Frage an Holger Ortel von Christian W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Ortel!
Vielen Dank für die Antwort. Ich habe mir die Bundesdrucksache 16/8300 angesehen. Wenn ich das richtig gelesen habe, ist dieser Vertrag kein Vertrag im Klartext, sondern eine Aneinanderreihung von Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.
Hier ein kleiner Auszug aus dem Vertragstext:
Der Gerichtshof
204. In der Überschrift des Abschnitts 4 werden die Worte „der
Europäischen Union“ angefügt.
205. Artikel 220 wird aufgehoben.
206. Artikel 221 Absatz 1 wird gestrichen.
207. In Artikel 223 Absatz 1 erhält der letzte Satzteil folgende
Fassung: „ ; sie werden von den Regierungen der Mit-
gliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen nach Anhö-
rung des in Artikel 224a vorgesehenen Ausschusses auf
sechs Jahre ernannt.“
Nur mal zum Verständnis: Es wird also vom Leser verlangt, bei jedem Satz in den anderen Verträgen nachzuschlagen, was geändert bzw. ersetzt oder gestrichen wurde? Es fällt mir bei dem o. g. Beispiel ehrlich gesagt schwer zu glauben, dass auch nur irgendjemand diesen Text in der vorliegenden Form sinnvoll lesen, geschweige denn den Sinn erfassen kann.
Warum hat man nicht einfach die Änderungen in die alten Texte eingepflegt und einen neuen, lesbaren Text als Vertragstext erstellt? Was nützt der Öffentlichkeit (also auch mir) ein Text, der schlichtweg nicht zu lesen ist, weil es sich nicht um einen zusammenhängenden Text handelt?
Es geht mir nicht darum, Sie „zu ärgern“. Aber, wie Sie schon sagen, ist dieses ein sehr wichtiges Thema und da sollte es dem Ottonormalbürger doch möglich sein, solche Texte in angemessener Zeit lesen zu können, um sich qualifiziert an einer Diskussion beteiligen zu können.
Eine Frage habe ich noch, die ich bei der Durchsicht nicht (in angemessener Zeit) klären konnte, die Sie mir aber sicher beantworten können: Sieht dieser Vertrag ein Recht auf Kündigung vor, sollten nachfolgende Abgeordnete dieses wünschen?
Mit freundlichen Grüßen
Christian Wilkens
Lieber Herr Wilkens,
Sie haben das richtig verstanden: der Vertrag von Lissabon ist eine Aneinanderreihung von Änderungen bestehender Verträge. Das ist keine Besonderheit dieses Vertrages. Die meisten Gesetze, die vom Bundestag verabschiedet werden, sind Aneinanderreihungen von Änderungen bestehender Gesetze.
Selbstverständlich ist der aus den Änderungen resultierende "aktualisierte" Vertragstext auch im Klartext erhältlich, der besseren Lesbarkeit wegen. Das Ganze nennt sich "Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" und kann z.B. hier eingesehen werden: http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/index.htm
Ein "Kündigungsrecht" sieht der Vertrag von Lissabon nicht vor. Die Europäische Union ist kein Kegelverein, in/aus dem man nach Belieben ein- oder austreten kann. Sie ist ein Zusammenschluss von Staaten und hat auch hoheitliche Aufgaben übertragen bekommen. Sollte aber tatsächlich eines Tages ein Staat "austreten" wollen, kann ich mir nicht vorstellen, wie die anderen Staaten das faktisch verhindern wollen, Austrittsklausel hin oder her.
Mit freundlichen Grüßen,
Holger Ortel