Frage an Ingo Wellenreuther von Matthias M. bezüglich Jugend
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
am 12.12.12 hatten Sie dafür gestimmt, dass wehrlose Kinder zwangsbeschnitten werden dürfen. Sind Sie noch immer davon überzeugt, dass elementare Menschenrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung sowie das Recht keiner Religion angehören zu müssen, sich dem Erziehungsrecht oder der Religionsausübung der Eltern unterordnen müssen.
Und wie denken Sie nun darüber, nachdem zwischenzeitlich Kinder unter 6 Monaten ohne ausreichende Betäubung die meist noch völlig verklebte Vorhaut gewaltsam amputiert bekommen. Beim Gesetzesvorschlag ging man ja noch davon aus, dass EMLA-Salbe für eine lokale Betäubung angewendet werden könnte. Der Hersteller hat aber zwischenzeitlich unmissverständlich klar gestellt, dass die Salbe für derart schmerzhafte Operationen völlig unzureichend ist.
Davon abgesehen ist eine Studie aus Gent zwischenzeitlich zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Beschneidung sehr wohl lebenslang das sexuelle Empfinden von Beschnittenen einschränkt, was nun dem widerspricht, was im Gesetzes Entwurf der Bundesregierung zu lesen war.
Meine eindeutige Frage an Sie lautet daher, ob Sie noch immer Glaubensdogmen oder die willkürliche Weltanschauung der Eltern für gewichtiger erachten als das Schutzbedürfnis von wehrlosen Kindern.
Mit freundlichem Gruß
M. M.
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 15. August 2017, in dem Sie Bezug auf das Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes nehmen.
Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz am 12. Dezember 2012 mit großer Mehrheit verabschiedet und damit die rechtlichen Grundlagen für die Ausübung jüdischen und muslimischen Lebens in Deutschland gestärkt. Am 14. Dezember 2012 hat das Gesetz auch den Bundesrat passiert.
Die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs war aus unserer Sicht erforderlich geworden, nachdem ein Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012 zu erheblichen Verunsicherungen bei jüdischen und muslimischen Gläubigen in Deutschland geführt hatte. Obwohl andere Gerichte zuvor in vergleichbaren Verfahren zu einem anderen Abwägungsergebnis gelangt waren, mussten muslimische und jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger nach dem Urteil des Landgerichts Köln nunmehr befürchten, dass religiöse Beschneidungen von Jungen nicht mehr erlaubt seien. Aber auch die behandelnden Ärzte waren verunsichert, ob sie strafrechtlich verfolgt werden können, wenn sie künftig medizinisch fachgerechte Beschneidungen vornehmen. Im elterlichen Sorgerecht wurde klargestellt, dass Eltern unter bestimmten Voraussetzungen in die Beschneidung ihres Sohnes einwilligen können. Hierfür müssen die Eltern umfassend über die Risiken und Folgen einer Beschneidung aufgeklärt werden und der Eingriff muss nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen. Grundsätzlich dürfen auch nur Ärzte den Eingriff vornehmen. Ausnahmen hiervon sind nur für Personen vorgesehen, die von den Religionsgemeinschaften zuvor besonders geschult und ausgebildet wurden. Diese Personen dürfen Beschneidungen jedoch nur in den ersten sechs Monaten nach der Geburt vornehmen.
Zu den Regeln der ärztlichen Kunst gehört auch eine möglichst effektive Schmerzbehandlung. Außerdem sind die Eltern verpflichtet, den Willen des Sohnes in ihre Entscheidung mit einfließen zu lassen und zwar umso mehr, je älter ihr Kind ist. Zudem darf eine Beschneidung nicht vorgenommen werden, wenn sie das Wohl des Kindes gefährden würde. Durch die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wurde sichergestellt, dass auch weiterhin das Wohl des Kindes im Mittelpunkt steht. Dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Grundrechte der Eltern auf Kindeserziehung und Religionsausübungsfreiheit wurde durch die Gesetzesänderung in einen angemessenen Ausgleich gebracht.
Hinsichtlich der Verwendung der EMLA-Salbe kann ich Ihnen folgendes mitteilen.
In der Gesetzesbegründung aus dem Jahr 2012 heißt es auf Seite 8: "In der Medizin besteht heute Einigkeit, dass die frühere Annahme, Neugeborene hätten kein oder nur ein unterentwickeltes Schmerzempfinden überholt ist. Daher wird auch bei Säuglingen eine Betäubung bzw. Schmerzbehandlung mit dem Ziel, möglichst Schmerzfreiheit zu erreichen, als medizinisch geboten angesehen (vgl. Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. vom 3. August 2012). Zum Teil wird dabei nach einer Sedierung durch ein Zäpfchen eine Lokalanästhesie im Wege der Injektion vorgenommen, zum Teil erfolgt die Auftragung einer anästhesierenden Salbe (etwa EMLA)."
Bereits aus der Gesetzesbegründung geht klar hervor, dass die EMLA-Salbe nur eine Möglichkeit im Rahmen einer Lokalanästhesie ist. Mittlerweile werden, nach Rücksprache mit der Bundesärztekammer andere medizinische Mittel verwendet, welche besser geeignet sind. Es müssen auch weiterhin die strengen Voraussetzungen für eine Beschneidung eingehalten werden. Die Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst, eine umfassende Aufklärung und keine Kindeswohlgefährdung sind weiterhin einzuhalten. Das Kindeswohl hat oberste Priorität.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther