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Ingbert Liebing
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Frage von Wolfgang T. •

Frage an Ingbert Liebing von Wolfgang T. bezüglich Wirtschaft

Moin,

wieso haben Sie am 29. Juni 2012 im Deutschen Bundestag nicht gegen den ESM Fiskalpakt?

Halten Sie die Konsequenzen extremer Finanzlasten fuer jeden deutschen Buerger allen Ernstes fuer verantwortbar.

Mit freundlichen Gruessen aus Husum

Publizist Diplom Psychologe Wolfgang Timm

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Timm,

vielen Dank für Ihre E-Mail, in der Sie Kritik am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) äußerst und mich fragen, warum ich am 29. Juni dem ESM im Deutschen Bundestag zugestimmt habe.

Sicherlich sind Sorgen um den Euro, um unsere gemeinsame Währung und eine Ausweitung der Krise verständlich. Doch jede Krise ist gleichzeitig eine Chance. Eine Chance die Weichen richtig zu stellen und finanzpolitische Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Gern möchte ich versuchen meine Motive zu erklären, die auch in Ihrem Interesse liegen dürften, weil es um die Sicherung deutscher Interessen geht.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus ist aus meiner Sicht ein guter und wichtiger Baustein im Gesamtgefüge der derzeit diskutierten Änderungen an den relevanten europäischen Regelungen und Verfahren.

Genauso bin ich überzeugt, dass eine Währungsunion langfristig nur funktionieren kann, wenn jedes Mitgliedsland aus eigener Kraft wettbewerbsfähig ist und solide wirtschaftet. Daher verbessern wir mit der Schärfung des Stabilitätspakts und dem Fiskalpakt die Rahmenbedingungen für eine stabile und wettbewerbsfähige Währungsunion.

Akut in Schwierigkeiten geratene Euro-Länder müssen aber kurzfristig von ihren Partnern unterstützt werden. Ein sonst möglicher Flächenbrand hätte unabsehbare Folgen für ganz Europa und damit auch für die exportorientierte deutsche Wirtschaft und unsere öffentlichen Haushalte. Ziel aller jetzigen und zukünftigen Maßnahmen darf aber nur die zielgerichtete Krisenhilfe sein.

Unzutreffend ist die Annahme, dass mit der Umsetzung des ESM das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages auf einen EU-Gouverneursrat verlagert wird. Deutschland besitzt in diesem eine Sperrminorität und kann alle gegen unsere Interessen gerichteten Entscheidungen blockieren. Für sein Abstimmungsverhalten im Gouverneursrat benötigt der deutsche Vertreter eine vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages. Das Haushaltsrecht ist und bleibt das Königsrecht des Parlaments. Unsere Rolle innerhalb dieser Entwicklungen wurde zudem in mehreren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich gestärkt. Die Beteiligung des Deutschen Bundestages ist allen Abgeordneten ein zentrales Anliegen. Ich lege deshalb sehr großen Wert darauf, Ihnen zu versichern, dass der Deutsche Bundestag allen Vereinbarungen mit finanzieller Auswirkung zustimmen muss. Auch wir Parlamentarier sind hier gefordert, weiterhin Sorge dafür zu tragen, dass der Bundestag umfassend an allen zukünftigen Entscheidungen über Instrumentarium, Hilfen und Ausgestaltung der neuen Institution beteiligt wird.

Lassen Sie mich nun zur aktuellen wissenschaftlichen Kontroverse um den richtigen Kurs in der Euro-Krise kommen.

Fakt ist, dass es neben einem Protestbrief, den einige Professoren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht haben, auch führende Ökonomen gibt, die einen Gegenaufruf im Handelsblatt veröffentlicht haben. Zu den Wirtschaftsprofessoren, die davor warnen, die Euro-Debatte mit einer von nationalen Klischees geprägten Sprache unnötig zu emotionalisieren und mit fragwürdigen Argumenten die Bevölkerung zu verunsichern, gehören der ehemalige Vorsitzende des Wirtschaftsweisen Bert Rürup, der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn und der Chef des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts Thomas Straubhaar.

Eine weitere Gegenrede von Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, und von mehreren anderen führenden Ökonomen gibt auch meine Position gut wieder. Ein wesentliches Problem unserer jetzigen Krise ist die zu enge Verknüpfung zwischen der Verschuldung des Finanzsektors und des Staates auf nationaler Ebene. Staatshaushalte müssen für die Refinanzierung ihrer systemrelevanten Banken einstehen. Umgekehrt halten diese Banken in großem Umfang Schuldverschreibungen ihrer eigenen Staaten. Dadurch wird jede Bankenkrise, wie schon die Finanzkrise 2008 schnell zu einer Staatsschuldenkrise und umgekehrt.

Das Problem verschärft sich derzeit noch dadurch, dass internationale Finanzakteure sich aus Furcht vor einem Auseinanderbrechen des Euroraums immer stärker aus der Finanzierung der Krisenländer zurückziehen. Die nationale Segmentierung wird damit noch dramatischer und droht den Euroraum zu zersprengen.

Der ESM ist darauf ausgerichtet, dass Staaten geholfen wird - weil sie nicht mehr in der Lage sind, ihre nationalen Banken zu retten. Warum muss es erst soweit kommen, dass Staaten insgesamt durch marode Banken gefährdet werden. Dann ist es doch sinnvoller, vorher einzugreifen und damit eine Restrukturierung der Krisenbranche erst zu ermöglichen! Mit einer Haftungsunion hat das nichts zu tun, sondern vielmehr mit Selbstschutz aus unserem ureigenen nationalen Interesse. Zentrale Voraussetzung dafür sind nicht nur einheitliche Regulierungsstandards, sondern auch deren Umsetzung aus einer Hand.

Es geht dabei keinesfalls um eine Vergemeinschaftung der Haftung für Bankschulden. Im Gegensatz zu mancher falschen Medienberichterstattung oder Bewertung angeblicher "Experten" ist dies beim jüngsten EU-Gipfel nicht beschlossen worden. Vielmehr kommt es darauf an, dass die europäische Bankenaufsicht wirksame Durchgriffsrechte auf insolvente Banken in den Krisenländern bekommt.

Dieser Weg ist sicher kein einfacher, aber er ist richtig. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist für die Verhandlungsführung Respekt zu zollen. Der dauerhafte Rettungsfonds hat den Vorteil, dass er eine Möglichkeit bietet, die Gläubiger zu beteiligen. Gleichzeitig spannt er ein stabilisierendes Sicherheitsnetz gegen Ansteckungsgefahren.

Bundeskanzlerin Merkel musste sich in europäischen Verhandlungen nicht nur vor zu großen Begehrlichkeiten einiger Süd-Länder in acht nehmen. Gleichzeitig haben sich bereits vor einem Jahr sowohl Jürgen Trittin von den Grünen als auch SPD-Parteichef Sigmar Gabriel für Euro-Bonds ausgesprochen. Vielleicht sind auch deshalb nach neuesten Umfragen des ARD-Deutschlandtrends 66 Prozent der Deutschen mit der Arbeit unser Kanzlerin zufrieden. Das sind satte acht Prozentpunkte mehr als vor vier Wochen. Dieses ist ihr bester Wert seit Dezember 2009. Auch ich bin der Ansicht, dass die Union in der Euro-Krise richtig und entschlossen gehandelt hat und weiter handeln wird und habe entsprechendes Vertrauen in das Handeln der Bundeskanzlerin.

Gern möchte ich zum Schluss ein persönliches Wort anfügen: In mancher Medienberichterstattung werden diejenigen Abgeordneten, die abweichend von der Fraktionsmeinung gegen die Verträge und Rettungsmaßnahmen für unsere Währung stimmen, als "mutige Helden" gefeiert; diejenigen Abgeordneten, die wie ich zugestimmt haben, als "Abnicker", die einem "Fraktionszwang" folgen. Ich respektiere die abweichende Meinung von Kollegen, auch aus der eigenen Fraktion. Aber ich nehme genauso wie diese Kollegen für mich in Anspruch, nach bestem Wissen und Gewissen, nach reiflicher Prüfung und Abwägung von Argumenten, zu meiner Entscheidung gekommen zu sein. Mit Abnicken oder Fraktionszwang hat dies nichts zu tun, sondern damit, dass ich der Überzeugung bin, mit meiner Entscheidung das Beste für das deutsche Volk, für die Stabilisierung unserer Währung, zu tun.

Mit freundlichen Grüßen

Ingbert Liebing, MdB