Frage an Hildegard Müller von Peter S. bezüglich Energie
Sehr geehrte Frau Müller,
mein Thema ist die Kernenergie.
Nach dem ersten A-Bomben-Abwurf, heute vor 60 Jahren, scheint sich einiges gewandelt zu haben.
In Punkto Machbarkeitswahn, beim Überheblichkeitsanspruch - es können nur wenige Länder mit Atomreaktoren umgehen, oder bei der Impertinenz -wir haben alles im Griff.
Wie ist es möglich, das nach 300.000 Toten - 100x mehr, als bei dem Desaster in New York - noch irgend jemand, der denken kann, AtomStrom oder -Waffen als völlig normal einstufen kann.
Wie denken Sie über dieses Thema ??
Eventuell wie unser OB. Herr Erwin hat der Bitte nach dem Beitritt der Initiative „Bürgermeister für den Frieden“ eine Absage erteilt. Oder sind Sie auch der Ansicht, dass Atomenergie das einzig wahre ist.
Gern lerne ich die Politiker, die ich wählen soll, näher kennen. Bitte antworten Sie mir nach Ihrem Gusto. Entweder per e-mail oder Brief.
mit freundlichen Grüssen
Peter Schulz
Sehr geehrter Herr Schulz,
Ihre Zuschrift habe ich mit Interesse gelesen. Ich glaube aber, dass Sie darin eine ganze Reihe von Sachverhalten vermischen. Diese möchte ich aus meiner Sicht klarstellen.
1.) Ich teile Ihr Entsetzen, über die Schrecken und den Tod, den die Atombomben-Abwürfe des Zweiten Weltkrieges für viele Menschen in Japan gebracht haben. Ich halte einen Vergleich mit aktuellen Themen wie dem internationalen Terrorismus und die insbesondere den Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York für nicht möglich. Dies sind historische Ereignisse und Entwicklungen, die so nicht in Beziehung zueinander zu bringen sind.
2.) Ansonsten bin ich der Ansicht, dass Atomwaffen in der Zeit des „Kalten Krieges“ zu einem „Gleichgewicht des Schreckens“ zwischen Ost und West geführt haben, das damals einen Beitrag dazu geleistet hat, dass es in Europa über Jahrzehnte hinweg nicht zu einem neuen Krieg gekommen ist. Dies ist sich nicht der ausschließliche Grund, aber es ist EIN Grund dafür.
3.) Angesichts der Tatsache, dass wir nicht mehr in einer politisch bipolaren Welt leben und immer mehr Staaten – wie aktuell der Iran – nach Nuklearwaffen streben, erscheint mir der Einsatz für deren weitere Nichtverbreitung wichtig. Es ist aber auch nicht zu leugnen, dass sie für manche Staaten und deren Bevölkerung – ganz im Sinne der Abschreckung des „Kalten Krieges“ – immer noch als ein Element Ihrer Verteidigungsstrategie angesehen werden, um Angriffe auf ihr Land zu verhindern.
4.) Ich teile die Auffassung, dass manche überzogene Technikgläubigkeit der Vergangenheit heute einer Ernüchterung Platz gemacht hat. Nicht erst nach dem AKW-Unglück in Tschernobyl kann ich die Skepsis gegenüber der zivilen Nutzung der Atomkraft nachvollziehen. 100-prozentige Sicherheit kann es bei dieser Technik sicherlich nicht geben. Allerdings halte ich die Risiken – zum Beispiel in unserem Land – für beherrschbar. Die Betriebsdauer deutscher Kernkraftwerke muss sich ausschließlich an der Gewährleistung des größtmöglichen Sicherheitsniveaus jeder Anlage orientieren. Die aktuelle Debatte über den Neubau von Kernkraftwerken ist eine Phantomdiskussion. Letztlich stellt sich schon aus Gründen der betriebswirtschaftlichen Rentabilität und der fehlenden Akzeptanz in der Bevölkerung diese Frage momentan nicht. Allerdings stellt sich angesichts der z.B. durch CO2-Ausstoß aus Kohlekraftwerken hervorgerufenen anderer Gefahren, die Frage, welche Energien langfristig umweltschonend zu nutzen sind. Ein Ersatz von Atomstrom durch Strom, der aus Kohle- oder Öl-Kraftwerken stammt, ist für mich ökologisch also keine Alternative. Notwendig ist ein sowohl ökologisch wie auch ökonomisch effektiver Energiemix, der erneuerbare Energien ebenso beinhaltet, wie die bereits jetzt vorrangig genutzten Energieträger.
Ich hoffe, dass Ihnen diese Stellungnahme weiterhilft.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Hildegard Müller MdB
P.S.: Gerne hätte ich Ihnen dies auch in einem Brief geschrieben,
leider haben Sie jedoch keine Adresse hinterlassen.