Sehr geehrte Frau Casel, wie beantworten Sie eine Frage zur Geltung Ihrer pazifistischen Grundhaltung im Bereich Verteidigung?
Sehr geehrte Frau Casel,
ich erlaube mir, sie wie folgt zu zitieren:
Zitat Ich stehe zu den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts alle internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel beizulegen, so wie es in der UN Charta nach der grausamen Gewalterfahrung der Weltkriege festgelegt wurde - das bedeutet: "Frieden schaffen ohne Waffen"! Zitatende
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang das Vorgehen Russlands im Falle der Annektion der Krim, des Hybriden Krieges gegen die Ukraine, die intensive "Beratungen" des abgewählten Regimes in Belarus und ihre Forderung nach dem Austritt Deutschlands aus der Nato. Wie stellen Sie sich eine friedvolle Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen in Russland dabei inhaltlich und formal denn genau vor?
Zuerst einmal bin ich eher Anti-Militaristin als Pazifistin. Die Verteidigung des Territoriums der Bundesrepublik innerhalb ihrer Grenzen ist unseres Erachtens das „nachvollziehbare Sicherheitsinteresse der Bürgerinnen und Bürger“ (Schweizer Modell).
Zum zweiten fordere ich nicht den Austritt Deutschlands aus der NATO, sondern den Austritt Deutschlands aus der nuklearen Teilhabe und den militärischen Strukturen der NATO. In den politischen Strukturen der NATO soll Deutschland auf die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein neues System kollektiver Sicherheit inclusive Russlands hinwirken. Dazu brauchen wir eine neue KSZE. Gute Beziehungen zu Russland, unserem Nachbar und Teil Europas sind für Deutschland und die anderen europäischen Staaten ebenso essentiell wie gute Beziehungen untereinander. Gleichzeitig wollen wir auch gute Beziehungen zu den USA, aber Europa muss sich emanzipieren und vornehmlich in eigenem Interesse denken und handeln und nicht in dem der USA.
Friedenspolitik ist die einzig wirkliche, nachhaltige und erfolgreiche Sicherheitspolitik. Gewalt, Militäreinsätze und Aufrüstung sind und waren niemals die Lösung, wie Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jugoslawien etc. zeigen. Sie führen nur zu mehr Gewalt, Terror und Destabilisierung und stehen jeder wirklichen Konfliktlösung entgegen. Menschenreche und humanistische Werte können nie mit Bomben, Regime Changes, oder nach dem „Recht des Stärkeren“ geschützt werden, weil man sie dann selbst vollkommen negiert.
Krieg ist einer humanistischen Gesellschaft unwürdig. Das gilt natürlich auch für Krieg als Mittel der Politik! Krieg ist der Zustand in dem Menschenrechte, Recht an sich und vor allem Menschenleben am ehesten auf dem Spiel stehen und ist daher vor allem zu verhindern und zu beenden.
Die strikte Ablehnung von Militäreinsätzen im Ausland ist unter den jetzigen Bedingungen vom Völkerrecht nicht nur gedeckt, sondern geboten. Unsere Alternative ist klar: Fortschrittliche UN-Mandate benötigen nicht den Einsatz von Militär, sondern zivile Friedensfachkräfte, Ärzte und Techniker. Aus der Geschichte erwächst eine besondere Verantwortung der Bundesrepublik für eine Politik der Abrüstung und Entspannung. Das bedeutet eine kooperative und solidarische Außenpolitik auf Augenhöhe, welche die Interessen aller aufnimmt und gleich gewichtet.
Wir brauchen eine Stärkung der Diplomatie, um Krisenherde schon im Ansatz zu erkennen und damit zu verhindern, dass diese sich gar nicht erst zu militärischen Konflikten entwickeln. Das verstehen wir unter „einem klaren Bekenntnis zu den UN“. Grundlage dafür wäre u.a. ein striktes Waffenexportverbot.
Eine glaubwürdige Politik sozialer Gerechtigkeit ist nur erreichbar, wenn sie zur Finanzierung das Militärbudget auf das Minimum zur Landesverteidigung innerhalb der deutschen Grenzen reduziert. Eine glaubwürdige Politik ökologischer Nachhaltigkeit und Klimaneutralität ist nur erreichbar, wenn man, vor allen zivilen Einsparungen, zuerst sämtliche militärischen Emissionen stoppt und für weitere Maßnahmen wie den flächendeckenden Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs wiederrum das Militärbudget in der nächsten Legislaturperiode jährlich um 7 Milliarden senkt. Die kriegsführungsfähigsten Teile sollen zuerst abgerüstet werden.
Wir LINKE sind uns der Geschichte des deutschen kriegerischen Hegemonial-strebens in Europa und der Welt bewusst. Wir sind der Überzeugung, dass die Bundesrepublik aus den Verbrechen die durch Nazi-Deutschland im 2. Weltkrieg verursacht wurden, besondere Verantwortung zum Frieden gegenüber allen Ländern und ihren Menschen erwächst, die Opfer dieser Kriege wurden. Im diesem Jahr, in dem sich der Beginn des Raub- und Vernichtungskrieges der faschistischen Wehrmacht im Osten zum 80. Mal jährt, erneuern wir insbesondere gegenüber Russland und den anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion die Verpflichtung: Nie wieder Fschismus, nie wieder Krieg von deutschem Boden! Wir fordern, Verhandlungen über einen deutsch-Russischen Vertrag aufzunehmen, um Versöhnung und Freundschaft zwischen Deutschland und Russland zu erreichen und zu verstetigen.
Am 21.-22. Februar 2014 wurde der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch mit Unterstützung – mindestens aber mit wohlwollender Duldung - der informellen EU-Außenminister Troika, darunter des deutschen Außenministers Steinmeier, weggeputscht. In den folgenden Märzwochen separierte sich die Krimhalbinsel mit handfester Unterstützung Russlands von der Ukraine und schloss sich der Russischen Föderation an. Mit welchen Termini dieser völkerrechtswidrige Vorgang letztlich zu fassen ist, darüber streiten sich die Geister bis heute. Kurz darauf wurde dann auch in der Ostukraine gekämpft.
Aber genau dieser zeithistorische Verlauf und damit einhergehend der deutsche und westliche Anteil an der Eskalation in und um die Ukraine fehlt in der Darstellung der meisten Medien. Sie, sowie das offizielle Regierungs-Narrativ im Westen, beginnt erst mit dem Krimkonflikt und dem Aufflammen des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine, womit fast zwangsläufig der falsche Eindruck entsteht, die Russische Föderation hätte den Konflikt alleinig zu verantworten. So wurde auch im Weißbuch der Regierung‘ 2016 fehlerhaft konstatiert, Russland würde angesichts der Vorfälle in der Ukraine eine Bedrohung für den Westen darstellen. Das Gegenteil ist der Fall: Niemand bedroht und, niemand greift uns an.
Die NATO hat sich nach Osten, - einschließlich post-sowjetischer Republiken – an die russischen Grenzen erweitert und ihre militärische Infrastruktur nach Osten verlegt, nicht umgekehrt. Auch Deutschland hat sich in seinem Hegemonialstreben in Europa an dieser Politik beteiligt, statt tatsächliche Abrüstungs- und Entspannungspolitik zu fordern und zu betreiben.
Hinzu kommt, dass die NATO-Mitgliedsstaaten geben etwa insgesamt 16 – 17 mal mehr aus als Russland und etwa 4 mal mehr als China. in der NATO rund 3,6 mal mehr Soldaten im Dienst als in der Russischen Armee. Ähnlich verhält es sich bei den Großwaffensystemen. (IISS, „The Military Balance 2020“). Die Darstellung dieser Relationen sagt eine Menge über militärische Dominanz aus.
Die NATO, unter der Führung der USA, schürt das Feindbild Russland und China zum Selbsterhalt und um die Rüstungsausgaben auf über eine Billionen! hoch zu treiben und ist selbst die größte Bedrohung für das friedliche Zusammenleben der Völker, unsere Sicherheit und die Umwelt.
Es sind die USA, die den INF-Vertrag, den Open-Sky-Vertrag und den ABM-Vertrag verlassen bzw. aufgekündigt bzw. den A-KSE-Vertrag nicht ratifiziert haben. Russland ist in Folge dessen ausgetreten.
Warum? Bilaterale Verträge mit sich selbst ergeben logischerweise wenig Sinn.
Wir befinden uns in einer multipolaren Welt(un)ordnung. Unsere Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass diese in eine rechtsbasierte Weltordnung mündet (überlebenswichtig) und nicht in eine Staatenanarchie mit Kriegen und Konflikte in unterschiedlichen Dimensionen bis zu WW3. Der scheinheilige Begriff „Westliche Wertegemeinschaft oder „regelbasierte Ordnung“ steht dem allgemeinen Völkerrecht und UNO-Charta entgegen. Es ist ein Deckmantel für westliche Dominanz und einseitige Interessensdurchsetzung, wodurch Errungenschaften wie das Völkerrecht und im Grunde auch der Rechtsstaat zerstört werden.
Die sogenannte „liberale Demokratie“ als hegemoniale Norm zu erheben, wird missbraucht, um sich eine Vormachtstellung zu sichern und sich selbst von internationalem Recht auszunehmen.
Gleichzeitig werden Demokratie und Freiheit, für deren angebliche Verteidigung man sogar gegen den Willen der Bevölkerung Truppen in Auslandseinsätze schickt, in Europa selbst immer weiter beschnitten. Das nicht nur in Ungarn und Polen sondern auch in Deutschland u.a. durch die neuen Versammlungsgesetze, Überwachungsmaßnahmen und die Meinungsmacht privater Social Media Plattformen Wirklich geht es hier im Westen fast nur um monetäre Werte wie freien Verkehr von Dienstleistungen, Waren, Kapital und Arbeitskräften.
Außerdem steht die praktizierte Toleranz einer kulturellen Vielfalt nach Innen der kulturellen Intoleranz nach Außen gegenüber. Die werteorientierte Außenpolitik des Westens ignoriert die gleichberechtigte Anerkennung der Wertesysteme anderer politischer Kulturen.
Ein Dialog ist nicht zu erreichen, indem man diesen mit Vorwürfen einleitet oder mit Drohungen begleitet. Bevor man Anderen Vorwürfe macht, muss man erst einmal sehen, wie es bei einem selbst aussieht, um nicht jegliche Glaubwürdigkeit beim Einsatz für die vielzitierten Werte zu verlieren
Lange vor der Sezession der Krim, hat Deutschland und andere NATO Staaten völkerrechtswidrige Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak, und Libyen geführt und willkürlich Grenzen verschoben mit der Anerkennung des Kosovo.
Wie kann „der Westen“ die Besatzung und Annexion der Golanhöhen, der Westbank durch Israel, Nordsyriens durch die Türkei und die USA tolerieren während er Russland wegen seinem Vorgehen auf der Krim sanktioniert!?
Deutschland, wie die meisten EU Staaten machen Geschäfte mit Diktaturen wie Saudi Arabien, welches ein das Paradebeispiel für Menschenrechtsverletzungen darstellt. Deutschland befeuert mit seinen Waffenlieferungen an Saudi Arabien sowohl dessen schreckliche Verbrechen im Jemen als auch dessen Ausstattung islamistischer Terrorbanden.
Oppositionelle und Journalisten landen in der Türkei im Gefängnis, aber auch die Türkei gilt für Deutschland, die EU und die NATO als Partner, kassiert hohe Zahlungen aus dem EU Assoziierungsabkommen und Flüchtlingsdeals, sowie Waffen mit denen auch wieder Islamistische Terroristen von der Türkei beliefert werden.
Das „ausländische Agenten Gesetz“ das man in Russland kritisiert, gibt es in Israel noch in viel schärferer Form. In Israelischen sowie in US Gefängnissen wird ebenso gefoltert, aber diese Länder bezeichnen Deutschland und EU Staaten sogar als Freunde und Verbündete.
Warum lassen sich manche Menschen nur einseitig von Bildern Geflüchteter an den EU Außengrenzen erschüttern aber das Schicksal der Menschen die im Jemen sterben oder in Gaza und der Westbank an den Sperrzäunen sterben sehen sie nicht?
Und schließlich kommt selbst in einem EU Staat nämlich Großbritannien ein Journalist ins Gefängnis und ist dort Folter ausgesetzt, nur weil er die Wahrheit über die Kriegsverbrechen der USA veröffentlicht hat – Julien Assange.
Für uns als Linke stellt sich die Frage, warum bisherige Westliche Regierungen eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit Russland und China und insgesamt auch mit dem globalen Süden ablehnen und stattdessen auf deren fortgesetzte Unterordnung insistiert – im Zweifel auch mit militärischer Machtprojektion und unilateralen Sanktionen. Es sind zu allererst und zu allermeist die USA – gelegentlich die Europäer im Schlepptau -, die im Kampf um strategische und ökonomische Einflusssphären auf militärische Mittel, unilaterale Sanktionen und Regime Change setzen.
Richtig ist: Auch Russland hat sich zumindest militärische Instrumente zu Eigen gemacht, so in Syrien, in Georgien oder mehr oder minder in der Ost-Ukraine nach dem vom Westen unterstützen Putsch in Kiew. In Georgien ging 2008 der militärische Angriff vom Regime M. Saakashwili auf Süd-Ossetien und die dort stationierten gemischten Friedenstruppen (russische, süd-ossetische und georgische Einheiten) aus. Russland reagierte militärisch und wenig später diplomatisch in Form der diplomatischen Anerkennung Süd-Ossetiens und Abchasiens – ganz nach dem Muster westlicher Anerkennungspolitik bei der Zerschlagung Jugoslawiens. In Syrien intervenierte Russland im Oktober 2015 auf Einladung der syrischen Regierung und damit völkerrechtskonform, nachdem die vom Westen unterstützten Islamisten, einschließlich des IS, Damaskus zu überrollen drohten.
Grundlage und Maßstab kann nur das Völkerrecht sein. Es ist die Wertegrundlage, die wir uns nach den schrecklichen Gewalterfahrungen zweier Weltkriege gegeben haben und es ist im Gegensatz zu schwammigen "Werten" fest definiert und gesetzlich verankert. Eine Moralisierung ist natürlich viel einfacher zur Manipulation zu verwenden als Rechtsstaatlichkeit. Hebt man die Außenpolitik von der Ebene des Rechts auf die Ebene der Moral stellt das die Rechtlichkeit in Frage.