Frage an Jan van Aken von Kai R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr van Aken,
in Kürze soll der ESM-Vertrag durch den deutschen Bundestag "abgesegnet" werden, in Wortlaut nahe dieses Entwurfs:
http://www.peter-bleser.de/upload/PDF-Listen/E-Mail-Info_Eurostabilisierung/Entwurf_Vertrag_ESM.pdf
Wenn dem so sein sollte, dann verstösst dieser Vertrag offensichtlich gegen das GG.
Hier kurz nochmals die wichtigsten Klauseln:
- das anfänglich vorgesehene Grundkapital i.H.v. €700 Mrd. (§8) kann jederzeit und beliebig erhöht werden (§10)
- die via ESM gewährten Kredite sehen einen Minizins von 2% für 3 Jahre Laufzeit vor (Anh. 3), so dass das Kapital schnell ausgeliehen werden
dürfte
- die Geberländer haben den ESM-Kapitalstock sofort wieder aufzufüllen (§36)
- "sofort" bedeutet dabei eine Frist von 7 Tagen, innerhalb derer das Geld "unwiderruflich und bedingungslos" (§9) einzuzahlen ist
- die ESM-Partner haften vollumfänglich gegenseitig für alle eingegangenen Kredite (§21): Dies ein eklatanter Verstoss gegen §123 des EU-
Vertrags / die non-bailout-Regel von Maastricht!
- dasselbe gilt für die Ermächtigung des ESM, die kompletten Staatsschulden einzelner Länder wegzumonetarisieren (§15)
- (§27, §31) gewähren allen Mitgliedern des ESM eine vollständige Immunität für ihre Handlungen und Befreiung von allen Gesetzen, Steuern und
Vorschriften: Auch dies ein eklatanter Verstoss gegen jedwedes Demokratieverständnis
In Inhalt und Duktus ist der ESM-Vertrag somit ein "Ermächtigungsgesetz", welches dem Deutschen Bundestag seine Budgethoheitsrecht
verfassungswidrig und dauerhaft entzög.
Sind Sie sich der Konsequenzen des ESM-Vertrages für die Zukunft des Deutschen Volkes bewusst? Nach §38, Abs.1 des Grundgesetzes sind Sie als
Abgeordneter des Deutschen Bundestages "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen
unterworfen" und entsprechend wüsste ich gerne, ob Sie persönlich als Abgeordneter dem ESM-Vertrag zustimmen werden oder nicht?
Sehr geehrter Herr Rohrbacher,
vielen Dank für Ihre Frage. Bei aller Kritik, die ich am ESM habe und gleich ausführen werde – den Terminus „Ermächtigungsgesetz“, die darin mitschwingende Gleichsetzung mit der Machtergreifung Hitlers, möchte ich in diesem Zusammenhang entschieden zurückweisen. Solche Vergleiche werden leider nicht selten gebraucht, um tagesaktuelle Kritik möglichst scharf zu formulieren. Doch dabei wird im Umkehrschluss eine Verharmlosung der Nazi-Verbrechen zumindest billigend in Kauf genommen. Das beispiellose Ausmaß dieser Verbrechen herunterzuspielen ist sowohl eingedenk ihrer Opfer als auch in Anbetracht der Kontinuität faschistischen Ungeists in manchen Köpfen, wie sie sich zuletzt in der NSU-Mordserie gezeigt hat, absolut unangebracht und politisch hochgefährlich.
Zur Ihrer Frage: Die LINKE hat als einzige Fraktion im Deutschen Bundestag schon die bisherigen Euro-Rettungspakete abgelehnt. Wir sind der Auffassung, dass es sich unter den gegenwärtigen Voraussetzungen nicht um eine Griechen- oder Euro-Rettung handelt, sondern um eine Bankenrettung. Eine Europäische Union als Transferunion für Banken lehnen wir ab.
Ich werde deshalb bei der Ratifizierung des ESM mit Nein stimmen. Meine Ablehnung stützt sich auf zwei wesentliche Gründe:
1. Der gesamte Maßnahmenkatalog der Eurozone- und EU-Regierungen einschließlich des ESM ist nicht geeignet, die Krise zu überwinden, weil er nicht an den eigentlichen Krisenursachen ansetzt. Im Gegenteil werden die Verursacher und Profiteure der Krise geschont, die Kosten und Risiken den Bevölkerungen aufgebürdet – das ist unsozial und wirtschaftlich schädlich.
Die Ursachen der Eurokrise liegen in der fehlenden Regulierung der Finanzmärkte und der teuren Bankenrettung, in der unzureichenden Besteuerung von Unternehmen und hohen Vermögen sowie in den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten in Eurozone und EU. Zu letzteren trug maßgeblich die aggressive deutsche Exportpolitik des letzten Jahrzehnts bei, die mit Sozial- und Lohndumping Außenhandelsüberschüsse zu Lasten vor allem der südlichen Länder der Eurozone erwirtschaftet hat. Anders gesagt: Deutschland hat wegen seiner schlechten Lohnentwicklung dauerhaft mehr Waren an das Ausland verkauft als von dort eingekauft. Unsere Handelspartner mussten sich daher zunehmend verschulden.
Die Staatshaushalte ächzen nun unter den faulen Krediten der "Finanzhaie". Doch es sind genau die Ansprüche von Banken und Finanzinvestoren, der Verursacher und Profiteure der Krise, die durch die bisherigen und geplanten Rettungsmaßnahmen bedient werden. Die Kosten und Risiken werden auf die Bevölkerungen abgewälzt: Sie haften für die Garantien - und bezahlen die dafür aufgelegten Sparprogramme mit dem schlimmsten Sozialabbau der Nachkriegsgeschichte in ganz Europa. Die ESM-Kredite werden über den „Fiskalpakt“ an rigide Kürzungsprogramme gebunden sein, die massive Einschnitte in staatliche Ausgaben und (Sozial)-Leistungen, Renten- und Lohnkürzungen, Stellenabbau sowie die Privatisierung von Staatseigentum verlangen. Schätzungsweise 1,5 Billionen Euro werden die Menschen in Europa in den nächsten fünf Jahren dafür aufbringen müssen.
Dabei war es nicht die Bevölkerungsmehrheit - weder in Deutschland noch in Griechenland - die „über ihre Verhältnisse gelebt“ hat. Dass in Ländern wie Griechenland (mit Wissen der Bundesregierung) auch ein hohes Maß an Korruption und Misswirtschaft herrschte, ist dabei unbestritten. Die Bundesregierung hat zu dieser Misswirtschaft jedoch auch ganz unmittelbar beitragen, etwa durch Genehmigung und Förderung milliardenschwerer Rüstungsexporte nach Griechenland, und das auch noch in Zeiten, in denen die Schieflage des griechischen Haushalts längst offenkundig war.
Doch die Bevölkerungsmehrheit ist es, die mehrfach zur Kasse gebeten wird: In Deutschland durch viel zu niedrige Löhne und für die Finanzierung der Garantien. Die Menschen in den anderen EU-Staaten durch hohe Arbeitslosigkeit und Sozialabbau unvorstellbaren Ausmaßes. Dies ist nicht nur unsozial, sondern wirtschaftspolitisch unvernünftig und gefährlich: Die Sparauflagen treffen die unteren und mittleren Einkommensgruppen, würgen die Binnennachfrage ab und verschlimmern so die Krise immer weiter. So brach die griechische Wirtschaft infolge der Sparpakete 2010 um real 4,5% ein und 2011 um 6,8 %, Arbeitslosigkeit und öffentliche Verschuldung stiegen weiter an. Portugal droht Ähnliches und auch Irland hat die Krise bei weitem nicht überwunden.
Damit verschärft die Eurorettung die Krise, verhindert eine wirtschaftliche Erholung und vertieft die soziale und ökonomische Spaltung Europas. Der Auftrieb rechtspopulistischer und nationalistischer Parteien zeigt, dass die marktradikale Ausrichtung der EU auch zur politischen Desintegration Europas führt. DIE LINKE fordert deshalb einen wirtschafts- und finanzpolitischen Kurswechsel sowie ein umfassendes europäisches Aktionsprogramm gegen die Eurokrise, das an den Ursachen ansetzt (mehr Informationen dazu finden Sie auf http://www.linksfraktion.de/themen/eurokrise-eurorettung/)
2. Im Rahmen der Euro-Rettungsschirme werden (nicht nur) in Deutschland demokratische Kontrollrechte verweigert; das Haushaltsrecht des Bundestags wird zunehmend außer Kraft gesetzt.
Der gesamte bisherige Prozess zur Euro-Rettung entzieht sich einer effektiven parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle. Verhandlungen zur Gewährung und Ausgestaltung von Hilfskrediten (und den damit verbundenen Sparpaketen) finden auf Regierungsebene in der Eurogruppe, an der die Regierungen der Eurozone, Vertreter aus EU Kommission und EZB beteiligt sind, sowie auf Ratsebene statt. Der Bundestag war aus diesen Prozessen weitgehend ausgeschlossen und über viele Vorgänge nicht einmal unterrichtet. Diesen Rechtsverstoß haben wir in einem Antrag an die Bundesregierung ausdrücklich gerügt: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/081/1708138.pdf
Der ESM-Vertrag sieht vor, dass die Euro-Staaten Milliarden-Garantien für die Rettungsschirme bereitstellen, die im Fall von Zahlungsausfällen aus den nationalen Haushalten bezahlt werden müssen. Im Fall des ESM summiert sich der deutsche Anteil auf rd. 193 Mrd. Euro. Dies bedeutet massive Eingriffe in die Haushaltsautonomie des Bundestags, sofern diese nicht durch nationale Gesetze geschützt wird. Der ESM-Vertrag regelt nur Rechte und Pflichten der durch die Regierungen im Gouverneursrat vertretenen Mitgliedstaaten. Während die Bundesregierung in diesem Gremium erheblichen Einfluss ausüben kann, ist keine direkte Beteiligung der Parlamente vorgesehen.
Parlamentarische Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Bundestags gegenüber der Bundesregierung sowie die Wahrung des Haushaltsrechts müssen (in Deutschland) im Ratifizierungsprozess in gesonderten Gesetzen - wie z.B. im Fall der EFSF im StabMechG - festgelegt werden. DIE LINKE hat bereits den Plan der Regierungskoalition abgelehnt, anstelle des Bundestagsplenums nur den (nicht-öffentlich tagenden) Haushaltsausschuss an wichtigen Fragen über die Ausgestaltung bzw. Änderung von Hilfsmaßnahmen im Rahmen des EFSF zu beteiligen. Unserer Auffassung nach muss die Diskussion und Entscheidung darüber dem gesamten Bundestag vorbehalten sein. Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7.9.2011, das eine Beteiligung des Bundestags anmahnte, geht aus unserer Sicht diesbezüglich nicht weit genug. DIE LINKE fordert weit umfassendere Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Bundestags und der Bevölkerung – die weitgehenden Folgen von ESM und Fiskalpakt erfordern in unseren Augen eine Volksabstimmung, wie sie auch über den Vertrag von Lissabon – so denn der demokratische Gedanke Europas nicht bloßes Lippenbekenntnis sein soll – notwendig gewesen wäre.
Mit freundlichen Grüßen
Jan van Aken