Frage an Irmgard Freihoffer von Ulrike B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Warum will die LINKE aus der NATO austreten? Welche Gründe gibt es dafür?
Sehr geehrte Frau B.,
die Feststellung, die LINKE würde einen NATO-Austritt Deutschlands anstreben ist nicht ganz richtig. Es geht uns nicht darum, dass Deutschland alleine austritt und ansonsten alles gleichbleibt, d. h. dass weiter an der Rüstungsspirale zwischen NATO und Russland gedreht wird. Wir wollen die Nato auflösen und durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Einbeziehung Russlands ersetzen.
Um die zunehmende Eskalation im Verhältnis zwischen NATO und Russland zu verstehen, muss man in die jüngere Geschichte nach dem Fall der Mauer zurückblicken. Noch vor der Wiedervereinigung hat der damalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow im Jahr 1990 eine NATO-Mitgliedschaft eines wiedervereinigten Deutschlands ausgeschlossen. Schließlich stimmte die Sowjetunion einer NATO-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands zu unter folgender Bedingung: Wie Akten des State Department zu entnehmen ist, versprach der damalige Außenminister James Baker am 9.2.1990 bei seinen Gesprächen mit Gorbatschow und dem sowjetischen Außenminister Schewardnadse im Kreml „eisenfeste Garantien“, „dass weder die Jurisdiktion noch die Streitkräfte der NATO nach Osten verschoben werden“, wenn Moskau mit der NATO-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands einverstanden sei. Demnach habe Moskau die Wahl gehabt zwischen „einem unabhängigen Gesamtdeutschland außerhalb der NATO und ohne US-Truppen auf deutschem Boden“ und der „Einbindung des vereinten Deutschland in die NATO“, bei gleichzeitiger Garantie, die NATO über die ehemalige DDR hinaus nicht weiter auszudehnen. [1]
Allerdings gab es keinen Vertrag darüber. Der Spiegel stellte fest:
„Der SPIEGEL hat mit zahlreichen Beteiligten gesprochen und vor allem britische und deutsche Dokumente gesichtet. Danach kann es keinen Zweifel geben, dass der Westen alles getan hat, den Sowjets den Eindruck zu vermitteln, eine Nato-Mitgliedschaft von Ländern wie Polen, Ungarn oder der CSSR sei ausgeschlossen.
So sprach Genscher am 10. Februar 1990 zwischen 16 und 18.30 Uhr mit Schewardnadse, und der bis vor kurzem geheim gehaltene deutsche Vermerk hält fest: ‚BM (Bundesminister): Uns sei bewusst, dass die Zugehörigkeit eines vereinten Deutschlands zur Nato komplizierte Fragen aufwerfe. Für uns stehe aber fest: Die Nato werde sich nicht nach Osten ausdehnen.‘ Und da es in dem Gespräch vor allem um die DDR ging, fügte Genscher ausdrücklich hinzu: ‚Was im Übrigen die Nichtausdehnung der Nato anbetreffe, so gelte dieses ganz generell.‘" [2]
1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei, 2004 folgten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien, 2009 schließlich Albanien und Kroatien.
Die Entscheidung der Regierung Clinton, die NATO bis zu den Grenzen Russlands zu erweitern, wurde von dem Historiker und Diplomaten George F. Kennan 1997 als „verhängnisvollster Fehler der amerikanischen Politik in der Ära nach dem Kalten Krieg“ beurteilt, weil „diese Entscheidung erwarten lasse, dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden; dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden.“[3]
Der ehemalige Verteidigungsminister der USA Robert Gates veröffentlichte in seinen Memoiren eine ähnliche Ansicht.
Die NATO entstand in der Zeit des Kalten Krieges nach dem 2. Weltkrieg. Nach der veränderten weltpolitischen Lage nach dem Fall der Mauer, der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts in den Jahren 1989 bis 1991 wäre eine Neuordnung dringend vonnöten gewesen. Dieses Ziel ist mehrfach formuliert worden, unter anderem in einem Grundsatzprogramm der SPD, aber auch offiziell als Absichtserklärung von Regierenden. Dass dann nach und nach Russland aus diesem gemeinsamen Europa ausgeschlossen wurde, ist die Folge geänderter Vorstellungen bei wichtigen handelnden Nationen, zum Beispiel den USA. Das wurde am deutlichsten sichtbar beim Kosovokrieg, als die NATO einschließlich der Bundeswehr außerhalb des NATO-Bereichs ohne UN-Mandat militärisch tätig wurde. So war das aber 1990 und 1991 nicht verabredet worden. Auch das Angebot weiterer militärischer Kooperation mit der NATO im Rahmen des EU-Assoziierungsabkommens mit der Ukraine, dessen Unterzeichnung der damalige Präsident Janukowytsch im November 2013 verweigerte, lieferte Sprengstoff für die Ukraine und belastete weiter das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen.
Die zunehmende Eskalation zwischen Russland und der NATO schlägt sich auch in dem Stellvertreterkrieg in Syrien nieder. An dieser Eskalationsspirale darf nicht weiter gedreht werden. Deshalb müssen die früheren Überlegungen nach dem Fall des Ostblocks zu einem gemeinsamen Sicherheitsbündnis endlich aufgegriffen und weiter entwickelt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Irmgard Freihoffer