Frage an Ingo Wellenreuther von Christian K. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
die große Koalition plant, die umstrittene Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Haben Sie vor, dafür zu stimmen?
Wenn ja, würde mich interessieren, auf welcher Grundlage sie glauben, dass Vorratsdatenspeicherung etwas bringt. Welche Studien oder Forschungen haben Sie zu dem Thema gesehen, die ihren Entschluss bekräftigen?
Mit freundlichen Grüßen
Christian Kissel
Sehr geehrter Herr Kissel,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 28. April 2015 zum Thema Vorratsdatenspeicherung.
Erlauben Sie mir zunächst, allgemein auf Folgendes hinzuweisen: Die Rechtspolitik bewegt sich im Bereich der Telekommunikationsüberwachung in einem Spannungsfeld. Dem Grundrechtsschutz der Bürger steht die ebenfalls verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des staatlichen Gemeinwesens hervorgehoben. Grundrechtsschutz der Bürger und Strafverfolgungsinteresse des Staates müssen deshalb in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden.
Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist ein Ermittlungsinstrument, das für die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten unabdingbar ist. Der Begriff Vorratsdatenspeicherung erzeugt jedoch ein völlig falsches Bild: Der Staat legt sich keinen Vorrat an Daten an. Vielmehr existieren diese Daten bei den Telefon- und Internetanbietern auch heute schon. In der Diskussion hierüber wird vielfach übersehen, dass bereits nach der gegenwärtigen Rechtslage Telekommunikationsunternehmen Verbindungsdaten (Verkehrsdaten) zu Abrechnungszwecken speichern dürfen. Über diese Daten haben die Telekommunikationsunternehmen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden Auskunft zu erteilen, wenn es um die Verfolgung schwerer Straftaten geht. Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft ist an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u. a. konkreter begründeter Verdacht, keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung, Richtervorbehalt) geknüpft.
Dieses Instrument der Verbindungsdatenabfrage hat sich in der Vergangenheit als unverzichtbar bei der Bekämpfung und Aufdeckung schwerer Kriminalität erwiesen. Mit der stetigen Zunahme sogenannter "Flatratetarife", bei denen eine Speicherung von Verbindungsdaten zu Abrechnungszwecken durch die Telekommunikationsunternehmen nicht mehr erforderlich war, drohte es mehr und mehr seine Wirksamkeit zu verlieren. Die Möglichkeit, alleine durch Nutzung solcher Flatratetarife, Strafverfolgungsmaßnahmen zu erschweren oder zu vereiteln, dürfte insbesondere der organisierten Kriminalität nicht verborgen geblieben sein. Deshalb ist es erforderlich, eine entsprechende Speicherungsverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen, unabhängig davon, ob diese Daten zu Abrechnungszwecken benötigt werden, gesetzlich festzulegen.
Gemäß den am 15. April 2015 vom Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz vorgelegten Leitlinien zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten soll im Telekommunikationsgesetz (TKG) eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommunikationsunternehmen zur Speicherung von genau bezeichneten Verkehrsdaten eingeführt werden. In der Strafprozessordnung (StPO) wird der Abruf dieser Daten mit einem engen Straftatenkatalog, strengen Richtervorbehalt und weiteren, eng definierten Voraussetzungen zur Gewährleistung der Grundrechte und der Verhältnismäßigkeit geregelt. Oberste Richtschnur aller Regelungen sind die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes.
Gespeichert werden müssen im TKG genau bezeichnete Verkehrsdaten, die bei der Tele-kommunikation anfallen. Das sind insbesondere die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer des Anrufs, bei Mobilfunk auch die Standortdaten, sowie IP-Adressen einschließlich Zeitpunkt und Dauer der Vergabe einer IP-Adresse. Nicht gespeichert werden dürfen:
. Inhalt der Kommunikation,
. aufgerufene Internetseiten und
. Daten von Diensten der elektronischen Post (E-Mail).
Hinsichtlich der Speicherdauer wird differenziert zwischen den Standortdaten und den weiteren Verkehrsdaten. Für die Standortdaten wird eine Speicherfrist von vier Wochen, im Übrigen eine Speicherfrist von zehn Wochen bestimmt.
Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu gewährleisten, müssen die Telekommunikationsunternehmen stets die nach dem Stand der Technik bestmöglichen Maßnahmen ergreifen. Die Speicherung hat im Inland zu erfolgen. Die Anbieter müssen die Daten gegen unbefugte Kenntnisnahme und Verwendung schützen. Konkret erforderlich sind insbesondere der Einsatz eines besonders sicheren Verschlüsselungsverfahrens, die Speicherung in gesonderten Speichereinrichtungen mit einem hohen Schutz vor Zugriffen aus dem Internet, die revisionssichere Protokollierung des Zugriffs sowie die Gewährleistung des Vier-Augen-Prinzips für den Zugriff auf die Daten. Daneben sind detaillierte Löschungsvorschriften sowohl für die Telekommunikationsanbieter als auch für die Strafverfolgungsbehörden vorzusehen und nach Ablauf der Speicherfrist sind die Daten zu löschen. Kommt der Telekommunikationsanbieter der Löschverpflichtung nicht nach, wird dies mit einem Ordnungsgeld belegt.
Insgesamt handelt es sich bei den nun vorgelegten Leitlinien aus meiner Sicht um einen guten Kompromiss zwischen Sicherheit und Datenschutz:
. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs werden eingehalten.
. Die vorgeschlagene Regelung ist deutlich enger als die alte EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.
. Es werden weniger Daten für einen deutlich kürzeren Zeitraum gespeichert.
. Die E-Mail-Daten sind komplett ausgenommen.
. Hinsichtlich der Speicherfrist wird (ausgehend von der Sensibilität der Daten für den Bürger) nach Datenarten differenziert:
o Die Höchstspeicherfrist für Standortdaten beträgt vier Wochen,
o für die übrigen Verkehrsdaten zehn Wochen.
. Für den Zugriff auf die Daten gibt es hohe Hürden:
o strikter Richtervorbehalt
o sehr enger Straftatenkatalog und Substantiierungsanforderungen
o Auf Standortdaten darf nur einzeln zugegriffen werden, d.h. Bewegungsprofile sind nicht möglich
. Grundrechtseingriffe werden auf das absolut Notwendige beschränkt.
. Berufsgeheimnisträger werden besonders geschützt
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther