Frage an Holger Haibach von Gerhard R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Haibach,
Sie hatten mich am 15.5. in Abgeordnetenwatch gefragt: Was ist die Alternative zum Afghanistankrieg?
Völker müssen ihre Terrorregime aus eigener Kraft überwinden!
Daß dies möglich ist, zeigen die Beispiele Chile, Argentinien,
Rumänien, DDR.
In "Menschen bei Maischberger" erklärte Altkanzler Schmidt am 20.5.08: Militärische Einmischungen sind auch bei Menschenrechtsverletzungen abzulehnen, weil andernfalls
die Folgen der Kriegshandlungen unkalkulierbar sind.
Wie bewerten Sie das?
Isaf-Kommandant Mc Neill selbst hat erklärt, daß 400.000 Mann
nötig wären, um Afghanistan nachhaltig zu befrieden(Der Spiegel
22/2008, S. 126). Merken Sie jetzt, daß Ihre Ziele unerreichbar sind?
Es gibt zum Beispiel in Afrika viele Staaten mit Terrorregimen und Terroristenstützpunkten. Wie soll man das unterschiedliche Verhalten der NATO verstehen?
Rechtfertigt ein falsch verstandene Bündnistreue, daß Deutschland zum Ziel von Terroristen wird?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
vielen Dank für Ihre erneute Frage über abgeordnetenwatch.de.
Grundsätzlich bin auch ich der Auffassung, dass Völker sich selbst von ihren Diktatoren befreien sollten. Dass dies funktioniert, zeigen Ihre Beispiele. Ich fürchte nur, dass dies in manchen Fällen eben nicht funktioniert. Gerade in einem Land wie Afghanistan steht keine echte Opposition zur Verfügung, wenn die Taliban wieder an die Macht kommen sollten. Während man der DDR-Regierung zumindest in Teilen eine rationale Handlungsweise unterstellen kann, als sie im Herbst 1989 nicht zu militärischen Mitteln griff, um an der Macht zu bleiben, so sehe ich diese Rationalität bei den Taliban und ihren Verbündeten nicht. Ich vermute vielmehr, dass sie weiterhin mit aller (Waffen)Gewalt versuchen werden, wieder an die Macht zu kommen, um dann erneut ihre Schreckensherrschaft zu errichten. Einem solchen Treiben mag ich nicht tatenlos zuzusehen. Daher müssen wir auch zum Schutz der afghanischen Bevölkerung und vor allem auch zum Wiederaufbau bereit sein.
Was die Äußerungen von Altkanzler Schmidt angeht, so kann man nur sagen, dass er offenbar nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Bereits seit den neunziger Jahren diskutiert die Weltgemeinschaft, insbesondere die Vereinten Nationen, die Forderung nach einer Intervention, wenn in einem Staat solche Zustände herrschen wie in Afghanistan. Gerade dann, wenn ein Bürgerkrieg oder gar Völkermord droht oder ein Staat zerfällt. Bereits seit 2001 hat sich hierfür der Begriff "Responsibility to protect" durchgesetzt, der auch im weiteren Sinne die Aufforderung zum Wiederaufbau eines Staates beinhaltet. Gerade dies ist eine der zentralen Aufgabe der Bundeswehr und der Verbündeten in Afghanistan. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat dazu kürzlich eine kleine Informationsschrift herausgegeben, die die Problematik erläutert:
http://www.bundestag.de/wissen/analysen/2008/schutzverantwortung.pdf
Im Vorgehen bzw. Verhalten der NATO kann ich derzeit keinen Widerspruch erkennen. Das Bündnis hat 2001 nach den Anschlägen auf die USA den Bündnisfall ausgerufen, weil man die Hintermänner der Angriffe bei Al Quaida und den Taliban in Afghanistan vermutete. Von afrikanischen Ländern gingen die Angriffe nicht aus, insofern war das Verhalten der NATO richtig. Dies bedeutet jedoch nicht, dass auch in afrikanischen Ländern irgendwann der Fall eintreten könnte, in dem das Konzept "Responsibility to protect" greifen könnte.
Ich kann im Übrigen nicht erkennen, dass Deutschland "falschverstandene Bündnistreue" gegenüber den USA gezeigt hat. Wäre Deutschland angegriffen worden, so wären wir auch froh gewesen, wenn uns die übrigen NATO-Partner zu Hilfe geeilt wären. Bündnistreue bedeutet auch, dem Partner zu helfen, wenn er Hilfe benötigt. Bündnistreue bedeutet nicht kritikloses "Hinterherlaufen", aber es bedeutet Beistandspflicht (Art. 5 des NATO-Vertrages).
Ich teile auch nicht Ihre These, dass durch unser Engagement in Afghanistan die Terrorgefahr gestiegen ist bzw. den Umkehrschluss, dass man durch Nichtstun die Terrorgefahr minimieren kann. Gerade das zeichnet ja den internationalen Terrorismus, besonders den der Taliban aus, dass "er kein Volk und keine Heimat hat", dass er unberechenbar ist. Wenn Sie sich die Anschläge der vergangenen Jahre betrachten, so werden Sie feststellen, dass zwar die spektakulärsten in solchen Ländern stattfanden, die sich im Irak und in Afghanistan engagieren, die Mehrzahl aber in anderen!
Mit freundlichen Grüßen
Holger Haibach