieb bisher punktuell und ohne langfristige Perspektive. Die Berliner WASG wird mit Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, kritischen Teilen der Kirchen und Verbände nicht nur diskutieren, sondern außerparlamentarische und parlamentarische Auseinandersetzungen in Gang bringen, um den sozialen Forderungen mehr Nachdruck und Durchsetzungskraft zu verschaffen. Das Berliner Abgeordnetenhaus als eine wichtige Interventionsebene muss wieder zu einer Bühne für die politischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der von den Kürzungen betroffenen und durch die Behörden bedrängten Menschen, für Beschäftigte im öffentlichen Dienst und im privaten Sektor, für MigrantInnen, für Frauen, für Jugendliche, für Erwerbslose werden. Eine parlamentarische Teilhabe der WASG in Berlin wird unserer Partei und damit unserer Klientel zur Gewinnung von Informationen durch kleine, große und mündliche Anfragen dienen - auch und vor allem solcher Informationen, die im außerparlamentarischen Raum sonst nicht zu erhalten wären . Darüber hinaus werden das Abgeordnetenhaus und die BVVen zur Bühne für die Darstellung der Probleme der von der WASG Vertretenen, und wir werden durch das Einbringen von Gesetzesvorlagen die regierenden Parteien zwingen können, Probleme und Wünsche der durch uns vertretenen Betroffenengruppen zu berücksichtigen.
Es grüßt Sie
Jens Neuling