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Ingo Wellenreuther
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Frage von Stefan K. •

Frage an Ingo Wellenreuther von Stefan K. bezüglich Recht

Guten Tag Herr Wellenreuther,

am kommenden Donnerstag soll im Bundestag über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts abgestimmt werden. Durch die schrecklichen Geschehnisse in der vergangen Silvesternacht, bei denen in mehreren Städten Frauen in großem Stil belästigt und vergewaltigt werden ist die politische Debatte meiner Meinung nach noch nicht genug abgekühlt und versachlicht um besonnene Entscheidungen treffen zu können.

Ich stehe einige der geplanten Regelungen sehr besorgt gegenüber und befürchte, dass unbeabsichtigt viele junge Männer kriminalisiert werden, während tatsächliche sexuelle Straftaten nicht effektiver verfolgt werden können. Mich irritiert vor allem die für unser hervorragendes deutsches Rechtssystem so untypische schwarz-weiß Sicht bei dem Nein heißt Nein-Prinzip. Diese spiegelt meiner Meinung nach nicht die realen und komplexen zwischenmenschlichen Vorgänge bei der Partnerwahl wieder, die meiner Erfahrung nach oft durch spielerische Neckereien gekennzeichnet sind. Mit dem neuen Gesetz würde die Grenze für das entscheidende Nein somit mitten in die Grauzone einer Verführungssituation gelegt. Nun hängt es auf einmal von der Person mit der man flirtet ab, ob man sich noch im legalen Bereich bewegt oder nicht. Eine sehr guten Bericht über diese Problematik finden Sie hier im Deutschlandfunk: www.deutschlandfunk.de/reform-des-sexualstrafrechts-so-geht-man-mit-strafrecht.720.de.html?dram:article_id=357097

Wenn Sie meine Bedenken teilen, möchte ich Sie bitten, dies in der Abstimmung am Donnerstag mit Ihrer Stimme auszudrücken. Wenn Sie der Meinung sind, dass die neuen Regelungen nicht zu weit gehen, bitte ich Sie auf meine Argumente einzugehen und Ihre Sicht der Dinge zu schildern.

Mit besten Grüßen
Stefan Kirsch

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Sehr geehrter Herr Kirsch,

vielen Dank für Ihre Anfrage zur Reform des Sexualstrafrechts vom 05.07.2016, die ich gerne beantworte.

Ich habe für die Änderung des Sexualstrafrechts gestimmt, da dieses bisher erhebliche Schutzlücken aufwies. Nach dem bisher geltenden Strafrecht konnte es nur dann zu einer Verurteilung wegen Vergewaltigung kommen, wenn das Opfer sich körperlich wehrt, geschlagen oder bedroht wird oder sich in einer schutzlosen Lage befindet.

Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe hat etliche Fälle aus der Praxis zusammengestellt, die absolut strafwürdiges Verhalten beschreiben, das von §§ 177 und 179 StGB bisher aber nicht erfasst wurde. Das hängt damit zusammen, dass es sich um einem Nötigungstatbestand handelte, bei dem man letztendlich von der Erwartung ausgeht, dass sich jedes erwachsene Opfer wehrt, wenn es eine sexuelle Handlung nicht will, dies zum Ausdruck bringt und dadurch Gewalt oder Androhung von Gewalt provoziert. Das ist aber nicht richtig. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass jedes Opfer sich wehrt. Es gibt nämlich verschiedene typische Konstellationen, in denen dies aus bestimmten Gründen nicht geschieht:

1. Die Gewaltbeziehung: Der Täter bricht den Willen des Opfers nicht direkt vor einer Tat, sondern hat ihn schon lange zuvor gebrochen. Es geht dabei um Beziehungen, in denen ein Klima der Gewalt herrscht. Die Frauen wehren sich schon lange nicht mehr gegen sexuelle Handlungen des Haustyrannen, sondern nehmen beispielsweise darauf Rücksicht, dass die Kinder im Nebenzimmer nicht geweckt werden.

2. Kein Widerstand aus Furcht vor nachteiligen Folgen: Das Opfer fürchtet nicht um Leib und Leben, sondern es geht beispielsweise um die Angst, dass man seinen Arbeitsplatz verliert, wenn man sich sexuellen Handlungen verweigert.

3. Kein Widerstand, da Tat vollkommen überraschend: Wenn eine Frau den Täter und seine Handlung nicht bemerkt, zum Beispiel, weil sie schläft oder die Handlung nicht sieht und sich schon deshalb gar nicht wehren kann, führte dies nach bisheriger Rechtslage für den Täter zur Straffreiheit.

Die in diesen drei Konstellationen auftretenden Schutzlücken im Strafrecht wurden mit der nun beschlossenen Reform geschlossen.

Außerdem wurde mit der Änderung, die in den Medien oft durch die griffige Formulierung "Nein heißt Nein" bezeichnet wird, das Grundproblem gelöst, das darin bestand, dass der Straftatbestand der Vergewaltigung auf das Tatbestandsmerkmal der Nötigung abstellte, also der Wille einer Person mit Zwang gebrochen werden musste. Das Opfer war bisher gezwungen, sich zu wehren, was die Schuld für das, was passierte, in die völlig falsche Richtung schob und dem Opfer, das sich aus Angst nicht gewehrt hat, den Vorwurf vermittelte, sich falsch verhalten zu haben. Und das, obwohl es in Ratschlägen der Kriminalpolizei an die Opfer oft heißt: Wehre dich bloß nicht; sonst passiert noch Schlimmeres. Das war ein eklatanter Widerspruch.

Deshalb musste der Straftatbestand so formuliert werden, dass es strafwürdiges Unrecht ist, sich über den klaren entgegengesetzten Willen des anderen hinwegzusetzen. Der "erkennbare Wille" muss dabei entweder ausdrücklich verbal oder konkludent, beispielsweise durch Weinen oder Abwehrhandlungen, ausgedrückt werden. Ungeachtet der Gesetzesänderung gilt weiterhin die Unschuldsvermutung, das heißt dem mutmaßlichen Täter oder der mutmaßlichen Täterin muss nachgewiesen werden, dass er/sie tatsächlich gegen den Willen des Opfers gehandelt hat.

Mit freundlichen Grüßen

Ingo Wellenreuther

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