Frage an Henning Otte von Josef R. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Otte,
ich bin 50 Jahre und habe drei schulpflichtige Kinder. Diese soll ich zu anständigen Menschen und guten Staatsbürgern erziehen. Nun sehe ich Tag für Tag die ;Misere in unserem niedersächsischen Schulwesen; sehe wie sich meine beiden Jungs auf dem Gymnasium in unmöglich großen Klassen auf ein Abitur vorbereiten sollen, dass ihnen bereits nach 12 Jahren abverlangt wird; sehe, dass kein Geld für Lehrer, für Unterrichtsräume bereitgestellt wird, dass man nicht einmal sich die Mühe machte, neue Schulbücher für dieses stark verkürzte Curriculum zu entwickeln - bevor man eine ganze Generation mit diesem "G 8" an die Wand fährt ... ja und gleichzeitig muss ich mir von ihrer Partei, von Leuten wie Struck, von Klaeden und Ihnen erzählen lassen, dass unsere Gesellschaft "am Hindukusch" verteidigt werden muss. Wie soll ich das zusammen bekommen?
Wie soll ich das´meinen halbwüchsigen Kindern denn erklären, dass in Deutschland kein Geld für den eigenen Nachwuchs da ist, weil man Tornadoflugzeuge -jetzt auch in regelrechte Kampfeinsätze- gegen irgendeine Zivilbevölkerung in Zentralasien glaubt schicken zu müssen? Wie soll ich meinen Söhnen denn wohl die Segnungen einer Demokratie schmackhaft machen, die mittlererweile in einem immer offener ausgetragenen Kampf um Einflußsphären und Rohstoffe in aller Welt sich anschickt, sämtliche humanen Rücksichten über Bord zu werfen. Haben sich sich schon mal überlegt, wieviel Tausend Bundeswehrsoldaten im "Umlageverfahren" so Jahr um Jahr in diese Kriegsgebiete geschickt und dann desillusioniert wieder in unsere Gesellschaft zurückgeholt werden. Die können uns dann erzählen, von den Berliner "Märchen aus tausend und einer Nacht" - und von der Wirklichkeit, die der Westen dort anrichtet!
Um es mit Thomas Manns Worten auszudrücken, es mag "noch ein paar Jahre so weitergehen, es mag noch ein paar Sündenjährchen so hingehen" - aber ganz bestimmt nicht mehr lange. Das verspricht Ihnen
Josef Riga
Sehr geehrter Herr Riga,
Sie haben in Ihrer Frage die Unterrichtsversorgung und das Abitur nach 12 Jahren kritisiert und nach dem Sinn des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr gefragt. Zunächst möchte ich feststellen, dass Deutschland die wirtschaftlich stärkste Nation in Europa ist. Wir sind in der Lage und wir müssen in der Lage sein,
• sowohl eine fundierte, gute und chancengerechte Ausbildung für unsere Kinder zu gewährleisten,
• den Menschen ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit zu geben
• und außerdem auch deutsch Interessen international durchsetzten zu können.
Die Forderung des Abiturs nach 12 Schuljahren ist dem Umstand geschuldet, dass die akademische Ausbildung in Deutschland im internationalen Vergleich viel zu lange braucht. Die ist für uns als Wirtschaftsnation ein nicht hinzunehmender Standortnachteil. Auch für unsere Kinder ist es ein erheblicher Startnachteil im internationalen Wettbewerb um die besten Arbeitsplätze. Daher halte ich die Entscheidung, das Abitur nach 12 Jahren zu erlangen auf jeden Fall für gerechtfertigt.
Was die inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung des Unterrichts und die Organisation der Schule (auch als Ganztagsschule) betrifft, so sind hier die Bundesländer zuständig. In Niedersachsen hat die Landesregierung unter Ministerpräsident Christian Wulff das Problem erkannt und wird sich verstärkt darum kümmern. "Jetzt müssen die Lehrpläne entrümpelt werden. Die Zahl der Unterrichtsstunden muss ein wenig verringert werden", sagte Wulff vor kurzem.
Bildung, Qualifizierung, Wissens- und Kompetenzerwerb sind heute mehr denn je elementare Standortfaktoren für Niedersachsen. Bildung ist eine lebenslange Aufgabe, Herausforderung und Lebenschance. Wir wollen den Kindern und Jugendlichen die besten Startchancen mit auf den Weg geben. Die weitere Verbesserung der Bildungsqualität und der Chancengerechtigkeit für unsere Schülerinnen und Schüler bleibt unser besonderes Anliegen. Dies umfasst alle Bereiche des lebenslangen Lernens von der frühkindlichen Bildung über die Schule, Hochschule, Ausbildung bis hin zur beruflichen Weiterbildung und Erwachsenenbildung. Für den Schulbereich bleibt folgendes festzuhalten:
• Mit uns wird es keine neuen Schulstrukturdebatten geben. Wir stehen zum Erhalt des begabungsgerechten, differenzierten und gegliederten Schulwesens. Weitere Angebotsschulen ergänzen dieses Regelsystem und machen es vielfältig.
• Wir werden den Ausbau von Ganztagsschulen fortsetzen und schrittweise auf alle allgemein bildenden Schulzweige ausweiten.
• Wir werden den Einsatz von Sozialpädagogen auch auf die Förderschulen sowie nach und nach auch auf die Grundschulen ausdehnen.
Nun zu Ihrer Frage nach dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Es liegt im nationalen Interesse Deutschlands, sich voll in Afghanistan zu engagieren. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik hat in einer Denkschrift präzise dargelegt, wo einige der deutschen Interessen in Afghanistan liegen:
1. Das unter den Taliban rechtsfrei gewordene Afghanistan diente als logistische Basis, Rückzugsraum und wirtschaftliches Rückgrat des internationalen Terrornetzwerkes Al-Khaïda. Die Terroristen des 11. Septembers 2001 wurden aus Afghanistan gesteuert und lebten in Deutschland, bevor sie in die USA beordert wurden. Die Verbindung deutscher Sicherheit mit Afghanistan liegt somit unmittelbar auf der Hand und ist kaum bestreitbar. Ein dauerhaftes Zurückdrängen der Taliban, die Bekämpfung von Al-Khaïda und eine beständige Stabilisierung des Landes zählen zu den direkten deutschen Interessen.
2. Auch aus bündnispolitischer Sicht müsste sich Deutschland in Afghanistan vorbehaltlos engagieren. Der politische Schaden, der durch eine andauernde Verweigerung der vollen Lastenteilung entsteht, ist riesig. Allein die Vermutung, Deutschland könnte als Bündnispartner unzuverlässig sein, ist verheerend für ein Land, das seine Sicherheit nicht allein gewährleisten kann, sondern selbst auf die Solidarität seiner Partner angewiesen ist. Und es ist einem Land von der Größe und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands, das immer wieder stärkere Mitsprache in internationalen Krisensituationen fordert und einen UN-Sicherheitsratssitz anstrebt, nicht angemessen. Der andauernde politische Kraftakt, die deutsche Beteiligung an Kampfhandlungen in anderen Teilen Afghanistans abzulehnen, kostet hier viel politisches Kapital.
Dieses wird zu einem späteren Zeitpunkt, beispielsweise bei der Neuordnung der NATO beim bevorstehenden Gipfel in Bukarest, noch gebraucht. Frankreich hat die machtpolitische Dynamik der Situation längst erkannt und scheint bereit, sich als Gegenleistung für seine Rückkehr in die militärische Struktur der NATO in Afghanistan zu engagieren. Der politische Einfluss Frankreichs in der NATO würde somit erheblich steigen, was mit großer Wahrscheinlichkeit auch zu einer Stärkung der französischen Position in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU führen würde. Deutschland wird bei einer beharrlichen Weigerung in Afghanistan an beiden Stellen an Einfluss verlieren.
3. Für ein stärkeres Engagement Deutschlands in Afghanistan spricht nicht zuletzt, dass dort die Leistungsfähigkeit des westlich-freiheitlichen Ordnungsmodells auf der Probe steht. Afghanistan ist nicht nur ein Testfall für die deutsche Sicherheit und das Funktionieren des Bündnisses. Es ist auch ein Testfall für die Fähigkeit der offenen, rechtstaatlichen Gesellschaften, ihre legitimen Interessen zu wahren und durchzusetzen. Ein Scheitern des Westens hätte fatale Signalwirkung gegenüber Akteuren wie Al-Khaïda und den Taliban, aber auch gegenüber Staaten wie China, Russland, Nordkorea und Venezuela, die westliche Ordnungsmodelle ablehnen oder deren Niedergang befördern.
Mit freundlichen Grüßen
Henning Otte