Frage an Ingo Wellenreuther von Fabian H. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Wellenreuther,
Ich beschäftige mich mit den Problemen unseres verzinsten Geldsystems und deren mögliche Ursache für die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen, die wir alle momentan beobachten können.
Alle Maßnahmen, die bisher getroffen wurden, wie Rettungsschirme und staatliche Sparprogramme, scheinen meiner Meinung nach nur oberflächlich die Symptome zu bekämpfen. Tatsächlich beschreiben immer mehr angesehene Wirtschaftsleute unser verzinstes Geldsystem und die Art und Weise wie Geld geschöpft wird als Kern unserer sozialen, wirtschaftlichen und ökologische Probleme.
Im derzeitigen System kommt Geld hauptsächlich in Umlauf, indem Geschäftsbanken Kredite vergeben. Dabei wird jedoch stets nur das Kreditgeld erzeugt, das Geld für die Zinsen jedoch nicht. Diese muss der Kreditnehmer den anderen Marktteilnehmern abjagen. Zum anderen führt der Zinseszinseffekt zu einem exponentiellen Wachstum der Geldmenge, was durch ein exponentielles Wachsen der Wirtschaft kompensiert werden müsste.
Ein exponentielles Wachstum ist aber nicht nachhaltig, es ist in der Natur höchstens mit einem Krebsgeschwür vergleichbar, und das ist für den Menschen nicht gesund und kann in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nur früher oder später nur scheitern.
Ein zweiter direkter Effekt des Zinseszins Systems ist die Umverteilung von fleißig auf reich, denn die stetig wachsenden Kapitaleinkommen der reichen „Arbeitslosen“ müssen ja von den Fleißigen, der arbeitenden Mittelschicht, erwirtschaftet werden.
Der im Geldsystem eingebaute, nie stillbare Hunger nach Wachstum, Energie und Rohstoffen führt auch zu zunehmender Zerstörung unseres Lebensraums und Ausbeutung von Mensch und Natur. Wir brauchen also ein ökosoziales Geldsystem ohne Zins, das ständiges Wachstum unnötig machen würde.
Nun meine Frage: Wie sehen Sie den Sachverhalt? Was ist ihre Haltung zu alternativen Geldsystemen?
Mit freundlichen Grüßen,
Fabian Huck
Sehr geehrter Herr Huck,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 15. April 2012 zum Thema Finanzen und verzinstes Geldsystem.
Ich versichere Ihnen, dass ich die weit verbreitete Sorge über die Entwicklung in einigen Ländern der Eurozone sehr gut nachvollziehen kann, denn es ist offensichtlich geworden, dass die Währungsunion in der Form, wie sie in den ersten Jahren ihrer Existenz aufgestellt war, nicht dauerhaft existieren kann. Das "verzinste Geldsystem" sehe ich jedoch nicht als Ursache für die aktuellen Probleme. Vielmehr handelt es sich um eine Staatsschuldenkrise, die darauf zurückzuführen ist, dass viele Länder deutlich über ihre Verhältnisse gelebt haben.
Sie schreiben, dass die bisher getroffenen Maßnahmen wie Rettungsschirme und staatliche Sparprogramme nur oberflächlich die Symptome zu bekämpfen scheinen. Lassen Sie mich Ihnen meine Einschätzung zu diesen beiden Maßnahmen kurz erläutern: Mit den Griechenland-Rettungspaketen hat die Politik vor allem "Zeit erkauft", die die anderen gefährdeten Staaten in Südeuropa dringend brauchten, um den notwendigen Politikwechsel einzuleiten. Die Sparprogramme sind aus meiner Sicht notwendig und Teil einer Lösungsstrategie, weil eine Währungsunion nur funktionieren kann, wenn jedes Mitgliedsland aus eigener Kraft solide wirtschaftet und wettbewerbsfähig ist. Ein fundamentaler Baustein im neuen Regelungsgefüge Europa ist daher auch der am 30. Januar von den Staats- und Regierungschefs fast aller Mitgliedstaaten beschlossene Fiskalvertrag. Die Einführung von Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild in allen anderen Euro-Staaten, die mit diesem Vertrag verpflichtend sein wird, ist eine entscheidende Weichenstellung für die Stabilisierung unserer Gemeinschaftswährung. Im Vertrag sind auch Maßnahmen zu einer verbesserten wirtschaftspolitischen Koordinierung sowie für mehr Konvergenz enthalten. Nicht zuletzt verbessert die Schärfung des Stabilitätspakts und die Einführung des Euro-Plus-Pakts die Rahmenbedingungen für eine stabile und wettbewerbsfähige Währungsunion.
Lassen Sie mich nun auf die von Ihnen angeführten Zweifel am "verzinsten Geldsystem" zu sprechen kommen und mich dabei vor allem auf Ihre folgende zentrale Aussage beziehen: "Im derzeitigen System kommt Geld hauptsächlich in Umlauf, indem Geschäftsbanken Kredite vergeben. Dabei wird jedoch stets nur das Kreditgeld erzeugt, das Geld für die Zinsen jedoch nicht. Diese muss der Kreditnehmer den anderen Marktteilnehmern abjagen."
Im Internet finden sich mehrere Vertreter dieser Thesen, beispielsweise die Herren Andreas Popp und Rico Albrecht mit ihrem "Plan B" oder die Herren Tobias Tulinius und Florian Hauschild mit ihrem Artikel "Geld und Geldschöpfung - Einblicke in ein Enteignungssystem". Aus meiner Sicht wird hier jedoch mit reduzierten Modellen der Wirklichkeit gearbeitet, die mit der Wertschöpfung und dem Geldkreislauf zwei wesentliche Merkmale der Realität vernachlässigen und daher zu falschen Schlussfolgerungen kommen.
Tatsächlich werden Kredite ja aufgenommen, um Investitionen zu tätigen (z.B. Kauf einer Maschine). Die Investition ermöglicht eine Wertschöpfung, indem Waren oder Dienstleistungen hergestellt werden. Weil das Geld als Tauschmittel zwischen den Akteuren fließt, können diese die hergestellten Produkte erwerben. Der Verkauf dieser Produkte ermöglicht es, den Kredit zu tilgen, die Zinszahlung zu leisten und einen Gewinn zu erwirtschaften. Ich weiß nicht, warum Sie in diesem Zusammenhang von "den Marktteilnehmern abjagen" sprechen.
Ein System ohne Zins, wie Sie es vorschlagen, würde den Wirtschaftskreislauf zum Erliegen bringen. Einer nahezu unendlichen Geldnachfrage, die deswegen zu vermuten ist, weil Geld theoretisch zu einem Preis von Null verfügbar wäre, stünde ein Geldangebot von nahezu Null entgegen. Kaum jemand wäre bereit, Kredite zu gewähren, weil er bei einem Zinssatz von Null nicht einmal das Risiko einpreisen könnte, sein verliehenes Geld nicht mehr zurück zu bekommen.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Ingo Wellenreuther MdB