Frage an Ingo Wellenreuther von Lena M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
immer wieder lese ich auf Fragen zur anstehenden Impfpflichteinführung (Masernschutzgesetz) eine Standard-Antwort der Politiker: der Schutz der breiten Bevölkerung sei mit der Impfquote durch die freiwillige Impfung noch nicht gewährleistet (mangelnde Herdenimmunität). Hierzu gibt es seitens der Impfkritiker massive Einsprüche:
1. die Masern-Erkrankungsrate ist in mehreren Ländern nachweislich Jahre VOR Einführung der Impfung zurückgegangen *
2. auch in Ländern mit bestehender Masernimpfpflicht gibt es zahlreiche Masern-Erkrankte **
3. es sind weltweit mehrere Fälle von Masernausbrüchen dokumentiert, bei denen überwiegend Geimpfte betroffen waren***
Zudem wird die Einführung einer Impfpflicht wird von einigen Verfassungsrechtlern als verfassungswidrig eingestuft.****
Meine Fragen an Sie:
Inwieweit haben Sie sich mit diesen Daten bereits auseinandergesetzt, so dass Sie eine gewissenhafte Entscheidung bezüglich des Masernschutzgesetzes treffen können?
Sollte es nicht zu einer eingehenden Beschäftigung mit diesem Thema durch ALLE Bundestagsabgeordnete und einer Anhörung von impfkritischen und impfpflichtkritischen Experten im Bundestag kommen, um die Bevölkerung wirklich gut schützen zu können?
Mit freundlichen Grüßen
L. M.
*http://www.impfungen-und-masern.de/masern.html#masern-statistiken
**https://www.individuelle-impfentscheidung.de/impfpflicht/die-impfpflicht-wirksamkeit.html
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3930734/
https://www.aerzteblatt.de/archiv/149194/Masern-Impfpflicht-kritisch-hinterfragen
***https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9700638, TLZ Eichsfeld vom 22.11.2016
****https://doi.org/10.1007/s00350-016-4508-6
http://www.agbug.de/gutachten/Maserngutachten_Zuck.pdf
Sehr geehrte Frau M.,
vielen Dank für Ihre Nachricht, mit der Sie Stellung zur laufenden Debatte zum Thema Impfpflicht nehmen.
Fest steht: Impfungen gehören zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen, die in der Medizin zur Verfügung stehen. Gleichzeitig schützt die Impfung nicht nur die geimpften Personen selbst, sondern insbesondere indirekt auch die Menschen, die sich nicht selbst impfen lassen können, so z. B. Säuglinge bis zum 6. Lebensmonat oder anderweitig erkrankte Menschen.
Vor diesem Hintergrund haben wir in den letzten Jahren viel für die Prävention in Deutschland getan. So haben wir 2017 mit dem Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten für eine bessere Durchsetzbarkeit der Pflicht zur Impfberatung der Eltern vor Aufnahme ihrer Kinder in einer Kita beschlossen. Dabei setzten wir auf objektive ärztliche Beratung der Eltern, um ihnen Ängste zu nehmen und über Impfungen aufzuklären. Um dafür zu sorgen, dass die Impfberatungspflicht keine leere Worthülse ist, droht Eltern, die sich der Beratung verweigern, nach geltendem Recht des Infektionsschutzgesetzes ein Bußgeld von bis zu 2500 Euro. Dabei steht bei uns nicht die Strafe im Mittelpunkt, sondern die so wichtige Aufklärung der Eltern. In diesem Zusammenhang haben wahrscheinlich auch Sie die Plakate der Kampagne „Deutschland sucht den Impfpass“ gesehen, mit der wir unter anderem schon seit 2015 über die Impfung - insbesondere gegen Masern - deutschlandweit informieren.
Dennoch besteht bei einigen Schutzimpfungen noch Verbesserungsbedarf, um die sogenannte Herdenimmunität zu gewährleisten. Diese, vor allem für Menschen, die sich nicht impfen lassen können, wichtige Immunität tritt ein, wenn 95 Prozent der Bevölkerung über einen entsprechenden Impfschutz verfügen. Defizite bestehen derzeit beim Impfschutz von Kindern bei den zweiten Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln. Insbesondere liegen aber die Quoten der Erwachsenen bei der Masernimpfung noch unter den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). So veröffentlichte die WHO erst kürzlich aktuelle Daten zur Ausbreitung von Masern und damit zusammenhängenden Todesfällen: Im Jahr 2017 lag die Zahl der Infektionen bei rund 6,7 Millionen Fällen, 110.000 Menschen starben laut den Berechnungen. Die Mehrzahl der Betroffenen von Infektionen mit Todesfolge waren Kinder unter 5 Jahren. Auch steigt die Infektionsrate rasant an, weltweit kam es zu einer Verdopplung der Infektionen, in Europa sogar zu einer Verdreifachung. Diesen Trend gilt es mit aller Kraft zu stoppen.
Bei Masern beispielsweise, über die wir hier sprechen, bedeutet eine niedrige Impfquote ein hohes Gesundheitsrisiko. Masern gehören zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten des Menschen. Ihre Ausbreitung kann unterbunden werden, wenn mehr als 95 Prozent der Bevölkerung einen Impfschutz haben. Dadurch können zugleich Menschen geschützt werden, die sich etwa wegen einer chronischen Krankheit nicht impfen lassen können. Nach reiflicher Überlegung und Diskussion haben wir daher entschieden, eine Masernimpfpflicht überall dort einzuführen, wo Menschen täglich in engen Kontakt miteinander kommen. Egal ob in der Kita, bei der Tagesmutter, in der Schule oder der Flüchtlingseinrichtung – wir wollen möglichst alle Kinder vor einer Masernansteckung schützen. Die Impfpflicht wird mittelfristig zu einer deutlichen Steigerung der Impfquoten und damit zu einem verstärkten Gesundheitsschutz insbesondere für Kinder und die Schwächsten in unserer Gesellschaft führen.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther