Frage an Ingo Wellenreuther von Markus P. bezüglich Menschenrechte
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
am Montag dem 16.11. hatten wir telefonisch kurz wegen dem Infektionsschutzgesetz telefoniert. Ich hatte Sie so verstanden, dass sie der ersten Lesung sehr skeptisch gegenüberstanden. Wenn dem so war, was hat Sie dazu bewogen, doch dem Infektionsschutzgesetz am 18.11. zuzustimmen?
Mit freundlichem Gruß
Markus Pietrek
Sehr geehrter Herr Pietrek,
danke für Ihre Nachricht.
Zunächst darf ich Folgendes klarstellen: Ich habe dem Gesetz nicht zugestimmt, sondern mich bei der namentlichen Abstimmung im Deutschen Bundestag am 18. November 2020 aus verfassungsrechtlichen Gründen enthalten. Dies können Sie hier nachvollziehen: https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=698
Gerne möchte ich Ihnen die Beweggründe für meine Enthaltung erläutern:
Derzeit haben wir in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite. Um Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung durch die Exekutive rechtswirksam ergreifen zu können, bedarf es einer verfassungsrechtlichen Grundlage und deshalb einer Novellierung des Infektionsschutzgesetzes, weil die derzeitigen rechtlichen Grundlagen auf Dauer nicht ausreichend sind. Zustimmen konnte ich der vorgelegten Fassung des Gesetzes gleichwohl nicht, weil meines Erachtens im Gesetz die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Anordnung der angeführten grundrechtseinschränkenden Maßnahmen nicht qualifiziert und klar genug benannt wurden. Damit wurde dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht ausreichend genüge getan. Deshalb stellt die Formulierung des neu eingefügten § 28a IfSG nach meiner Auffassung leider noch keine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage dar.
Außerdem leidet das Gesetz an einem weiteren Mangel insoweit, als es an Entschädigungsregelungen für von Maßnahmen Betroffene fehlt. Solche Ansprüche hätten sich aus dem Gesetz direkt ergeben müssen. Die bisher im Gesetz vorgesehene Entschädigungsregelung (§ 56 IfSG) gilt nämlich nur für Personen, die ansteckungs- oder krankheitsverdächtig sind und deshalb Beschränkungen hinnehmen müssen. Aber sogenannte Nichtstörer, die durch staatlich angeordnete Maßnahmen in ihren Grundrechten der Berufsfreiheit und des Eigentums beeinträchtigt sind, fallen nicht darunter. Auch für diese hätte das Gesetz von Verfassungs wegen Entschädigungsregeln vorsehen müssen, weil ihnen eine Art Sonderopfer für die Allgemeinheit abverlangt wird. Aus diesen Gründen konnte ich dem Gesetz nicht zustimmen, sondern habe mich bewusst enthalten.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther