Portrait von Ines Schmidt
Ines Schmidt
DIE LINKE
100 %
/ 5 Fragen beantwortet
Frage von Norbert S. •

Soziale Gerechtigkeit Die Linke will eine ausbeutungsfreie Gesellschaft, welche sie demokrat. Sozialismus nennt. Haben sie eine Begriffsdefinition von Ausbeutung und von deren Größen für Berlin?

Es gibt bisher von Seiten der Linken keine Begriffsdefinition von Ausbeutung und auch keine Aufstellung wie viel Ausbeutung es gibt.
Wie will die Linke zur einer ausbeutungsfreien Gesellschaft bzw. politischen Mehrheiten dafür kommen, wenn sie den Menschen nicht erklären kann, was sie davon haben bzw. was es konkret für Berlin bedeutet?
Wie viel Geld geht den Menschen verloren, welche Arbeits- und Lebenszeit müssen die Menschen dafür aufwenden? Wie hoch ist der Resourcenverbrauch dafür?
Wieso kommt in Wahlprogrammen von Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen die Begriffe Ausbeutung und Umverteilung nicht vor, obwohl dies ja in jedem Dorf, in jeder Stadt, in jeden Landkreis und in jeden Bundesland tagtäglich stattfindet?

Wie ist ihre Einschätzung dazu?
Für mich sind z.B. „leistungslose Einkommen“ Ausbeutung, weil der erzielte Gewinn/Reichtumszuwachs ohne persönliches Risiko bzw. eigene Arbeit entsteht.
Monopolgewinne/Ausbeutung z.B. d. Immobilien- und Bodenspekulation u.v.a.

Portrait von Ines Schmidt
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr S.,

ich bedanke mich sehr, dass sie meine politische Arbeit begleiten und den theoretischen Grundlagen auf den Zahn fühlen wollen. Anders als in den Naturwissenschaften, in denen Bezeichnungen als allgemein gültig anerkannt werden, beispielsweise die Namen Kupfer oder elektrischer Widerstand, ist in der Politik bzw. in der diskursbeschreibenden politischen Philosophie das Verständigen auf Begriffe ein schwieriges Unterfangen. Autorinnen und Autoren müssen sich die Fragen stellen, welcher Zweck mit der Verwendung eines bestimmten Begriffes erreicht werden soll. Sollen Verhältnisse kritisiert werden? Gibt es vielleicht weitere Ausdrucksformen, um den Sachverhalt neutraler oder ohne moralische Implikationen zu fassen? Wurde der Begriff um weitere Facetten ergänzt? Der Begriff der Ausbeutung ist ein eben solcher Begriff. Für mich als Vertreterin der LINKEN, also einer sozialistischen Partei, bildet eine marxistische Definition das Grundverständnis dieses Begriffs. Erlauben Sie mir also erst einmal generalistisch auf Ihre Fragen zu reagieren und darin einige Antworten ihrer Unterfragen zu subsummieren, um im Anschluss noch einmal auf die landespolitische Dimension zurückzukommen und weitere Verweise auf Programmebene aufzuzeigen.

Paraphrasiert aus den Darstellungen Marx‘ aus dem KapitalBand 1 lässt sich Ausbeutung folgendermaßen definieren:

Ein Arbeiter oder Arbeiterin wird ausgebeutet, wenn ein Kapitalist seine Arbeitskraft aneignet. Dies geschieht im kapitalistischen System durch ökonomische Zwänge, konkret den eigenen Lebenserhalt. Ausbeutung wird es aber spezifisch erst dann, wenn der Arbeiter nicht den äquivalenten Ausgleich seiner Arbeitskraftveräußerung erhält, sondern einen Mehrwert und/oder ein Mehrprodukt für den Kapitalisten erzeugt. Abstrakt gesprochen nutzt A (der Kapitalist) ein Mehrprodukt von B (der Arbeiterin) aus. A profitiert also von der Interaktion mit B, zu Lasten von B. Neben dem Ausnutzen des erzeugten Mehrprodukts von B, nutzt A ebenfalls die Verwundbarkeit B’s in der Vertragssituation aus, da B ohne das Eingehen des Arbeitsverhältnisses keinen Lebensunterhalt bestreiten könne.

Klassengesellschaften und Kapitalismus haben notwendigerweise Ausbeutung inhärent und nach Marx wäre eine sozialistische Gesellschaft frei von ausbeuterischen Verhältnissen. So heißt es im Manifest der Kommunistischen Partei: „Der Kommunismus nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen, er nimmt nur die Macht, sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen.“ Es wird also deutlich, dass gerade die große Ungleichheit der Vertragspartner Ausbeutungsverhältnisse begünstigt. Ergo: In den Marktwirtschaften nehmen diese Machtungleichheiten die Form großer Disparitäten in der Verhandlungsstärke zwischen Kapitalisten und Arbeitern an.

Ich hoffe, damit ihre erste und dritte Frage beantwortet zu haben. 

 

Des Weiteren stehe ich als Landespolitikerin natürlich ineinem dichotomen Verhältnis: Zum einen muss ich innerhalb des bestehenden ausbeuterischen Systems agieren und kann nur versuchen, auch unter Regierungsbeteiligung, die herrschenden Verhältnisse hin zur Verbesserung der Unterprivilegierten zu verändern. Gleichzeitig dabei aber auch immer Systemalternativen mitzudenken. Wie kann so ein Weg aussehen und mit welchem Ziel?

Wie ich in der theoretischen Darlegung zeigte, ist dem kapitalistischen System die Ausbeutung notwendig inne. Auch der Kapitalist kann nicht anders bestehen als durch die Ausbeutung von Arbeitskraft. Was eine LINKE auf Landesebene jedoch tun kann, ist, die Ungleichheit der Vertragspartner zugunsten der Arbeiterinnen und Arbeiter zu reduzieren. Konkret haben wir das bspw. mit dem Mietendeckel versucht, der vom Bundesverfassungsgericht ja nicht als verfassungswidrig eingestuft wurde, sondern nur nicht als Landesregelung zulässig war. Gleiches gilt mit der Entlastung von Familien im ganz Alltäglichen: Eine günstige Lösung des Nahverkehrs mit dem 29 Euro Ticket oder einem kostenlosen Schülerticket; kostenfreie Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten und ein kostenfreies Mittagessen in der Grundschule. Des Weiteren unterstütze ich natürlich systemische Alternativen: Große Wohnungskonzerne, die unsere Miete an den Kapitalmärkten als Dividendenausschütten, kann man auch innerhalb kapitalistischer Verhältnisse mittels politischer Entscheidungen Marktmechanismen entziehen. Ein tolles Gegenkonzept bilden dabei zum Beispiel Genossenschaften, die keinen Profit erwirtschaften und den Mitgliedern gehören. In unserem Berliner Wahlprogramm heißt es dazu: 

„Der Spekulation mit Wohnraum stellen wir uns konsequent entgegen. Wir wollen alle Möglichkeiten nutzen, um über eine öffentliche Regulierung das Marktgeschehen einzuhegen. Auf der Grundlage einer vom Bund übertragenen Landeskompetenz schlagen wir vor, ein Wohnungswirtschaftsgesetz einzuführen. Darin sollen eine dauerhafte Deckelung der Mieten, Vorgaben für die Instandhaltung der Wohnungsbestände durch die Verpflichtung zur Bildung von Rücklagen, der Ausschluss von Eigenbedarfskündigungen für die Zeit einer angespannten Wohnraumversorgungssituation und Richtlinien zur Mitbestimmung von Mieter:innen enthalten sein.“

Zusätzlich unterstütze ich natürlich die Vergesellschaftunggroßer Wohnungskonzerne im Einklang mit dem Berliner Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“.

 

Bei der Arbeit selbst streiten wir selbstverständlich für einen hohen Landesmindestlohn, der einen hohen Impact gerade bei prekären Branchen erzielt. Der Landesmindestlohn von 13 Euro ist ein Erfolg. Darüber hinaus stehen wir eng an der Seite betrieblicher und gewerkschaftlicher Vertretungen, die die im marxschen Sinne ausbeuterischen Verhältnissen hin zum Vorteil der Ausgebeuteten zivilisieren. Gute Tariflöhne und die Tariftreue der Unternehmen, vor allem der landeseigenen, sind darin zentral verankert. Ebenso kann man an die Lohnforderungen auch soziale Kriterien knüpfen.  

Für mich als frauenpolitische Sprecherin meiner Fraktion stehen dabei frauenpolitische Themen zentral in der politischen Arbeit. Auch wenn der Lohn ein Ausbeutungsverhältnis darstellt, lässt sich auch innerhalb dessen eine zusätzliche Ungerechtigkeit nachweisen: Immer noch erhalten Frauen weniger Lohn als männliche Kollegen. Besonders drastisch wird diese Lohnlücke nach der Geburt eines Kindes. Es gibt zwar eine Gender-Pay-Gap, die tiefgreifenderen Lohnlücken ergeben aber eigentlich den Schluss einer Mother-Pay-Gap. Die betriebsinternenKarrierechancen kann ich als Landespolitikerin natürlich schwerlich beeinflussen, das Thema Kinderbetreuung und die Unterstützung alleinerziehender Frauen hingegen schon. In meinem Wahlkreis lebt ein erheblicher Teil der Familien in alleinerziehenden Konstellationen. Ich habe mich beim Senat für Netzwerkkoordinierungsstellen für Alleinerziehende in allen Stadtbezirken stark gemacht und habe in Haushaltsverhandlungen dafür gesorgt, dass Lichtenberg und zwei weitere Bezirke eine zusätzliche Sozialarbeiterin an die Seite bekommen, um die hohe Nachfrage zu bearbeiten. Diese Stelle hilft bei Verwaltungsgängen und Anträgen, sucht nach passenden Ansprechpersonen zur Mietberatung bis hin zur Kindesbetreuung, sodass Alleinerziehende Hilfe in diesen schweren Zeiten bekommen.

 

Ich hoffe durch meine kurze Schilderung das zeigen zu können, was wir in unserem Wahlprogramm als „Rot. Radikal. Realistisch.“ elliptisch darstellen wollten. Abschließend liest sich die Passage des Erfurter Programms ganz rund zur Beantwortung dieses Frageblocks:

„Wir streben eine neue, gerechte Verteilung der Erwerbsarbeit und der anderen gesellschaftlich notwendigen Arbeiten an. Wir wollen, dass alle Menschen am gesellschaftlich organisierten Arbeitsprozess mitwirken, gleichberechtigt gesellschaftliche Entwicklung und Kultur mitgestalten und demokratische Entscheidungsprozesse beeinflussen können. Hierzu streiten wir für ein öffentliches Bildungssystem, das niemanden ausgrenzt, sondern alle bestmöglich fördert und in die Lage versetzt, ihren eigenen Berufs- und Lebensweg selbstständig zu gestalten. Bildung darf nicht darauf beschränkt bleiben, Menschen zu befähigen, sich in vorgegebene Strukturen einzupassen. Ziel von Bildung muss es sein, Menschen in die Lage zu versetzen, die Welt zu verändern, soziale, ökologische und demokratische Reformen zu entwickeln und umzusetzen. Wir wollen Solidarität und gemeinsames, forschendes Lernen als Leitlinien in der Bildung verankern und damit die Grundlage für gemeinsame gesellschaftliche Veränderungen schaffen. Wir wollen die Klassengesellschaft überwinden. Die neue und bessere Ordnung, die der demokratische Sozialismus erstrebt, ist eine von Klassenschranken befreite Gesellschaft.“

Zur Zusatzfrage bezüglich des leistungslosen Einkommens in Form des Rentierkapitalismus, der sich allein aus Besitz und vererbtem Vermögen ergibt, empfehle ich diesen Artikel: 

https://monde-diplomatique.de/artikel/!5459365

Den Ausbeutungsbegriff bei Marx können Sie unter dem Kapitel „Kauf und Verkauf der Arbeitskraft“ ganz trefflich nachvollziehen: http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_161.htm#Kap_4_3

Ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Tag, Ines Schmidt

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Ines Schmidt
Ines Schmidt
DIE LINKE