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Herbert Behrens
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Frage von Rüdiger G. •

Frage an Herbert Behrens von Rüdiger G. bezüglich Verkehr

Demografischer Wandel, Innovationen, gesellschaftliche Produktivitäts- Steigerungen.

Sehr geehrter Herr Behrens,

In der aktuellen Diskussion zum demografischen Wandel stehen wie schon immer die Themen „Länger arbeiten, Rente mit 70“ und „Zuwanderung im Mittelpunkt“.

Der demografischen Wandel muss aber auch durch Innovationen und gesellschaftliche Produktivitäts- Steigerungen gestaltet werden.

Zwei Beispiel dazu sind:
Abbau von Verwaltungs- Personal durch den Aufbau von automatisierten Verwaltungsabläufen mittels elektronischer Signatur.

Automatisierung und Optimierung von Transport und Logistik mittels fahrerloser Transportsystem. Automatisch fahrenden Elektrotaxis werden zahlreiche Taxi Fahrer für andere Aufgaben freisetzen.

Solche und viele weitere Innovationen werden Deutschland helfen seinen Status als Hochtechnologie Land zu verteidigen.

Das Max-Planck-Institut für demographische Forschung in Rostock hat dazu bereits Studien veröffentlicht siehe http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0108501

Was halten Sie von diesen Thesen?

Wird die Linke den öffentlichen Diskurs zum demografischen Wandel öffentlichkeitswirksam um diese Thesen erweitern?

Sollte es dazu nicht eine Initiative vergleichbar der zur Elektromobilität geben?

Warum gibt es in der aktuellen Liste für Milliarden-Investitionen der EU-Kommission siehe http://ec.europa.eu/priorities/jobs-growth-investment/plan/docs/project-list_part-1_en.pdf dazu keinen deutschen Projektvorschläge?

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Gruhle,

herzlichen Dank für Ihre Zuschrift. Der demographische Wandel ist in der Tat eine der großen sozialen, ökonomischen und politischen Herausforderungen – wie sie sich vielleicht denken können, bin ich als Linker mit den Lösungsvorschlägen des MPI in Rostock nicht ganz einverstanden.

Zunächst ist zu bemerken, dass es vollkommen unzureichend ist, allein aus der geringeren Konsumquote der älteren Bevölkerung einen positiven ökologischen Effekt gesellschaftlicher Alterung zu konstruieren. Mit gleichem Recht könnte man behaupten, dass die Verarmung breiter Teile der erwerbstätigen Bevölkerung den Klimawandel verlangsamen könnte. Dass einige Bevölkerungsgruppen weniger konsumieren (können), heißt ja nicht, dass weniger produziert und emittiert wird, sondern verweist nur auf eine stärker werdende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen. Um die Klimakatastrophe abzuwenden, kommt man über grundlegende Veränderungen im Bereich der Güterproduktion nicht herum (quantitativ wie qualitativ). Auch Verteilungsfragen spielen hier eine Rolle, aber gänzlich anders als vom MPI thematisiert.
Ebenso kurzsichtig und schematisch bleibt die Prognose einer Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses im Zusammenhang des demographischen Wandels, welche primär aus dem perspektivisch steigenden Bedarf bei gleichzeitigem Rückgang des Angebots an Arbeitskräften abgeleitet wird. Solange man oder vielmehr frau Beruf und Familie (z.B. durch Arbeitszeitverkürzung und Ausbau öffentlicher Betreuung) nicht wirklich vereinbaren kann, wird sich an den Konturen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung auf dem Arbeitsmarkt und im Reproduktionsbereich nicht viel ändern. Mit der Argumentation des MPI könnte man auch trefflich die Stärkung des männlichen Ernährermodells prognostizieren, vor allem wenn man den Faible des MPI für familiäre Transfers an Stelle einer Stärkung von umlagefinanzierten Sozialsystemen in Betracht zieht. Das Credo „mehr Eigenverantwortung und weniger Umverteilung“, welches ständig mitschwingt, ist in meinen Augen höchst problematisch, weil es wesentliche Dimensionen sozialer Ungleichheit nicht antasten will und vor allem nicht die Mechanismen, die diese Ungleichheiten (re)produzieren.

Im Gegensatz zu den Verfassern der Studie ist eben nicht davon auszugehen, dass der demographische Wandel „unaufhaltsam“ ist, sondern ist ein sozial produziertes Faktum, welches durchaus politisch veränderbar ist. Anstelle die gesetzlichen Renten weiter zu drücken, könnte man auch die Einnahmebasis der Rentenkasse durch eine Abkehr von Niedriglohnstrategien stärken – was in Zeiten von Sparpolitik und Deregulierung einfach ausgeblendet wird. Von Alternativlosigkeit kann jedenfalls nicht die Rede sein, worauf ich an dieser Stelle nachdrücklich hinweisen möchte. Hier ist die von Ihnen erwähnte Publikation viel zu unkritisch bis völlig blind.

Auch die von Ihnen in Rede gestellte Lösung des „Problems“ durch technische Innovationen ist daher fragwürdig, denn es handelt sich wie gesagt um eine soziale und nicht technische Problemstellung. Wirtschaftspolitisch wäre dies freilich fruchtbar, jedoch ist dies sozialpolitisch völlig untauglich. Natürlich würden durch Digitalisierung der Verwaltung und Automatisierung des Verkehrs Arbeitskräfte für andere Felder freigesetzt werden, es fragt sich nur, woraus sich dann deren Einkommen speisen sollen. Sowohl die Pflegekasse als auch die privaten Haushalte sind derzeit nicht in der Lage, marktvermittelte Sorgearbeiten zu finanzieren. Von daher würde die von Ihnen vorgeschlagene Technisierungsoffensive lediglich die Arbeitslosigkeit erhöhen und somit soziale Problemlagen verschärfen statt abfedern.

Dem demographischen Wandel wird nicht durch technische Innovationen beizukommen sein. Dazu bedarf es vielmehr einer Umverteilung von Arbeitszeit und Erwerbseinkommen für bzw. auf alle (z.B. durch eine 30h-Woche), die Freiräume für persönliche Entfaltung und auch Pflegearbeit eröffnet und eine soziale Absicherung, die den Namen verdient. Dazu müssen neben Menschen mit sehr hohen Einkommen auch juristische Personen (allen voran Konzerne und Finanzmarktakteure) einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme und des Bildungswesens leisten. Die neoliberalen Problemlösungsstrategien haben schlichtweg versagt, d.h. haben wesentlich zu Unsicherheit und niedrigen Geburtenraten beigetragen und müssen daher schleunigst überwunden werden. Von daher wird DIE LINKE. diese Thesen dezidiert nicht „öffentlichkeitswirksam“ unterstützen, sondern weiter für eine soziale und ökologische Wende in allen Politikfeldern streiten.

Mit freundlichen Grüßen

Herbert Behrens