Frage an Irmgard Freihoffer von Lucia S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Freihoffer,
der deutsche Umgang mit dem Syrienkonflikt ist für mich als Erstwählerin ein zentrales Thema. Deshalb möchte ich Sie fragen:
Wie werden Sie sich im Falle Ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag für den Frieden in Syrien einsetzen? Wie ist Ihre Position zum Bundeswehrmandat für Syrien?
Ich freue mich auf eine Rückmeldung Ihrerseits zu diesen Fragen.
Mit freundlichen Grüßen,
L. S.
Sehr geehrte Frau S.,
mit Ihrer Frage reißen Sie ein Thema an, das in seiner Komplexität hier nicht annähernd beleuchtet werden kann. Die schwer durchschaubare Situation ist mit der Länge des Krieges noch schwieriger geworden durch den Eintritt internationaler Mächte bzw. der unterschiedlichsten Kriegsparteien, die eigene etnisch-religiöse, wirtschaftliche und geopolitische Interessen verfolgen.
Auch wenn es für den Einzelnen mehr oder weniger unmöglich erscheint, die Komplexität einigermaßen zu durchdringen und zu verstehen, so lassen sich doch einige wichtige Grundvoraussetzungen erkennen, die erfüllt sein müssen, damit ein dauerhafter Friedenprozess in Gang gesetzt werden kann.
Zu Ihren Fragen. Klar ist: Die völlig kurzsichtige Politik, unabhängig von einer Gesamtschau auf die Region und die beteiligten Parteien und einer gesamten politischen Lösung, einzelne Kriegsparteien militärisch zu unterstützen, muss aufhören. Die Diplomatie muss vor kriegerischen Auseinandersetzungen kommen und alle am Konflikt Beteiligten müssen miteinbezogen werden, mit Ausnahme des IS und anderer radikal-islamistischer Gruppen. Gleichwohl muss versucht werden, die Ursachen für solch radikal-islamistische Entwicklungen, z. B. die Unterdrückung der Sunniten im Irak,entschieden anzugehen. Das Verfolgen kurzfristiger Ziele und Interessen, die die Gesamtlage bzw. einen umfassenden Friedensprozess aus den Augen verlieren, muss aufhören.
Das hört sich zunächst einmal sehr abstrakt, utopisch und fern der Realität an. Ich will das hier deswegen anhand von zwei konkreten Punkten zumindest grob umreißen. Ich beziehe mich hier u. a. auf diese Quellen:
Markus Bickel, "Die Profiteure des Terrors", Frankfurt 2017, S. 108 ff.
, Claudia Haydt, "Eine Pipeline in den Krieg" in: Ausdruck, 24.3.2017
und Andreas Ernst, "Die Pipeline aus dem Balkan" in: NZZ, 16.8.2016.
Beispiel 1: Rüstungsexporte aus östlichen und westlichen EU-Ländern
Wie u. a. das investigative Journalistennetzwerk Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) herausfand, gab es 2012 umfangreiche Waffenlieferungen aus östlichen EU-Ländern Slowakei, Tschechien, Bulgarien, Rumänien und Kroatien, aber auch den EU-Beitrittskandidaten Serbien und Montenegro nach Saudiarabien, Jordanien, die Emirate und die Türkei. „Von dort wurden sie nach Syrien weitergeleitet. Was zur Unterstützung «gemässigter» Rebellengruppen gegen das Asad-Regime geplant war, erweist sich zunehmend als unkontrollierbarer Zustrom an Kriegsgerät.“ (Ernst)
Die „Lieferungen aus dem Balkan zeigen die unbedingte Entschlossenheit der Auftraggeber (USA und Golfmonarchien), den Bürgerkrieg in Syrien mit Waffen und Munition zu versorgen, die sofort einsatzbereit sind. Durch dieses gezielte Fluten von aufständischen Milizen mit Waffen, deren Nutzung in der Region jeder gelernt hat, der seinen Wehrdienst abgeleistet hat, wurde der Konflikt in Syrien bewusst umfassend militarisiert. In diesem Kontext war ziviler politischer Protest nahezu unmöglich und aus dem innersyrischen Konflikt wurde ein Stellvertreterkrieg, in dem sowohl regional als auch global Zug um Zug mehr Akteure mitmischten.“ (Haydt)
Die EU und Deutschland als wichtigstes EU-Mitglied haben nichts unternommen, dies zu unterbinden. Deutschland und Frankreich z. B. liefern selbst Rüstung in Krisengebiete bzw. an autoritäre und kriegsbeteiligte Parteien wie Katar und Saudi-Arabien, die z. B. den IS bzw. islamistische Gruppen unterstützen.
2. Beispiel: Türkei
Die syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK wurden aufgewertet, weil sie sich zur wichtigsten Bodentruppe der Anti-IS-Allianz erwiesen hatten. Das war nicht in Erdogans Interesse. Nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ unterstützte die Türkei jahrelang den IS: Man gewährte IS-Kämpfern freien Zugang ins Kampfgebiet und versorgte sie mit Nachschub. Deutschland schaute stillschweigend zu, so Bickel, da Ankara die EU mit der Unterbringung von mehr als zwei Millionen Flüchtlingen vor einem Ansturm der Syrer bis Sommer 2015 bewahrt hatte.
Mit dieser Politik des Duldens der Unterstützung des IS wurden das Töten erst Recht fortgesetzt und Menschen zu Flüchtlingen gemacht.
Die EU hat somit zur Umsetzung kurzfristiger und kurzsichtiger eigener Interessen und Ziele noch nicht einmal den Versuch gemacht, die IS-Unterstützung der Türkei ernsthaft politisch aufzugreifen. Siehe hierzu Bickel, S. 113 ff.
Aus den hier genannten Gründen lehne ich ein Bundeswehrmandat ab: Weil es bis jetzt noch nicht einmal in Umrissen einen Friedensplan für Syrien und die Region gibt und kurzfristiges und kurzsichtiges Handeln die Politik bestimmen.
Für einen Friedensplan müssten Deutschland und die EU alle
Konfliktparteien, insbesondere Russland, einbinden. Jegliche
Waffenlieferungen, direkt oder über Drittstaaten, sofort einstellen und
nicht weiter den Stellvertreterkrieg zwischen USA und Russland befeuern.
Um es mit den Worten des Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt zu
sagen, „/Krieg/ist nicht mehr die ultima ratio, sondern die /ultima
irratio/“. Krieg darf kein Mittel der Politik sein.“
Um mit Russland zusammen bezüglich Syrien und der Region eine vernünftige Basis zu finden, müssten Deutschland und die EU unbedingt auch gegenüber Russland eine ernsthafte Deeskalationsstrategie einschlagen. Damit soll keinesfalls geleugnet werden, dass auch Russland hier wie anderswo viele Fehler begangen hat. Aber das verbale und militärische Aufrüsten auch von Seiten des Westens gegenüber Russland erhöht das Konfliktpotenzial und verringert die Wahrscheinlichkeit, mit Russland zusammen eine Lösung für die Nahost-Region erarbeiten zu können. Ein Vergleich der Militärausgaben 2016 der Nato und Russlands zeigt übrigens auch, dass weitere Aufrüstung fehl am Platze ist: Russland: 69 Mrd. $, Nato Europa: 242 Mrd. $, Nato gesamt: 921 Mrd. $.
Mit freundlichen Grüßen
Irmgard Freihoffer