Frage an Ingo Schmitt von Christoph R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Schmitt
Sie haben ja dem Vertrag von Lissabon zugestimmt.
Meine Fragen an Sie; Was wissen Sie über die Stimmungslage der Bevölkerung zu diesem Punkt? Welche Bedeutung hat dies für Sie?
Sind Sie im Vorfeld irgend einem Druck ausgesetzt gewesen, wenn ja: von wem?
Laut unserem Grundgesetz geht ja alle Macht vom Volke aus.
Wenn Sie das Gefühl hätten, Grundgesetz und nationale Souveränität würden ausgehöhlt, wie würden Sie sich persönlich verhalten?
Was raten Sie dem Volk, wie kann sichergestellt werden, daß allein der Mehrheitswille Grundlage für Entscheidungen des Parlamentes wird?
Herzlichen Dank
Christoph Ritter
Ihre Frage vom 15. Juni 2008
Sehr geehrter Herr Ritter,
vielen Dank für Ihre Fragen auf der Internetplattform abgeordnetenwatch.de. Gern möchte ich Ihrem Anliegen mit einer Stellungnahme nachkommen.
Am 24. April 2008 hat der Deutsche Bundestag in namentlicher Abstimmung und mit großer parlamentarischer Mehrheit dem Ratifikationsgesetz zum Vertrag von Lissabon zugestimmt. Zunächst kann ich Ihnen versichern, dass ich vor der Abstimmung zum Vertrag von Lissabon keinem Druck ausgesetzt war. Ich habe der Ratifizierung zugestimmt, weil nur ein geeintes Europa international mit einer starken Stimme auftreten kann. Der in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ausgehandelte Vertrag von Lissabon ist und bleibt die neue Arbeitsgrundlage für die EU. Trotz des Ausgangs des Referendums in Irland halten wir an der Ratifikation des Vertrags fest, weil er die EU handlungsfähiger, transparenter und demokratischer macht und gleichzeitig die Vielseitigkeit der Mitgliedstaaten respektiert und ihnen neue Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnet.
Zu Ihrer Frage nach der Stimmungslage der Bevölkerung zum Vertrag von Lissabon erlaube ich mir, auf eine aktuelle Emnid-Umfrage im Auftrag des Senders N24 hinzuweisen. Diese hat ergeben, dass im Falle einer Volksabstimmung mehr als die Hälfte der Deutschen dem Vertrag von Lissabon zugestimmt hätte.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf das oft geäußerte Argument eingehen, dass die Bevölkerung in den Diskussionsprozess über den Vertrag von Lissabon nicht einbezogen gewesen sei und der Vertrag ohne Transparenz für Wählerinnen und Wähler und ohne öffentliche Diskussion ratifiziert werde.
Man kann sich natürlich immer eine breitere Beteiligung der Öffentlichkeit wünschen. Bei Politikern wird ein solches Anliegen in aller Regel sogar auf offene Ohren stoßen. Gleichwohl werden häufig die Angebote zur öffentlichen Diskussion nur von bestimmten Interessengruppen wahrgenommen, bei denen eine Befassung zumeist beruflich begründet ist. Ich darf in dem Zusammenhang darauf hinweisen, dass der federführende EU-Ausschuss im Deutschen Bundestag anlässlich des Ratifizierungsverfahrens zwei Expertengespräche und eine Anhörung zu den inhaltlichen Neuerungen des Vertrages von Lissabon durchgeführt hat, die öffentlich waren und sich einer großen Resonanz erfreuten.
Dass die meisten EU-Mitgliedstaaten die Ratifizierung im Wege von Parlamentsbeschlüssen durchführen, ist in den nationalen Verfassungen für die In-Kraft-Setzung von multilateralen Verträgen geregelt. Lediglich die Republik Irland muss zur Ratifizierung ein Referendum bzw. eine Volksbefragung durchführen. Die Erfahrungen mit dem Verfassungsvertrag zeigen im Übrigen, dass die an der Volksbefragung teilnehmenden EU-Bürger häufig nicht die gestellten Fragen beantworten, sondern politische Rechnungen begleichen, die mit dem Gegenstand des Referendums im Grunde nichts zu tun haben. Es ist natürlich theoretisch möglich, dass eines Tages auch in der Bundesrepublik Deutschland ein Volksentscheid für wichtige politische Fragen eingeführt wird.
Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, ist der Grundsatz der Volkssouveränität in Artikel 20 des Grundgesetzes geregelt. Die Bestimmung lautet wie folgt: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt"
Das Volk übt seine Staatsgewalt also unmittelbar durch Wahlen und Abstimmungen aus. Die Ausübung der Staatsgewalt durch Abstimmungen ist im Grundgesetz abschließend geregelt. Abstimmungen finden ausschließlich bei Neugliederungen des Bundesgebietes statt (Artikel 29 und 118 des Grundgesetzes). Die Einführung weiterer konstitutiver Volksabstimmungen - oder entscheide wäre nur durch Verfassungsänderung, nicht aber durch einfaches Gesetz möglich. Gegenwärtig gibt es für die dazu notwendige Änderung des Grundgesetzes im Deutschen Bundestag jedoch keine parlamentarische Mehrheit.
Außerhalb der Wahlen und Abstimmungen übt das Volk die Staatsgewalt ausschließlich mittelbar, und zwar durch die Organe der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung aus. Die unmittelbare Ausübung der Staatsgewalt ist daher im Wesentlichen auf die Teilnahme an Wahlen beschränkt.
Mit freundlichen Grüßen
Ingo Schmitt, MdB