Frage an Ingo Wellenreuther von Werner L. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
die unpopuläre und mutige Reformpolitik der Regierung Schröder, die ihn nun wahrscheinlich den Kopf kosten wird, fängt an Früchte zu tragen. Daß er damit ein Langzeit-Opfer der unsäglichen Ära Kohl ist, spielt nur am Rande eine Rolle.
Im Anholt-GMI-Index liegt Deutschland im Image von 25 Ländern an siebter Stelle - noch vor den USA, Frankreich und den Niederlanden. Das wird nur im pessimistischen Deutschland nicht wahrgenommen - auch als Folge der diversen Kampagnen Ihrer Partei.
Der "Economist" schreibt in der aktuellen Ausgabe über "Germany´s surprising economy" und stellt fest, daß Agenda 2010 und Hartz IV notwendig und richtig sind, daß Arbeitgeber und Gewerkschaften vernünftige Vereinbarungen getroffen haben, daß die Lohnstückkosten seit Ende der neunziger Jahre um 10% gesunken sind und der Wirtschaftsstandort Deutschland erhebliche Vorteile gegenüber UK, Italien, Holland, etc. aufweist.
Es wird weiter festgestellt, daß die von der CDU geplante MWSt-Erhöhung kontraproduktiv für die Entwicklung der Wirtschaft in unserem Lande ist - vor allem der Binnennachfrage.
Was also wollen Sie konkret anders machen, als die derzeitige Regierung Schröder, die lediglich vor dem Problem steht, daß der Prophet im eigenen Lande nichts gilt.
Vielen Dank.
WL
Sehr geehrter Herr Lehl,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die Studien, die Sie erwähnen, sind interessant, aber die Realität für die Menschen in Deutschland sieht anders aus: Rekordinsolvenzen, Massenarbeitslosigkeit, eine horrende Staatsverschuldung und eine Schieflage bei den Sozialversicherungssystemen.
Den Mythos der Langzeitopfer der „Ära Kohl“ glaubt doch niemand so wirklich, auch wenn er noch so oft von Rot-Grün gestreut wird. Rot-Grün will sich damit aus der Verantwortung für die eigene Bilanz stehlen: Rot-Grün hat das Land 1998 mit einer Wachstumsrate von 2,7% übernommen. Rot-Grün hat es in nur 7 Jahren geschafft, abzuwirtschaften und die rote Laterne in Europa zu übernehmen. (Wachstum 2004: 1,6 %, 2005: 0,8 %). Die Arbeitslosigkeit ist von Rot-Grün auf 5 Mio. und damit auf ein Rekordniveau getrieben worden. Das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt 2005 erreicht mit 60,6 Mrd. € einen traurigen Spitzenwert.
Bei der Agenda 2010 waren sicher richtige Ansätze dabei. Allerdings waren diese viel zu zögerlich – und selbst diese wurden von den meisten Parteimitgliedern der SPD nicht mitgetragen. Daher steht fest: die derzeitige Regierung, das rot-grüne Projekt ist gescheitert.
Was machen wir besser? Lassen Sie mich einige wichtige Punkte nennen:
1. Senkung der Lohnnebenkosten, denn nicht die Löhne in Deutschland, sondern die hohen Lohnnebenkosten sind das eigentliche Problem. Wir senken daher den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 2 Prozentpunkte von 6,5% auf 4,5%. Damit wird der Faktor Arbeit günstiger und die Menschen haben mehr netto in der Tasche. Da wir dies nicht auf Pump und zu Lasten der jungen Generation sondern seriös finanzieren wollen, müssen wir die Mehrwertsteuer moderat erhöhen – auf ein international gesehen durchschnittliches Niveau. Von Kritikern wird immer wieder darauf hingewiesen, dass eine stärkere Belastung der Konsumausgaben wirtschaftlich kontraproduktiv sei, da sie zu einem Rückgang der Konsumnachfrage führe („Gift für die Konjunktur“) – auch Sie erwähnen dieses Argument. Dies ist empirisch nicht belegt. Experten weisen vielmehr stets darauf hin, dass die Belastung des Faktors Arbeit im Vergleich zur Belastung des Konsums volkswirtschaftlich schädlicher ist.
2. Von 70% der Unternehmen wird der hohe Kündigungsschutz in Deutschland als größtes Einstellungshemmnis angesehen. Daher werden wir In Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten das Kündigungsschutzgesetz aussetzen – wohlgemerkt aber nur für Neueinstellungen. In anderen Betrieben wird der Kündigungsschutz bei Neueinstellungen erst nach zwei Jahren wirksam. Damit werden neue Chancen für die geschaffen, die Arbeit suchen, ohne den Schutz für die zu verringern, die Arbeit haben.
3. Wir werden das Tarifvertragsrecht ändern. Wenn in einem Betrieb Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit großer Mehrheit etwas gemeinsam tun wollen, um den Betrieb zu erhalten und um Arbeitsplätze zu sichern, dann soll das nicht durch Gewerkschaftszentralen verhindert werden können. Deshalb werden wir die Möglichkeit betrieblicher Beschäftigungsbündnisse gesetzlich absichern. Abweichend vom geltenden Tarifvertrag können betriebliche Bündnisse geschlossen werden, wenn der Betriebsrat und 2/3 der Belegschaft zustimmen.
4.Wir werden Bürokratie mutig abbauen. Staatliche verordnete Bürokratie kostet die deutschen Unternehmen jährlich 46 Milliarden Euro. Davon sind gerade die kleinen Unternehmen mit Bürokratiekosten in Höhe von 4.400 Euro je Arbeitsplatz stark belastet. In Großbetrieben sind es nur 350 Euro. Der Abbau von Bürokratie betrifft viele Bereiche und muss als umfassende politische Aufgabe verstanden werden. Es geht z. B. um den Abbau von Statistikpflichten insbesondere für Existenzgründer. Viele Statistiken können durch repräsentative Stichproben ersetzt werden. Doppel- und Mehrfachprüfungen in Betrieben sind abzuschaffen. Stattdessen ist die Prüfzuständigkeit auf eine amtliche Stelle zu übertragen oder verschiedene Behörden müssen besser miteinander kooperieren. Es sind Planungsverfahren zu vereinfachen und damit zu beschleunigen.
5.Wir haben zum Ziel, ein einfaches, gerechtes und unternational wettbewerbsfähiges Steuerrecht zu schaffen.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther