Frage an Jens-Eberhard Jahn von Ulrike G. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Wie sehen Sie die Möglichkeiten und die Gefahren der Baugesetznovelle?
Liebe Frau G.,
herzlichen Dank für Ihre Frage. Die Baurechtsnovelle von Anfang des Jahres reagiert sozusagen auf die Bedürfnisse stark wachsender Kommunen - dies betrifft Ihre Heimatstadt Leipzig, dies betrifft aber ebenso auch Berlin-Spandau.
Was hat sich im Baurecht geändert? Neben Wohngebieten und Gewerbegebieten soll es nun auch "urbane Gebiete" geben, wo dichtere Bebauung möglich ist. Dies soll eine Stadt der kurzen Wege ermöglichen ohne (starke) räumliche Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten. Das ist gut und zukunftsweisend für den Städtebau. Potenziell entfallen somit längere (Auto-)Fahrten zur Arbeitsstelle, zum Einkaufen, zu Freizeitangeboten. Der Wermutstropfen: Die Lärmobergrenzen für diese Gebiete liegen um 3dB höher als in Wohngebieten. Das mag wie ein Detail aussehen, ist aber gewissermaßen ein Türöffner für weitergehende Lockerungen. Läm aber macht krank.
Die zweite Baurechtsänderung betrifft das "beschleunigte Verfahren" im Außenbereich. Das heißt, auf derzeit nicht bebauten Flächen außerhalb des Siedlungskerns kann - begrenzt bis 2021 - gebaut werden, ohne dass ein umfängliches Planungs- und Beteiligungsverfahren dabei angewendet werden muss. Die Absicht des Gesetzgebers: Schnell und unkompliziert Wohnraum zu schaffen.
Ich bin dafür, dass Wohnraum geschaffen wird, insbesondere im sozialen Wohnungsbau, besser noch im Genossenschafts-Wohnungsbau. Ein Teil der Fläche des Flughafens Tegel wird ja bald dafür verfügbar sein. Die vereinfachten Möglichkeiten fürs Bauen im Außenbereich jedoch halte ich für völlig falsch: Derzeit werden in Deutschland TÄGLICH 66 Hektar Fläche "verbraucht" für Siedkungs- und Verkehrsflächen. Bis 2030 will die Bundesregierung diese Zahl auf 30 Hektar senken. Das wird und kann aber nicht gelingen, wenn nun durch das Baurecht dem Flächenverbrauch im Außenbereich Tür und Tor geöffnet wird. Wenn dadurch Böden versiegelt werden, was den Treibhauseffekt erhöht und zugleich wertvolle Ackerböden, die wir zu unserer Ernährung benötigen, zerstört werden.
Boden ist eine endliche und oft unterschätzte Ressource. Versiegelte Flächen sollten renaturiert werden und Bebauung darf nicht auf landwirtschaftlich genutzten Flächen erfolgen! Das Flächenziel für 2030 muss NULL Hektar heißen. Die diesjährige Baurechtsnovelle ist in diesem Punkt völlig kontraproduktiv. Deren Ergebnis kann eine weitere Zersiedlung unserer Landschaften sein, die dann nicht nur ästhetisch schmerzhaft wäre, sondern wiederum neue Verkehrsströme aus den neuen Wohngebieten im Außenbereich in die Zentren nach sich zöge