Frage an Ingo Wellenreuther von Tim G. bezüglich Deutsche Einheit / Innerdeutsche Beziehungen (bis 1990)
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
auf Ihrer Webseite fordern Sie als Abgeordneter aus Karlsruhe die Konzenration des BGH in Karslruhe, also den Umzug zweier Strafsenate von Leipzig nach Karlsruhe (https://www.ingo-wellenreuther.de/artikel/wellenreuther-spaltung-des-bgh-ueberwinden-und-sog-rutschklausel-abschaffen)
Welche förderalistische Kompensation soll Leipzig dafür erhalten? Haben Sie dafür auch Vorschläge? Haben Sie die Kosten berechnet, die dadurch entstehen, dass Strafverteidiger aus dem Norden und Osten der Republik dann nach Karlsruhe reisen müssen?
Sind Sie Vertrter des ganzen deutschen Volkes oder nur der Bürgerinnen von Karlsruhe?
Welche rechtswissenschaftliche Lehre und Forschung wird in Karlsruhe betrieben, die Sie als "Stadt des Rechts" bezeichnen? Wo befindet sich die älteste Juristische Fakultät in Deutschland?
Ist die "Rutschklausel" nicht ein gültiger Beschluss des Deutschen Bundestages, also geltendes Recht, welches von der Bundesjustizministerin umzusetzen ist? Demzufolge müsste ein weiterer Strafsenat nach Leipzig ziehen, da in Karsruhe jüngts ein weiterer Zivilsenat geschaffen wurde. Fordern Sie hier nicht die Abschaffung eines Beschlusses, der -- rechtsbrecherischer Weise -- nie vollzogen worden ist?
Können Sie nachvollziehen, dass Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass Parlament und Regierung die eigenen Beschlüsse auch umsetzen?
Wo im Gerichtsverfassungesetz sind die vielen Hilfssenate geregelt, die der BGH in den Jahren zuvor immer wieder ins Leben gerufen hatte?
Finden Sie nicht, dass Städte wie Leipzig, die ihrer Rechts- und Gerichtstradion durch das Regime der SED beraubt wurden, Anspruch darauf hatten und haben, dass westdeutsche Städte wie Karlsruhe etwas zurück geben? Warum nicht den BGH ind Straf- und Zivilrecht spalten?
Wo war der in Leipzig beheimatete 5. Strafsenat denn vor der Wende? Warum war er nicht von Anfang an in Karlsruhe und warum war das vor der Wiedervereinigung für Sie kein Problem?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Gerber,
danke für Ihre Nachricht.
Es ist richtig, dass ich mich im November 2018 dafür ausgesprochen hatte, die Spaltung des Bundesgerichtshofs (BGH) auf zwei Dienstsitze Karlsruhe und Leipzig zu überwinden und die sogenannte Rutschklausel abzuschaffen. Hintergrund war, dass damals für den Etat des Bundesjustizministeriums die Voraussetzungen für insgesamt zwei neue Senate des BGH geschaffen worden sind. Neben einem neuen Zivilsenat in Karlsruhe sollte es demnach einen weiteren Strafsenat in Leipzig geben. Die Einrichtung neuer Senate habe ich ausdrücklich begrüßt, gleichzeitig aber gefordert, alle Senate am BGH in Karlsruhe zu konzentrieren und die sogenannte „Rutschklausel“ abzuschaffen.
Unabhängig von der Schaffung der zwei neuen Senate besteht aufgrund der Rutschklausel die Gefahr einer weiteren Zersplitterung des BGH. Die Stadt Karlsruhe, die aufgrund des Sitzes des Bundesverfassungsgerichts, des BGH und des Generalbundesanwalts als „Residenz des Rechts“ bezeichnet wird, hat sich als idealer Standort des BGH erwiesen. Eine Außenstelle kostet nicht nur viel Geld, sondern sie bringt bereits jetzt viele Nachteile mit sich. Das Vorhandensein von Strafsenaten sowohl in Karlsruhe als auch in Leipzig führt sowohl beim BGH als auch gerade für die Generalbundesanwaltschaft in der täglichen Arbeit zu einer unnötigen zusätzlichen Arbeitsbelastung.
Im Jahr 1992, als nach der Wiedervereinigung von der unabhängigen Föderalismuskommission von Bundesrat und Bundestag die Rutschklausel vorgeschlagen und vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde, war es das Ziel, neue Bundeseinrichtungen in den neuen Bundesländern anzusiedeln, um eine ausgewogene Verteilung von Bundesbehörden in Ost und West zu erreichen. Daher wurde das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angesiedelt. Außerdem hat sich Leipzig als Metropole mit einer boomenden Wirtschaftskraft etabliert.
Als Ausgleich für Leipzig für eine Konzentration des BGH und des Generalbundesanwalts am Standort Karlsruhe hatte ich Anfang des Jahres 2019 die Schaffung eines neuen Bundesgerichts für den Gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht in Leipzig vorgeschlagen. Das SPD-geführte Bundesjustizministerium hat sich gegenüber diesem Vorschlag leider zurückhaltend gezeigt.
Mit besten Grüßen
Ingo Wellenreuther