Frage an Hildegard Müller von Tobias W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Müller,
1. In den letzten Tagen wurde in Zusammenhang mit der "Schreiber-Affäre" häufig von Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien berichtet. Die Frage war allerdings, ob hierbei Bestechlichkeit eine Rolle spielte, nicht, ob Waffenlieferungen in dieses Land allein schon skandalös sind. Ich frage mich, wenn heute der Iran wegen seiner Bestrebungen derart an den Pranger gestellt wird, wie es Anfang der 90er Jahre unter Helmut Kohl möglich war, an diese üble Diktatur, die den Iran in vielerlei Hinsicht an miesen Machenschaften damals schon übertraf, Waffen zu liefern. Da Sie an anderer Stelle dieser Web-Seite offen lassen, ob Waffen auch an Nicht-Nato-Länder geliefert werden sollten, folgende, ergänzende Frage:
Sind bei der Beurteilung, ob in ein Land Waffen geliefert werden können Ihrer Meinung nach ausschließlich strategische Aspekte wichtig, sodass auch zukünftig Waffen an Diktaturen geliefert werden können, die mit dem Westen kooperieren, oder sind der entscheidende Gradmesser nicht auch die Werte, für die ein Land nach innen und außen eintritt?
2. Wie beurteilen Sie, dass die USA unter dem Vorwand des Vorhandenseins von Massenvernichtungswaffen in den Irak einmarschierten, angesichts der bekannten Tatsache, dass der Irak Jahre zuvor Kurden und den Iran mit Giftgas angegriffen hatte, was er aus dem Westen erhalten hatte?
3. Sicherlich teilen Sie die Auffassung, dass sich das Verhältnis einer Regierung zu den Menschenrechten grundsätzlich an allem messen lassen muss, was eine Regierung unternimmt. Wie beurteilen Sie diesbezüglich das Gefangenenlager "Guantanamo"?
Glauben Sie nicht, dass wenn z.B. die Türkei ein ähnliches Lager errichten würde, dieses ein unerschöpfliches Thema für die Union im Wahlkampf wäre? Sehen Sie "Guantanamo" als eine Belastung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen?
4. Wirft das Ehrenwort Helmut Kohls nicht einen Schatten auf die Gegenwart in der Nichtbeurteilbarkeit eines Teils der jüngeren Geschichte?
MfG, T.W.
Sehr geehrter Herr Wobisch,
Ihre Fragen beantworte ich, wie folgt:
Ad 1.)
Vorab eine Bemerkung zur Klärung der Begriffe: Dass die Entscheidung ABC-Erkundungsfahrzeuge (die eine Panzerung besitzen und deshalb als Panzer bezeichnet werden, aber sonst rein passiv - da unbewaffnet - sind) an Saudi-Arabien zu liefern, richtig war und in der damaligen Regierung auch nicht durch Bestechung zu Stande kam, steht für mich angesichts der damaligen Bedrohung außer Frage.
Nur zur Erinnerung: Es war der Irak der damals in Kuwait einmarschiert ist. Er hat den Staat Israel mit Raketen beschossen. In Israel wurde – angesichts des Chemiewaffenpotenzials des Irak damals ABC-Alarm ausgelöst und an die Bevölkerung Gasmasken ausgegeben!
Dass Werte und Menschenrechte bei Fragen des Waffenexportes für mich entscheidend sind, habe ich bereits in meiner Antwort an anderer Stelle deutlich gemacht. So habe ich beispielsweise auf das Waffenembargo gegenüber der VR China verwiesen. Obwohl heute viel darüber gesprochen wird, China als strategischen Partner anzusehen, teile ich – gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und im Gegensatz zu Gerhard Schröder (SPD), die Auffassung, dass China keine Waffenlieferungen erhalten sollte.
Ad 2.)
Sie
vermischen in dieser Frage unterschiedliche Sachverhalte. Die USA sind –aufgrund des Versagens der Geheimdienste und von falschen Voraussetzungen ausgehend – mit der Begründung, eine Abrüstung des Irak erzwingen zu wollen, gegen das Regime von Saddam Hussein militärisch vorgegangen.
Sie haben zudem erklärt, dass ein Sturz des Diktators auch mit zu ihren Zielen zählte. Völkerrechtlich ist dies weiterhin strittig (so die Frage, welchen Spielraum frühere UN-Resolutionen boten), und die heutige Situation im Irak ist sicherlich nicht allzu positiv zu beurteilen. Erlauben Sie aber die Gegenfrage, da Sie selbst die Verbrechen des Regimes von Saddam Hussein ansprechen.
Würden Sie es für richtig halten, wenn er und seine Mitregenten, die diese Verbrechen an den Kurden – aber auch anderen Bevölkerungsteilen begangen haben – immer noch an der Macht wären?
Noch eine Bemerkung zum Export:
Es ist richtig, dass das Regime Saddam Husseins die Mittel und das Know-how für die Herstellung von chemischen Kampfstoffen (die auch als Massenvernichtungswaffen anzusehen sind), aus westlichen Industrieländern erhalten hat. Dazu gehören übrigens auch Zulieferer aus Deutschland, die aber unter Umgehung von Gesetzen und Ausfuhrbeschränkungen, Saddam Husseins Regime mit Einzelkomponenten oder technischem Gerät beliefert haben.
Ad 3.)
Bundesregierung und Opposition haben zu Recht die Verhältnisse in „Guantanamo Bay“, aber z.B. auch die Folter in amerikanischen Gefängnissen im Irak kritisiert. Dies geht quer durch die Reihen der Parteien im Bundestag und hat z.B. auch den Antrag meiner Fraktion im Menschenrechtsausschuss beeinflusst.
Zum transatlantischen Verhältnis: Ich glaube, worauf es ankommt, ist, dass es ein solides Vertrauensverhältnis gibt. Es geht nicht darum, alles für richtig zu halten, was in Washington gesagt und getan wird. Auch zum Beispiel in Sachen „Guantanamo Bay“ sind wir anderer Auffassung und raten zu einer anderen Politik. So etwas muss man austragen. Aber wir brauchen langfristig dieses transatlantische Verhältnis, wenn wir die Probleme auf der Welt gemeinsam und wirksam angehen wollen. Ich würde mir von der deutschen Politik übrigens wünschen, wenn sie dies in allen Ländern so vertreten würde.
Insofern kann ich ihren Vergleich in Sachen Türkei überhaupt nicht verstehen. Ich sehe die Verknüpfung dieser Themen nicht. Ich halte es sogar für eine bösartige Unterstellung, welche Verbindung Sie in diesem Zusammenhang zum Wahlkampf und zur Union ziehen.
Erlauben Sie übrigens auch hier bitte noch einen Hinweis: Wie bereits angedeutet, bedarf die Menschenrechtssituation in jedem Land einer speziellen und an der Menschenwürde ausgerichteten Betrachtung. Dies würde auch auf die Türkei zutreffen. Sie wissen sicherlich, dass in der deutschen Politik von der ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung und heutigen Vorsitzenden der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), bis hin zur Union in der Vergangenheit Zustände in türkischen Gefängnissen kritisiert worden sind.
Mir ist nicht bekannt, dass zum Beispiel dies in der Vergangenheit ein – wie Sie es nennen – „unerschöpfliches Thema für die Union“ in Wahlkämpfen gewesen wäre.
Ad 4.)
Man kann über Helmut Kohl und die CDU-Spendenaffäre sicherlich lange und breit diskutieren.
Dass hier große Fehler gemacht worden sind, steht außer Frage. Sie sind juristisch und durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse mehrfach beleuchtet worden. Auch ich hätte mir gewünscht, wenn Helmut Kohl die Spendernamen genannt hätte und habe dies seit 1999 immer wieder so vertreten.
Ich kann Ihnen allerdings nicht folgen, was dieses Thema – zumal derartig verklausuliert – in Ihrer Frage in der Thematik Außen- und Menschenrechtspolitik zu suchen hat. Pardon.
Mit freundlichen Grüßen
Hildegard Müller MdB